Innovations contre la faim
Wir wollen gesunde Lebensmittel und eine saubere Umwelt, Top Qualität, Nachhaltigkeit und fairen Handel. Ist das realistisch und wenn ja, wie? Wieso sind die Diskussionsfronten über GVO in der Landwirtschaft so verhärtet/eingefahren? Welche Landwirtschaft soll unsere Nahrung produzieren? Eine industrielle oder eine bäuerliche?
Inhaltsverzeichnis
In „Hungry for Innovation – Pathways from GM Crops to Agroecology“ werden sich zwei grundverschiedenen Strategien gegenüber gestellt. Mit der hier folgenden Zusammenfassung des Artikels hoffen wir, klärend zur Diskussion beitragen zu können:
Technologie vs. Ökologie?
Am einen Ende des Diskussionsspektrums stehen grossflächige, hoch technologisierte, industrielle Monokulturen. Der Anbau von patentiertem Saatgut ist sehr stark von externen, nichterneuerbaren Ressourcen abhängig und deshalb nicht nachhaltig, aber ohne grosses landwirtschaftliches Fachwissen machbar.
Am andern Ende stehen die agroökologischen Betriebe mit kleinräumiger, multifunktionneller, subventionsabhängiger Landwirtschaft für die Lebensmittelsicherheit und Biodiversität. Ihr Erfolg hängt primär vom Wissen der Bewirtschafter ab und nicht von der zur Verfügung stehenden Technik.
Industrie vs. Mensch?
Industrielle Innovationen – die Agrarindustrie ist keine Ausnahme – werden durch Investoren gefördert. Diese bestimmen „top-down“, wer welche neuen Produkte entwickelt. Im Gegenzug erwarten sie einen wirtschaftlichen Profit. Anders ausgedrückt: Der ökonomischer Wettbewerb funktioniert auf dem Versprechen von Zinsen, zum Beispiel in Form von Lizenzgebühren. Es ist in der Logik des Systems, dass industrielle Entwicklungen verpack- und verkaufbar sein müssen und in möglichst grossen und lukrativen Märkte kommerzialisiert werden.
In der industriellen Saatgutentwicklung werden weder Produktions-, Ernte-, noch Lagersysteme berücksichtigt; das im Industrielabor entwickelte Saatgut ist à priori nicht angepasst an den Standort und Betrieb, an dem es eingesetzt wird. Diese Anpassung muss, in Form von Pflanzenschutzmitteln, Dünger usw., von aussen zugeführt werden. Durchschnittlich werden 10 Kalorien zugeführt um eine Kalorie Nahrung zu produzieren.
Aus Zehn mach Eins ist für die Betroffenen nicht rentabel und es erstaunt wenig, dass bei Innovationen, die „bottom-up“ an der Basis von den direkt betroffenen und interessierten Menschen gemacht werden, andere Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen: Lebensmittelqualität, Gesundheit, soziale Nachhaltigkeit, Umweltverträglichkeit und auch die Standortangepasstheit sowie der mögliche Nachbau von Saatgut.
Könnte dieser Interessenkonflikt (privater Nutzen der Investoren vs. Nachhaltiges Wirtschaften der LandwirtInnen) mit öffentlicher Forschung und Bildung umgangen werden? Eigentlich ja… aber
- Die „reichen“ Länder investieren verhältnismässig wenig in landwirtschaftlichen Forschung. So betrug z.B. das Budget der weltweit grössten öffentlichen Organisation für Landwirtschaftliche Forschung (Consultative Group on International Agriculture Reserach) schon vor 10 Jahren gerade einmal einen Achtel von dem, was die 6 grössten Saatgut-Produzenten für ihre Entwicklung ausgeben (Spielmann, 2007).
- Universitäten geben sich klare Forschungsziele vor und arbeiten nach dem obenerwähnten „top-down“ Ansatz. Immer häufiger melden ihre Forscher Patente an (wie für den „Goldenen Reis“) was im Widerspruch zum öffentlichen Auftrag, Wissen als Allgemeingut zu produzieren, zu sein scheint.
Der industriellen Entwicklung fehlt die für die Landwirtschaft wertvolle Verbindung zum Bedürfnis für Lebensmittelsicherheit, ökologische Nachhaltigkeit und Armutsbekämpfung. Es braucht – neben der ergebnisorientierten (top-down) Entwicklung – auch eine bedürfnisbasierte (bottom-up), agroökologische Forschung, bei der Fruchtfolgen, Mischwirtschaft, Nutztierhaltung, Humusaufbau, Kompostierung usw. im Mittelpunkt stehen – auch wenn die Forschungsresultate nicht patentierbar und kommerzialisierbar sind da sie durch Wissenstransfer verbreitet und lokal weiter entwickelt und angepasst werden können.
Es ist dieses dem Standort und dem Betrieb angepasste Können, das die kleinräumige Landwirtschaft nachhaltig machen kann. Die Investition, sich dieses Wissen anzueignen, kann der Produzent mangels Fairer Marktpreise nicht zurück-erwirtschaften. Deshalb wird es – in allen OECD-Ländern – auf die eine oder andere Weise von den Steuerzahlern mitgetragen.
«Unsere Ernährungssicherheit hängt nicht nur davon ab wie viel produziert wird, sondern auch davon, wie es produziert wird und was wir wie konsumieren.»
Technik vs. Natur?
Es ist unbestritten, dass Biodiversität, Ökologie, Boden- und Wassermanagement nicht nur die Produktivität, sondern auch den Klimawandel beeinflussen. Es ist ebenfalls unbestritten, dass Nachhaltigkeit einen geschlossenen Kreislauf -ökologisch, aber auch wirtschaftlich- bedingt. Das wird durch eine lokale Produktion und einen lokalen Markt gefördert.
