Gemäss Bundesgerichtsentscheid BGE 129 II 385 sind die gestützt auf Art. 6 des Schoggigesetzes (SR 632.111.72) gewährten Ausfuhrbeiträge keine Finanzhilfen im Sinne des Subventionsgesetzes (SR 616.1). Sie führen keine Vergünstigung herbei, sondern gleichen den der schweizerischen Nahrungsmittelindustrie durch die Agrargesetzgebung verursachten Preisnachteil beim Bezug inländischer Rohstoffe gegenüber ihrer ausländischen Konkurrenz aus.
Hingegen gelten Ausfuhrbeiträge im internationalen Handelsrecht der WTO als Exportsubventionen. Das WTO-Agrarabkommen (1) enthält in Art. 1 lit. (e) eine Begriffsdefinition für Exportsubventionen und legt in Art. 9 Abs. 1 lit. (f) den Geltungsbereich für Verpflichtungen betreffend Exportsubventionen ausdrücklich auch für landwirtschaftliche Verarbeitungserzeugnisse fest.
Das folgende “Wort des Präsidenten” aus dem Jahresbericht 2013/14 der Mühlengenossenschaft Kanton Bern MGB zeigt die Zusammenhänge zwischen den Getreideproduzenten, der ersten Verarbeitungsstufe, der zweiten und exportierenden Verarbeitungsstufe, dem Regulator (Parlament, beeinflusst durch SECO und Bundesrat), sowie indirekt eben der WTO auf, mit dem Ziel, den Mechanismus (die innere Dynamik hinsichtlich der Nachfrage – und schliesslich des verbleibenden Angebotes landwirtschaftlicher Produktion) erkennbar zu machen. Wir bedanken uns bei der MGB für ihre freundliche Genehmigung, hier den Artikel zu publizieren.
Warum wir auf das Schoggigesetz nicht verzichten dürfen
Geschätzte Leser
Im Jahresbericht der Mühlengenossenschaft Kanton Bern soll sich der Präsident zu strategisch wichtigen Themen Müllerei, oder der Wertschöpfungskette Getreide äussern. Es ist ja schon etwas Tradition für die MGB auch etwas über den eigenen Tellerrand hinauszublicken.
Es gibt ein solches strategisches Thema, das von kaum jemandem verstanden wird, das uns Müller aber ebenso beschäftigen muss, wie die Getreideproduzenten, unsere Kunden – und letzlich auch die Bürger: Das Rütteln am sogenannten „Schoggigesetz“!
Worum geht es ?
Da die Schweiz aus objektiven Gründen Getreide (und damit auch Mehl) nicht so günstig produzieren kann wie das Ausland, werden exportierenden Firmen (wie Nestlé, Hug, Kambly etc.) die Differenzbeträge (nur auf den verarbeiteten und exportierten Rohstoffen) zurückerstattet. Damit bleiben sie international einigermassen konkurrenzfähig und können v.a. ohne Nachteile schweizerische Agrarrohstoffe oder verarbeitete Produkte der ersten Stufe einkaufen. Finanziert werden diese Beträge aus Zolleinnahmen, und nicht etwa aus Steuergeldern.
Es handelt sich hier übrigens um Kompensationen für die Standortnachteile der schweizerischen Landwirtschaft und somit auch der ersten Verarbeitungsstufe. Es ist sachlich falsch, wenn diese Zahlungen etwa irrtümlich als „Subventionen“ bezeichnet werden.
Mengenmässig betrifft das Schoggigesetz u.a. mehrere 10‘000 to Getreide und Mehl, worauf ich mich im Folgenden beschränke.
Die WTO, die immer noch der Ideologie der 90’er Jahre des „Wachse oder weiche“ und der totalen Derregulierung anhängt, hätte solche Zahlungen nach ursprünglichem Plan auf 2013 abschaffen wollen. Doch mangels Einigkeit in der Doha-Runde blieb uns dieses Szenario zum Glück erspart. Bei der Schwäche des derzeitigen Bundesrates bei der Verteidigung inländischer Anliegen gegen aussen hätte kaum damit gerechnet werden können, dass sich die Schweiz hier selbstbewusst gewehrt hätte, wie dies etwa Bundesrat Hans Schaffner im GATT seinerzeit für die Landwirtschaft erfolgreich gemacht hatte. Die Doha-Runde einigte sich in Bali einzig darauf, dass man Exportsubventionen auf Agrargütern zu einem nun nicht mehr (!) definierten Zeitpunkt beseitigen wolle. – Im Klartext: Jeder kann nun so handeln, wie es für ihn sinnvoll ist.
