Gemeinsam statt Einsam – Bessere Ernährung dank regionalem Wirtschaften
Welternährungstag 2017 – 14. Oktober 2017 Olten
Hungerkrisen durch Krieg und Vertreibung – und die Welt schaut zu. Täglich erreichen uns Bilder von hungernden Kindern, Millionen von unterversorgten Kriegsflüchtlingen, ertrunkenen Menschen im Mittelmeer. Wir sind es leid, die Informationen erreichen unseren Kopf, aber nicht unsere Herzen. Denn wenn wir keine Möglichkeit sehen, diese katastrophalen Zustände zu ändern, stumpfen wir ab, resignieren, leben uns individuell aus und schauen auf die sonnige Seite unseres Daseins hier in der Schweiz.
Nicht wegschauen und Lösungen vorschlagen, das war das Motto der Tagung.
Hunger ist ein Skandal
Thomas Gröbly, der durch den Anlass führte, brachte es in seiner Einleitung auf den Punkt: Rund 800 Millionen Menschen hungern weltweit, 8500 Kinder unter fünf Jahren sterben täglich an den Folgen des Hungers. Soweit die Zahlen – ein Skandal, der niemanden kalt lässt. Die Weltorganisationen haben auf den Hunger mit Food-Programmen reagiert. Sie wollen den Hunger bekämpfen. Aber ist das der richtige Weg? Kann man Hunger bekämpfen? Ist es nicht eher das aktuelle Wirtschaftssystem, in welchem grosse Konzerne immer mehr Macht an sich reissen. Müssen wir nicht dies in Frage stellen müssen? Nun, wir haben die Wahl. Wir können wegschauen und verdrängen oder wir können versuchen, unsere Lebensweise zu ändern. Die Tagung gab Hinweise und konkrete Vorschläge dazu.
Landwirtschaft macht den Unterschied
Da ist zum einen die Landwirtschaft hier und anderswo. Wie können wir sie mitgestalten, wie können wir eine angepasste lokale ressourcenschonende Herstellung von gesunden Lebensmitteln erreichen? Der von neoliberalen Wirtschaftskreisen viel gepriesene Weg der Freihandelsabkommen mit Agrargütern, ist laut Prof. Mathias Binswanger (FHNW) weder für uns im reichen Norden noch für die ärmeren Länder im Süden eine Option. Denn Freihandelsabkommen lassen die Geldflüsse in die Taschen einiger weniger Konzerne fliessen. Die Landbevölkerung, die Kleinbauern und –bäuerinnen, aber auch die ärmeren Menschen in den Städten gehören zu den VerlierInnen.
Neue Abhängigkeiten
Tina Goethe (Brot für alle) stellte ihrem Referat den Titel „Wir fressen die Welt“ voraus und machte die Konsequenzen für die Entwicklungsländer deutlich – die mit billigen Produkten aus dem Norden überschwemmt und so um ihre Existenz gebracht werden. Lokale Märkte brechen zusammen und der Selbstversorgungsgrad nimmt besorgniserregend ab. Auch wir haben am Schluss Nahrungsmittel in den Gestellen der Grossverteiler, die nicht nähren, sondern krankmachen.
Eine andere Welt ist möglich
Es gibt Alternativen und das Interesse daran wächst. Wir können z.B. den Grossverteiler umgehen, denn dort wird zwar mit dutzenden von Labels geworben, aber sie führen uns meist in die Irre. Im Supermarkt stehen wir alleine und häufig gestresst vor einer immensen Auswahl und sollen individuell entscheiden, was nun fair, gesund, saisonal, fein oder gar tierfreundlich ist. Wie lustvoll dagegen ist es, den Gemüseplan gemeinsam fürs ganze Jahr festzulegen oder Arbeitstage auf dem Feld mit anderen aktiven Menschen zu verbringen, wie sinnvoll inzwischen Siedlungen und ganze Stadtteile ihre Nahrungsmittel beschaffen und verteilen, wurde an der Tagung aufgezeigt. Gemeingüter (Commons) sind Güter, die allen zugänglich sein sollten. Aber wie können wir z.B. Saatgut, Gemüse, Wasser, Boden, Allmenden, Wissen so einsetzen, dass ein langfristiger Nutzen für uns alle entsteht und nicht einige wenige Grosse Gewinne daraus schlagen? Silke Helfrich (Commons-Institut) erläuterte mit anschaulichen Beispielen, dass Commons eine neue gemeinsame Identität schaffen. Sie lehren uns wieder zu teilen, zu berücksichtigen, zu diskutieren und gemeinsam zu entscheiden. Ein anderes Wirtschaften jenseits von Markt und Staat ist möglich, bereitet Freude und ist somit ein Weg, um Krisen zu entschärfen.
