Weiter wie bisher ist keine Option! Doch was gibt es für Optionen?
Wir werden bald 10 Milliarden Menschen sein auf der Erde, und die Fläche um alle zu ernähren ist begrenzt. Bis im Jahr 2050 brauchen wir 1 Milliarde Hektar zusätzliche Ackerbaufläche! Das entspricht der Fläche Europas.
Was macht man, wenn es in der Breite einfach keinen Platz mehr hat? Das Urban Gardening weiss es schon lange: Man geht in die Höhe. In Singapur ist das bereits Realität, dort werden Dachterrassen auf Wolkenkratzern für den Gemüseanbau verwendet. Umgekehrt wird in London Gemüse im Untergrund in einem Bunker aus dem zweiten Weltkrieg angebaut. Eine weitere Idee mutet futuristisch an, wie aus dem Science-Fiction-Roman “20’000 Meilen unter dem Meer” von Jules Verne …
Doch diese Idee verspricht einen schnell wachsenden Rohstoff, der nicht nur von Abfall leben kann, sondern auch noch Abwässer reinigt. Einen Rohstoff, der viel Protein, aber auch gesunde Fette und Stärke enthält und sich somit besonders gut für eine gesunde Ernährung eignet. Ausserdem braucht dieses Super-Gemüse nicht mal ein Feld, auf dem es angepflanzt wird.
Algen …
Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW entwickelt in der Forschungsgruppe Ökotechnologie (Ecological Engineering) Null-Abwasser-Systeme, naturnahe Abwasserreinigungsverfahren und kultiviert Mikroalgen sowie Fische und Pflanzen in Kreislaufsystemen. In Wädenswil wurde für die Erforschung der Algen eigens ein sogenannter Algen-Reaktor gebaut. In 200 Liter Leitungswasser gedeiht hier die Algenart Chlorella Vulgaris. Dazu braucht es dann nur noch ein wenig Dünger und möglichst viel Sonnenlicht, und die Algen vermehren sich schnell: An einem Tag pro Liter Wasser etwa um 3 Gramm. “Das mag so erstmal nach wenig klingen, doch wenn man dies vergleicht, dann ergeben sich Zahlen, die mindestens um den Faktor 5 höher liegen als das, was andere Pflanzen wie Soja, Weizen oder Mais erreichen”, erklärt Dominik Refardt, Doktor für angewandte Naturwissenschaften. Im Vergleich zu anderen Eiweissquellen benötigt die Chlorella Vulgaris beim Anbau 17-mal weniger Ackerfläche und wandelt 5-mal mehr CO2 um als die gängigen Landpflanzen.
Nach sechs Wochen kann geerntet werden. Die Algen werden in einer Zentrifuge vom Wasser getrennt und anschliessend schonend gefriergetrocknet. Übrig bleibt ein sehr dunkelgrünes Pulver. Die ersten Versuche mit der Wunderpflanze zu kochen fallen in der Sendung Urban Gardening jedoch eher unbefriedigend aus, denn der fischige Eigengeschmack von Chlorella ist gewöhnungsbedürftig. Im zweiten Versuch schmeckt aber ein veganer Algen-Burger aus Haferflocken, gewürzt mit Knobli, Limettensaft, Gewürzen und Pfefferminze durchaus nach mehr. Prinzipiell kann man jedem Gericht Algen beifügen und es damit aufwerten.
Könnte die Landwirtschaft der Zukunft so aussehen: Algen als Proteinquelle und Fleischersatz? Oder, ihrem Geschmack entsprechend, eher “Fisch-Ersatz”? Auch das ist sehr passend, denn wenn wir so weitermachen, wird das Meer im Jahre 2050 leergefischt sein. Chlorella hat mit 60% Eiweiss einen deutlich höheren Anteil an Proteinen als zum Beispiel Fisch oder Geflügel.
… als Proteinquelle der Zukunft
Es gibt ca. 30’000 verschiedene Algenarten, und viele davon kommen für die menschliche und tierische Ernährung in Frage. Und es sind auch nicht alle grün (1500 Species), sondern es gibt 1800 Species von Braunalgen und gar 6500 Species von Rotalgen. Für uns Europäer ungewohnt, haben Algen in der asiatischen Küche eine lange Tradition. In Japan werden pro Jahr etwa 300’000 Tonnen Algen vertilgt; in China gar 3 Millionen Tonnen. Aber auch an den europäischen Küsten gehörten Algen früher zur traditionellen Küche, gerieten dann jedoch in Vergessenheit. Heute werden sie beispielsweise in Irland, Schottland, Frankreich oder vor der Nordseeinsel Sylt wieder kultiviert. In Wales ist ein „Laverbread“, schwarzes Brot aus dem Meer aus Dulse-Algen bekannt. Algen können also für viel mehr als nur für Sushi-Röllchen oder Miso-Suppe verwendet werden: Rohköstler und Veganer geniessen schon längst verschiedene Algenarten wie Dulse, Wakame, Kelp, Kombu, Nori und sogar Meeres-Spaghetti.