Leider trat nun eine typische Krankheit der offiziellen Schweiz ins Spiel: Das Musterschülersyndrom, bzw. der vorauseilende Gehorsam, der der Schweiz jährlich internationalen Respekt, wertvolle potentielle Verhandlungspfande und viel Geld kostet. V.a. der Bundesrat und das SECO sind bestrebt, ohne Druck und ohne Not die Exportrückerstattungen zu beseitigen. Das SECO – so z.B. nachzulesen in der Oktoberausgabe der Zeitschrift alimenta – befürwortet die völlige Beseitigung des Schoggigesetztes unter Berufung auf die WTO. – Das wirft Fragen auf. Die Erstattungen des Schoggigesetztes sind nämlich keine Subventionen. Diese schon oben erwähnte Präzisierung ist nicht etwa Wortklauberei, wie man zuerst meinen könnte. Die Klarstellung, als was diese Rückerstattungen einzustufen sind, ist im Gegenteil von derartiger Tragweite für die zahlreichen Betroffenen, dass sich sogar das Schweizerische Bundesgericht schon damit befasst hat. Im BGE 129 II 385 vom 25.4. 2003 hielt es hierzu klar fest: „Die gestützt auf Art. 6 des Schoggigesetzes gewährten Ausfuhrbeiträge sind keine Subventionen …“! – Die WTO aber, die weder von der Schweiz noch von anderen Ländern je als übergeordnetes Gesetzgebungsorgan demokratisch gewählt wurde, definiert die Subventionen, die sie nach ihrer Ideologie abschaffen möchte, anders als die Schweiz, bzw. das oberstes Schweizergericht.
Es ist nun doch zweifelhaft, ob es tatsächlich Sache des SECO als Verwaltungsorgan der Schweiz ist, nun einfach die fremde WTO-Definition beizuziehen, und auf die Verwirklichung deren Ideologie hinzuwirken! Erstens ist die Verwaltung gegenüber der Schweiz verpflichtet und nicht ausländischen Organisationen, und zweitens ist es schlicht nicht Sache der Verwaltung (oder der Exekutive), Gesetzgeber spielen zu wollen. -Ich halte das für undemokratisch und staatpolitisch unkorrekt.
Auch sachlich, nämlich im Hinblick auf eine Besserstellung der Landwirtschaft in Schwellenländer, steht das Schoggigesetz in keinem Zielkonflikt: Wenn z.B. Leisi einen Blätterteig zu ähnlichen Preisen wie in Frankreich nach Frankreich oder Kambly ein Biscuits nach Deutschland verkauft, wird dadurch kein armer afrikanischer Bauer seiner Geschäftsmöglichkeiten beraubt.
Der gem. WTO heute mögliche Exportrückerstattungsbetrag für die Schweiz von 114 Mio. Fr. jährlich wurde totzdem bereits „freiwillig“ auf rund 70 Mio. Fr. gekürzt, und das Parlament, das dieses Gesetz und v.a. seine komplizierten Kettenreaktionen kaum kennt (was sich bei persönlicher Nachfrage bei einigen Parlamentarier klar bestätigte- einer meinte, man könne doch so Steuern sparen, und einer glaubte sogar, es gehe hier darum, hohe Boni der Néstlé zu finanzieren), lehnte auch nur einen ganz geringfügigen Aufstockungsantrag ab.
Im Fall von Getreide und Mehl haben sich der DSM und der SGPV bisher darauf geeinigt, den Fehlbetrag je hälftig aus eigener Kasse (bzw. der betroffenen Mitglieder) zu bezahlen. Das schmerzt diverse Betriebe sehr und ist nicht auf Dauer tragbar. Trotzdem stellte eine Bundesrätin jüngst öffentlich fest, dass die Kürzung in den letzten Jahren doch „gegangen“ sei, womit ja auch kein Grund zur Änderung bestehe. – Sie ist nicht Ökonomin. Sie hat völlig ausser acht gelassen, dass diese Beträge bei den knappen Margen in der Müllerei einfach die Abschreibungsmöglichkeiten der betroffenen Betriebe einschränkte – und das rächt sich eines Tages !
Was geschieht denn, wenn die Rückerstattungslücke mangels Geld der privaten Betriebe oder durch Beseitigung des Schoggigesetztes schliesslich nicht mehr gedeckt werden könnte ?
Es beginnt eine Kettenreaktion: Entfällt die Möglichkeit zur Exportrückerstattung, haben die exportierenden Firmen von Gesetztes wegen automatisch (!) die Möglichkeit zum Veredelungsverkehr. D.h., sie führen dann ausländisches Mehl in die Schweiz ein, ohne es zu verzollen, verarbeiten es, und führen es wieder aus. Dabei gilt erst noch das Aequivalenzprinzip, d.h., sie müssen nur gleichartiges Mehl verarbeiten, haben aber z.B. keine Probleme mit zusätzlichen separaten Lagerplätzen, Trennvorkehren, etc.
Im Gegensatz zum weit verbreiteten Irrtum dienen die Exportrückerstattungen also nicht dazu, Milliardengewinne von gewissen Grossunternehmen zu stützen, sondern sie dienen der Landwirtschaft und der ersten Verarbeitungsstufe, damit sie überhaupt in die Kanäle exportierender Schweizerfirmen liefern können.