Dokumentation und Videos der Tagung
Prof. Dr. Mathias Binswanger: Agrarschutz: hilft Bauern in reichen Ländern und schadet Bauern in armen Ländern?
Gemeinschaften und Projekte – Posterausstellung
Verschiedene Gemeinschaften und Projekte wurden vorgestellt: Neben konkreten, gelebten Beispielen die direkt in die Diskussionen einfliessen konnten wurden neue, erst am entstehende Projekte präsentiert, Impulse zum Weiterentwickeln.
Ein Klick aufs Bild bringt Sie zum jeweiligen Poster oder direkt auf die dazugehörende Webseite. Es geht um
- Geschichtliches (die Bäuert Amdelsried und Walliser Geteilschaften)
- Forschung (Forschung zu Landdeals)
- Wissen (ILO My.Coop, die Republik, PLAID)
- Handel (SPP La Fève, gebana AG)
- Saatgut – Gemeingut
- Vertragslandwirtschaften (Basimilch, Garten für Alle, Minga vo Meile, urban Agriculture Basel)
Historische Gemeinschaften:
Forschung zu Landdeals:
Saatgut – Gemeingut
Podiumsdiskussion
Nach der Tagung kam die Anregung, weiter zu machen, mit Worten und Taten.
Und es kam die Aufforderung, um die Ursachen der sozialen und ökologische Krise zu lösen die Arbeitswertlehre zum Nutzen aller weiterzuentwickeln →
Der Artikel “Genossenschaften: Uralt und immer noch lebendig” (erschienen in Einsichten Nr 5, Seite 10) ist ein Aufruf für die dynamische Gestaltung sozialer und ökonomischer Strukturen und Gemeinwesen, die zum Wohle aller laufend angepasst und ergänzt werden können.
Die Referent*Innen
Mathias Binswanger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten und Privatdozent an der Universität St. Gallen. Er war Gastprofessor in Deutschland, China und Vietnam. Mathias Binswanger ist der Autor von zahlreichen Büchern und Artikeln. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Makroökonomie, Finanzmarkttheorie, Umweltökonomie sowie in der Erforschung des Zusammenhangs zwischen Glück und Einkommen. . Gemäss dem Ökonomen-Ranking der NZZ im Jahr 2016 zählt Mathias Binswanger zu den 10 einflussreichsten Ökonomen der Schweiz.
Tina Goethe arbeitet seit rund 15 Jahren zum Thema Landwirtschaft und Ernährung aus entwicklungspolitischer Sicht. Seit 2013 ist sie bei Brot für alle Leiterin des Teams «Recht auf Nahrung». Seit 2012 ist sie Mitglied des Eidgenössischen FAO-Komitees.
Silke Helfrich ist selbständige Publizistin und Commons-Expertin. Sie arbeitet zu Fragen der alternativen Wirtschafts- und Gesellschaftsgestaltung. Themenschwerpunkte sind: Gemeingüter, Commons, P2P Produktion und Care. Silke Helfrich ist Gründungsmitglied der Commons Strategies Group (www.commonsstrategies.org) und des Commons Instituts http://commons-institut.org/. Derzeit erarbeitet sie eine Mustersprache gemeinsamen Handelns (nach Christopher Alexander).
(Bild © A.K., Lizenz: CC ND SA 3.0)
Thomas Gröbly ist gelernter Bauer, Theologe, Dozent für Ethik an der FHNW Fachhochschule Nordwestschweiz und Autor von diversen Artikeln und Büchern. Zuletzt hat er 2016 zusammen mit Fausta Borsani eine Textsammlung zu Fragen des gerechten Agrarhandels herausgegeben: «Zwischen Fairtrade und Profit – Wer sät, der erntet – oder doch nicht», Stämpfli-Verlag Bern. Er ist Mitglied des landwirtschaftlichen Forschungsrates zur Beratung des Bundesamtes für Landwirtschaft. Er ist zudem Inhaber des Ethik-Labors in Baden und Mitinhaber von ecoloc GmbH – Gesellschaft für Lokale Ökonomie in Basel.
Ganz herzlichen Dank an
- Moderator Thomas Gröbly für die souveräne Leitung,
- alle Trägerorganisationen für Ihre Unterstützung schon vor dem Anlass,
- alle Referentinnen und Referenten für Ihre spannenden Referate und Ihre Bereitschaft, diese hier frei zu teilen
- Andreas Volkart für Filmen und “raufladen” der Tagung
- alle Aussteller für Ihre interessanten Präsentationen
- alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer für Ihr Interesse und Ihre Teilnahme, die anregenden Gespräche auch während den Pausen und der Publikumsdiskussion “prolongée” und die Rückmeldungen und Diskussionsbeiträge nach der Tagung.