Traditionelle Landwirtschaft kann genauso umweltschädigend und zukunftsunfähig sein wie eine moderne, industrielle Landwirtschaft mit hohem Grad externen Input. Die „low tech“ toolbox der Agroökologie ist sehr anspruchsvoll und wissensintensiv, braucht ein gutes Netzwerk für Unterstützung, Wissenstransfer, –Austausch und -Weiterentwicklung. Dann allerdings können oftmals Probleme durch die Anpassung der Vorgehensweise eliminiert statt durch Neuentwicklungen nur die Symptome bekämpft werden.
Statt die Natur der Technik anzupassen, versuchen agroökologische Innovationen technische Lösungen zu finden, die im Einklang mit der Natur sind. Man geht davon aus dass die Landwirtschaft, um zukunftsfähig zu sein, den Gebrauch von Agrochemikalien minimalisieren und die ökologischen Synergien der biologischen Komponenten des Agroökosystems nutzen muss.
Seit über 30 Jahren forscht man für mögliche Genetisch Veränderte Organismen (GVO) in der Landwirtschaft. Trotzdem werden erst zwei Charakteristiken kommerziell angebaut und zwar eine Pestizid- und eine Schädlings-Resistenz. Auch die geografische Verbreitung ist limitiert: 91% der GVO-Kulturen werden in nur 5 Ländern (USA, Brasilien, Argentinien, Indien, Kanada) angepflanzt. Dort allerdings haben sie in riesigen Monokulturen eine vorherrschende Rolle: In den USA und Argentinien ist fast 100% der Soyaproduktion genetisch manipuliert, genauso der Amerikanische Mais und die Zuckerrüben. Indische Baumwolle ist praktisch alle GVO. Wenn trotzdem eine so starke Abneigung gegen GVO besteht, dann weil die Konsumenten keinen direkten Nutzen davon haben und mögliche gesundheitliche Nebenwirkungen für Mensch und Umwelt möglicherweise nur teilweise bekannt sind.
Abgesehen von allen politischen Diskussionen: GV-Saatgut ist teuer und die nötigen Hilfsmittel wie Maschinen, Pflanzenschutzmittel, Wasser und Energie kostspielig (Pestizidresistenz bedeutet nicht, dass keine Pestizide eingesetzt werden, sondern dass die genetisch manipulierten Pflanzen dagegen resistent sind). Kommen die Güter dann subventioniert – zum Beispiel mit „Beiträgen zur weltweiten Ernährungssicherheit“ – auf den Weltmarkt, untergraben sie die Preise in den Ländern mit kleinräumigerer Landwirtschaft und traditionellem Anbau.
Diese ökonomische Realität steht im Gegensatz zu den erklärten Development Goals, wonach der Hunger in der Welt reduziert werden soll. Schlimmer noch: in Märkten, in denen genetisch manipuliertes Saatgut etabliert ist geht die konventionelle Entwicklung massiv zurück und wird auf Forschung in Universitäten oder Kleinfirmen für Nischen reduziert.
Züchter vs. Landwirt
Kein Standort ist identisch mit dem andern, jeder Boden hat seine charakteristischen Eigenschaften. Aber industriebeauftragte Züchter sind häufig relativ weit von der Landwirtschaft entfernt und kennen die Ziele der Landwirte nicht. Sie konzentrieren die Sortenentwicklung auf Ertrag und Resistenz gegen Krankheit und/oder Schädlinge. Mit einer Palette von Hilfsmitteln können dann im Ackerboden ähnliche Bedingungen hergestellt werden wie die des Labors, in dem das Einheitssaatgut entwickelt wurde.
Als Alternative fordert die agroökologische Wissenschaft die lokale Entwicklung von bodenschonenden Arbeiten und Saatguttausch für die Zucht von lokalen Sorten und fördert so die Agrobiodiversität. Doch was, wenn das Ausgangssaatgut lizenziert und der Nachbau verboten oder das Saatgut gar nicht nachbaubar ist? Die Autoren von „Hungry for Innovation“ nehmen an, dass das Überleben von Milliarden Menschen von öffentlichen, dezentralen, standortangepassten Züchtungen und Produktion abhängt.
Wieviel? vs. Was und Wie?
Die Dynamik der ökologischen und sozialen Wirkung der Landwirtschaft wird während Jahrzehnten ignoriert. Aus den Landwirten, die Lebensmittel produzierten, wurden Produzenten von Biomasse die je nachdem als Nahrung für Menschen, Tierfutter, oder Bioenergie eingesetzt werden können.
Jetzt muss die Lebensmittelproduktion überdacht werden. Unsere Ernährungssicherheit hängt nicht nur davon ab wie viel produziert wird, sondern auch davon, wie es produziert wird und was wir wie konsumieren.
Weiterführende Links:
Late Lessons from Early Warnings – Science, Precaution, Innovation →
„Hungry for Innovation – Pathways from GM Crops to Agroecology“ von David A. Quist, Jack A.Heinemann, Anna I.Myhr, Iulie Aslaksen und Silvio Funtowicz → Deutsche Zusammenfassung der Publikation →
Plant Variety Protection Act →
UN Sustainable Development Goals →
Graphic illustrating USDA’s role in promoting food security worldwide which in turn creates new markets for U.S. agricultural exports →
OECD’s USA-country profile →
OECD’s USA agricultural profile →
“Von Saatgut, Züchtung und Patenten“, Artikel nach Vortrag von Dr. Eva Gelinksy →
„Wer das Saatgut beherrscht beherrscht die Welt“, Artikel von Daniela Weber →