Nori ist eine Rotalge und wohl am bekanntesten, denn in Nori-Algenblättern wird Sushi eingerollt. Nori ist reich an Kalzium, Beta-Carotin und Jod. Die Alge ist ideal für Diäten und bei vegetarischer Ernährung.
Wakame ist weich, enthält viel Kalzium und hat einen leichten Fischgeschmack. Sie ist empfehlenswert für Kinder, Schwangere und Sportler. Aufgrund des reichen Eisengehalts ist die Wakame Alge auch für Vegetarier gut geeignet. Sehr gern wird sie für Brühen und Suppen verwendet.
Kombu wird vor allem als getrocknete Flocken angeboten und bildet einen Grundbestandteil der japanischen Würz-Brühe Dashi. Man kann Kombu aber auch kochen oder frittiert als Gemüse oder Chips geniessen. Kombu gedeiht am besten in den nördlichen Gewässern Japans, aber auch in Frankreich.
Eigentlich schade, dass niemand Algen zu mögen scheint, dachten sich zwei Jungunternehmerinnen aus Niedersachsen und gründeten das Startup Evergreen Foods. Das Ziel: die Mikroalge Chlorella vulgaris einem breiteren Publikum schmackhaft machen. Dabei kamen Algenperlen heraus, quasi ein veganer Kaviar, der in zwei Geschmacksrichtungen angeboten wird: Essig-Öl (für Salate und herzhafte Gerichte) und Heidelbeere (für Quark oder Süßspeisen).

Chlorella-Algen unter dem Mikroskop
… nicht nur für Sushi
Chlorella-Algen sind als Ergänzung zu unserer täglichen Nahrung so bedeutsam, weil sie grosse Mengen an gesunden Ballaststoffen und alle fettlöslichen und wasserlöslichen Vitamine enthalten. Zugleich stellt die grüne Alge die lebensnotwendigen sekundären Pflanzenstoffe zur Verfügung. Ausserdem kann sie mit wichtigen Mineralien wie Natrium, Kalium, Magnesium oder Eisen sowie Spurenelementen aufwarten. Der besondere Reichtum an optimal verwertbaren Vitalstoffen macht Chlorella zu einem so hochwertigen Nahrungsmittel.
Die Afa-Alge – Aphanizomenon flos-aquae = „unsichtbar lebende Wasserblume“ – wächst wild im Klamath-See, einem Bergsee, gespeist von den mineralstoffreichen Quellwassern aus dem 600 Meter tiefen Crater Lake, im Vulkangebirge der Cascade Mountains Oregons auf 1400 Meter Höhe. Dieses einzigartige Biotop in einem Naturschutzgebiet mit seltenen Tieren wie Weißkopfseeadlern ist mineralstoffreich und sehr basisch. Afa-Algen werden von verschiedenen indianischen Volksgruppen seit Jahrhunderten wegen ihrer ausgezeichneten ernährungsphysiologischen Eigenschaften genutzt und sollen körperliche Widerstandsfähigkeit, mentale Klarheit, Energie und Konzentration unterstützen.

Cyano-Bakterien (‘Blaualgen’ oder ‘blaugrüne Algen’, Phytoplankton)
Spirulina-Algen zählen wie Chlorella und Afa ebenfalls zu den Mikroalgen. Es handelt sich bei ihnen aber eigentlich um Cyanobakterien. Der Name ist auf die bläuliche Färbung zurückzuführen. Der ideale Lebensraum von Mikroalgen wie Spirulina sind bestimmte Seen. Mittlerweile gelingt es auch, sie in grossen Becken künstlich zu züchten. Spirulina-Algen sind besonders reich an lebenswichtigen Vitalstoffen, was sie zu sehr hochwertigen Nahrungsmitteln macht. In Zentralafrika und Mexiko dienten die blaugrünen Algen den Menschen schon lange als Nahrungsmittel. Gründlich erforscht – auch im Hinblick auf die Möglichkeit, den Hunger in der Welt zu bekämpfen – wurde Spirulina im letzten Jahrhundert vom japanischen Wissenschaftler Nakamura, der auch den Grundstein für die kommerzielle Verwertbarkeit der Mikroalge legte. Heute gibt es Spirulinafarmen in Thailand, in Kalifornien, auf Hawaii sowie in Peru, Taiwan, Israel, Chile und zahlreichen weiteren Ländern.