Entfielen nun also die Exportrückerstattungen oder würden reduziert, machen die exportierenden Firmen aus betriebswirtschaftlichen Ueberlegungen sofort Gebrauch von dieser Möglichkeit des Veredelungsverkehrs, da sonst der betroffene – und erhebliche – Exportanteil zwangsläufig wegbrechen würde. Als Konsequenz gingen dann den Bauern und den Mühlen diese Getreide- und Mehlanteile (die beim Veredelungsverkehr dann eben aus dem Ausland kämen) verloren. Die Landwirtschaft könnte also erheblich weniger Brotgetreide anbauen, und für einige Mühlen würde dies vielleicht sogar das Aus bedeuten.
Doch die Kettenreaktion ginge weiter: Die Mühlen, die nicht sofort aufgeben müssten, müssten versuchen, mit Mehrmengen in anderen Kanälen den Verlust zu kompensieren. Da der Schweizermarkt stagniert und Schweizermühlen praktisch nicht exportieren können (schon gar nicht Commodities wie Normalmehl, das 90% der schweizerischen Produktion ausmacht), wäre dies nur über einen verschärften Preiskampf möglich. Dies wiederum würde noch mehr Mühlen dazu führen, dass sie dann nicht mehr Break-even produzieren könnten. Wollen sie nicht aufgeben, müssten sie versuchen, den Preis auf dem Getreidemarkt zu drücken. Dieser Druck auf die Getreideproduzenten müsste sogar erheblich sein, um die Zahlungsfähigkeit der Verarbeiter aufrechterhalten zu können.
Damit hätten die Landwirte mehrere Probleme: Sie verlören a) erhebliche Mengen auf dem Getreidemarkt, und würden b) zudem auch noch einem verschärften Preisdruck ausgesetzt. – Die heute schon knappen Margen könnten somit den Brotgetreideanbau in der Schweiz – rationales und betriebswirtschaftliches Verhalten der Landwirte vorausgesetzt – gefährden. Schon 1914 hatten wir diese Situation, als der Brotgetreideanbau mangels Rentabilität in der Schweiz fast vollständig zum Erliegen kam.
Auch Agrarpolitisch gäbe es Konsequenzen: Die Kräfte, die den Agrarfreihandel befürworten, würden wieder gestärkt. – Warum? Die Unternehmen, die sich ehemals so enorm für den Agrarfreihandel eingesetzt haben, taten dies zum grossen Teil im Hinblick auf den vermuteten Abschluss der Doha-Runde und die gefürchtete Aufhebung des Schoggigesetztes per 2013. Das war ihr Haupttreiber für einen Agrarfreihandel – und aus ihrer Sicht auch nachvollziehbar. – Da dieser Abschluss nicht kam, wurde es auch im Parlament wieder ruhiger: Einmal weil sich die Erkenntnis durchsetzte, dass eine produzierende schweizerische Landwirtschaft – abgesehen von Nischenprodukten – bei einem freien Markt wohl wegfallen würde, aber eben auch wegen harten finanziellen Gründen aus der Verarbeitungsindustrie: Die Diskriminierungsgefahr auf ausländischen Märkten wegen der Verwendung schweizerischer Rohstoffe war nun eben gebannt. – Mit der Beseitigung des Schoggigesetztes würden genau diese hochgefährlichen Kräfte wieder aktiviert !
Ich wage aus derzeitiger Sicht daher folgende Behauptung:
Fällt das Schoggigesetz, droht eine erhebliche Gefährdung von BV 104 !
(Artikel 104 der Bundesverfassung, der besagt, dass die Landwirtschaft einen wesentlichen Teil zur sicheren Versorgung der Schweiz mit Nahrungsmitteln beizutragen habe.)
Versucht die Verwaltung vielleicht, via Beseitigungsversuche des Schoggigesetztes die Exportindustrie in eine Zwangslage zu bringen? Aber nicht, um ihr wirklich zu schaden, sondern um sie dazu einzuspannen, den parlamentarischen Willen, den Agrarfreihandel auf Eis zu legen, auszuhebeln? Eine böse, aber ich meine nachvollziehbare Hypothese, zumal Bundesrat und Verwaltung nachtragend sind und sich offensichtlich seit Jahren damit schwertun zu akzeptieren, dass in der Schweiz der Souverän das oberste Organ ist – und nicht die Exekutive oder die Verwaltung.
Wenn jeder Leser diese Zusammenhänge in seinem Bekanntenkreis zu verbreiten hilft, kann er der ganzen Getreidebranche, letztlich aber den Konsumenten im Sinne der Versorgungssicherheit, erhebliche Dienste erweisen. Lasst uns also auch versorgungspolitisch aktiv sein!
Hermann Dür
Präsident MGB