Alle reden über GELD. Die Euro-Schuldenkrise und Staatsbankrotte. Aktien gelten als Risikokapital, denn Firmen arbeiten auf die nächsten Quartalsergebnisse, allenfalls Jahresziele. Kreditausfallversicherungen schützen vor wertlosen Staatsanleihen, … Kurz: Der „traditionelle“ Finanzmarkt ist ein Chaos.
Nicht nur institutionelle Investoren weichen deshalb auf andere Produkte aus. Gewinnbringend ist der Handel mit „traditionellen“ Rohstoffen, wie z.B. Glencore dies tut, aber auch der Rohstoff Nahrung (Weizen, Mais, Soja, Zucker, Kaffee, …) bietet ausserordentlich hohe Rentabilität. Für alle die, die nicht selber handeln offeriert praktisch jede Bank eine grosse Auswahl von Rohstoff-Fonds.
Seit Großbanken vor 10 Jahren die Spekulation mit Rohstoffen als neue Gewinnquelle entdeckt haben, hat sich die Spekulationsmenge ver-40facht (1). Heute sind über 600 Milliarden Dollar in Wertpapieren investiert, die vom Anstieg der Rohstoffpreise profitieren. „Knapp ein Drittel davon ist in Agrarrohstoffen, und diese Summe steigt monatlich um fünf bis zehn Milliarden Dollar an, berichten die Analysten der britischen Großbank Barclays. Der Agrarbereich zieht nicht nur die meisten Mittel an, sondern ist auch der „Sektor mit der besten Performance” so der Tagesspiegel weiter.
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NATUR
Die Spekulation der Anleger wird durch Umwelt- und Politische Katastrophen, die Einfluss auf die Ernten haben vergrössert. So stiegen die Preise von Mais, Weizen und Reis in den letzten 2 Jahren alle über 30% (2). Der Grund: Naturkatastrophen. Zum Beispiel eine grosse Hitzeperiode in Amerika, wo 41% des Mais angepflanzt (3, 4) oder die Dürre in Russland, dank dem die Weizenpreise 2010 in die Höhe schnellten. Eine gute Ernte im 2011 sowie die aggressiven Preispolitik der Schwarzmeerstaaten haben diese Preise unterdessen gewaltig korrigiert (5).
Auch in der Schweiz und Mitteleuropa war der Frühsommer 2011 viel zu trocken; vielerorts wurde früher und weniger geerntet als geplant.
PROFIT
Aus rentabilitätsgründen landet Getreide, Soja und Palmöl als Bio-Diesel, und Mais, Weizen oder Zucker als Ethanol nicht wie früher auf dem Teller, sondern immer häufiger im Tank der Autos: Getrieben von höheren Gewinnen wird in den USA ein drittel der Maisernte zu Biotreibstoff (7), während in Deutschland auf bestem Ackerland in Monokultur „Biosprit“ angebaut wird:
Dabei kann mit dem Getreide, das benötigt wird, um den 100 Liter-Tank eines Geländewagens zu füllen, ein Mensch ein ganzes Jahr ernährt werden (8).
INDUSTRIE
Drei Firmen kontrollieren weltweit 53% des Saatgutmarktes (9).
Seit der Zwangstötung von Hühnern in vielen Entwicklungsländern als „Konsequenz der Vogelgrippe“, die ja nicht entlang der Zugvögelrouten, sondern entlang der Handelsstrassen zu Geflügelfarmen und in der Nähe ihrer Kundenbetriebe verbreitet wurde ist auch die Hühnerfutter und Hühnergenetik auf eine handvoll Firmen konzentriert (10, 11).
Jede Epidemie, und sei sie künstlich heraufbeschworen, scheint von Industrie-Lobbisten dazu genutzt zu werden, ihre Machtposition auf Kosten der Artenvielfalt und der unabhängigen Produzenten auszubauen (12).