Doch weshalb in die Ferne schweifen? Auch hierzulande werden die Superfoods aus dem Meer gerade neu entdeckt, zumal wir hier mit das sauberste Wasser haben. In Irland hält zum Beispiel gerade der Seetang Einzug in die Gourmet-Küchen. Nicht nur der Geschmack ist grossartig, sondern auch die gesundheitsfördernde Wirkung: Seetang enthält viele Nährstoffe und Vitamine. Unter dem schleimigen Äusseren verbergen sich Jod, Eisen, Kalzium, Vitamin E, Vitamin C und Chlorophyll. Die Braunalgenart Fucus vesiculosus, besser bekannt als Blasentang, enthält alle Mineralstoffe der Welt. Irisch Moos oder Carrageen ist reich an Kalzium und seit langem für seine heilende Wirkung bekannt. Die Irish Seaweed Company verkauft handgeernteten essbaren Seetang von der Küste Antrims.
… sondern auch als entgiftendes Superfood
Algen können aber noch viel mehr. Sie vermögen unseren Körper von Schwermetallen und Umweltgiften zu reinigen, denn sie ziehen wie ein “Bio-Schwamm” alle Giftstoffe im Darm an sich, so dass diese ausgeschieden werden können. Bei der klassischen Schwermetallausleitung nach Dr. Klinghardt zum Beispiel werden Chlorella-Algen eingesetzt. Doch Vorsicht: gerade weil Algen die wunderbare Fähigkeit haben, Gifte an sich zu binden, sollte beim Kauf auch auf absolute Reinheit geachtet werden. Leider kommen immer mehr Billigprodukte auf den Markt, mit denen man sich mehr vergiftet anstatt entgiftet, denn viele dieser Algen enthalten bereits selber grosse Mengen Schadstoffe, weil sie in unsauberen Gewässern angebaut wurden! Am reinsten sind Algen, welche wie oben beschrieben in einem geschlossenen System angebaut werden.
… und als biologisch abbaubarer Plastik-Ersatz
Aus den Alleskönnern Algen werden auch schon längst Kosmetika, Dünger oder vegane Gelier- und Bindemittel, z.B. Agar-Agar oder Irish Moss (Carrageen) hergestellt, und jüngst hat ein Produkt-Designer aus Island daraus eine biologisch abbaubare Plastikflasche als Alternative zu PET-Flaschen erfunden. Im Gegensatz zu Plastik, der 1000 Jahre braucht um abgebaut zu werden, und dem “Bioplastik” aus Mais, der erst bei 60°C kompostiert, zersetzt sich diese Flasche in kürzester Zeit, sobald sie leer ist. Aber nicht nur das, man kann sogar noch auf ihr herumkauen, wenn man Hunger hat und den Geschmack mag.
Algen sind nicht nur “gut”, möchte man einwenden, wenn man an die Grünalgen-Plage in der Bretagne denkt. Doch schaut man genauer hin, sind nicht die Algen selber an der immer rasanteren Vermehrung mit dramatischen Folgen schuld, sondern die Klimaerwärmung und die Überdüngung des Meeres durch die industrielle Landwirtschaft.
Hierzulande mögen viele über Algen auf dem täglichen Speiseplan noch die Nase rümpfen. Essgewohnheiten können sich aber ändern und manchmal ist das auch “not-wendig” im wahrsten Sinne des Wortes. Algen haben definitiv ein grosses Potenzial, um in der Zukunft Menschen und Tiere auf nachhaltige Art zu ernähren. Wir sind gespannt auf weitere innovative Ideen und Projekte.
Quellen und weiterführende Links:
Urban Gardening vom 13.08.2015: Garten der Zukunft – Wie Algen die Stadt erobern
Powerfood: Algen als Nahrungsmittel der Zukunft?
Wiki how: How to grow Chlorella for a Food Supplement
ARTE Makertutorial: Mikro-Algen selber anbauen
Wie kann man Algen zu hause anbauen? Und was ist dabei zu beachten?
Persönlich habe ich für den Algenanbau zu Hause ähnliche Bedenken wie für hors sol Gemüseanbau – da die Umgebung nicht der natürlichen entspricht…
Für hilfreiche Information oder wenigstens gute Adressen dafür empfehle ich die Forschungsgruppe Aquakultursysteme der Fachhochschule Wädenswil zu kontaktieren. Ihre Webseite ist https://www.zhaw.ch/de/lsfm/institute-zentren/iunr/ecological-engineering/aquakultursysteme/ .
Viel Erfolg!