Mindestens indirekt wird die industrielle Landwirtschaft von einer Handvoll Firmen kontrolliert. Deshalb brauchen wir die unabhängige, d.h. staatlich geförderte, lokale Landwirtschaft.
POLITIK
Doch wie können sich Politiker eine eigene Meinung bilden zu einem Thema, mit dem sie nicht unbedingt vertraut sind, wenn verschiedene Interessenskreise ständig auf sie einzuwirken versuchen?
Bundesrat Ueli Maurer erkennt die Wichtigkeit der Schweizer Landwirtschaft, weil sie uns unabhängiger und weniger erpressbar macht und weil wir die Qualität der lokalen Nahrungsmittel selber kontrollieren können (13).
Trotzdem erliegen viele Politiker der Argumentation von omnipräsenten (Lebensmittelindustrie-)Lobbisten und setzen sich für die Öffnung des Marktes für ausländische Agrarerzeugnisse ein. Über die Behauptung, dass das unseren BIP steigern würde wollen wir hier nicht sprechen, verweisen aber gerne auf Prof. M.Binswangers Referat bei der SVIL (14).
LEBENSQUALITÄT
In der Spekulation mit dem Rohstoff Nahrung ist wie eingangs erwähnt sehr viel Geld zu verdienen. Aber Lebensqualität bedeutet mehr als mit Geld messbaren materiellen Wohlstand: Lebensqualität bedeutet Gesundheit, Lebensfreude, soziale Umgebung, Sicherheit, Bildung, Umwelt, Strukturen usw. Deshalb plädiere ich dafür, dass wir in die zukunftsfähige, traditionelle Landwirtschaft investieren: sie bringt statt kurzfristiger Gewinne nachhaltige Lebensqualität, von der die Leute in anderen Ländern nur träumen können.
Zusätzliche Info und Quellen:
- WTO Statistik über Preisentwicklung von Energie, Lebensmitteln und Landwirtschaftsprodukten auf dem Weltmarkt>>> WTO Chef Statistiker Hubert Escaith erklärt, dass die Landwirtschaftsprodukte bis zur Wirtschaftskrise 2008/2009 relativ preisstabil waren, seit der Krise steigen sie aber parallel zu den Lebensmittelpreisen
- http://www.focus.de/finanzen/boerse/nahrungsmittel-globaler-megatrend_aid_296824.html
- http://www.economist.com/node/10250420
- Volle Tanks, leere Teller
- Grösste Weizenproduzenten: http://de.wikipedia.org/wiki/Weizen
- Agricultural Commodities Products (Website der CME Group, die von sich sagt, “… we provide the widest range of benchmark futures and options products available…”.: http://www.cmegroup.com/trading/agricultural/
- Liste der Commodities, die am Chicago Mercantile Exchange(http://en.wikipedia.org/wiki/Chicago_Mercantile_Exchange ) werden: http://en.wikipedia.org/wiki/List_of_traded_commodities
- Rohstoff-Spekulatnen: Die Hungermacher. im Tagesspiegel vom 23.Okt.11: http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/die-hungermacher/5442222.html
- Nahrungsmittel: Globaler Megatrend auf Focus Money Online Nr. 18 (2008) http://www.focus.de/finanzen/boerse/nahrungsmittel-globaler-megatrend_aid_296824.html
- Folgen der Hitzewelle: Russlands Exportstopp lässt Weizenpreise steigen im Spiegel Online, 5. Aug. 2010: http://www.spiegel.de/wirtschaft/service/0,1518,710332,00.html
- Weltbank: Food Price Watch (Link zur Nov-online-Ausgabe auf Englisch – Französisch auch verfügbar): http://siteresources.worldbank.org/EXTPOVERTY/Resources/336991-1311966520397/Food-Price-Watch-November-2011.htm
- Grösste Maisproduzenten: http://de.wikipedia.org/wiki/Mais
- The end of cheap food; economist (2007): http://www.economist.com/node/10252015