Todessehnsucht auf dem Bauernhof
Einleitung
Landwirte und Landwirtinnen begehen alarmierend häufiger Selbstmord als andere Bevölkerungsgruppen und während die Suizidrate in der Schweiz eher sinkt steigt sie auf dem Land weiter. Die Ursachen sind vielfältig und komplex. Doch es gibt auch speziell auf Bauern und Bäuerinnen abgestimmte Vorsorge und Hilfsprogramme.
Als 2014 Forscherinnen und Forscher der Uni Bern die Suizidrate auf dem Land untersuchten, kamen sie zu alarmierenden Ergebnissen. Zwischen 1991 und 2014 nahmen sich 447 Landwirte das Leben. Während die Suizid-Rate anderer Schweizer Männer aus ländlichen Gemeinden – analog zur übrigen Bevölkerung – laufend sinkt, nimmt sie bei Landwirten seit 2003 zu. Gemäss der letzten aktuellen Zahlen von 2018 haben Bauern und Bäuerinnen ein 37 Prozent höheres Suizid-Risiko als andere Bevölkerungsgruppen. Erfreulicherweise haben viele Kantone auf die Alarmsignale reagiert und Programme zur Suizidprävention ins Leben gerufen. Dort werden Personen, die in Kontakt mit Landwirtinnen und Landwirten in Verbindungen stehen, geschult, mögliche Alarmsignale zu entdecken. Sogenannte Sentinelles (Wachposten) sind zum Beispiel Tierärzte, Kontrolleure, Treuhänder oder Verkäufer. Sie sollen Warnsignale bei Krisen erkennen und wissen, was zu tun ist. Auch das SRK bietet Gratiskurse für potenzielle Helfer an.
Mögliche Ursachen
Die Ursachen sind prinzipiell wenig erforscht, liegen aber für Fachpersonen auf der Hand. Laut dem Netzwerk Mediation im ländlichen Raum, dass seit 2013 Landwirten und Landwirtinnen bei Konfliktlösungen hilft, seien die Hauptursache für die Suizide auf dem Bauernhof Zukunftsängste, Geldsorgen, Nachfolgeprobleme oder Einsamkeit. Während laut Netzwerkpräsidentin Franziska Feller ältere Bauern mit der Digitalisierung oder mit der zunehmenden Bürokratie, zusätzlich zur Hofarbeit nicht nachkommen, mache den jungen Landwirten die hohe Arbeitslast Sorgen, die dennoch kaum genug Geld zum Überleben einbringe. Tatsächlich können sich gerade kleinere Bauernbetriebe nur mit Zweitjobs über Wasser halten. Rund ein Viertel ihres Jahreseinkommens verdienen Bäuerinnen und Bauern im Durchschnitt durch Nebenverdienste ausserhalb der Landwirtschaft.
Arbeitszeiten
Laut der Arbeitskräfteerhebung und dem Agrarbericht 2022 arbeiten zwei Drittel der Bauern 50 und mehr Stunden pro Woche, bei den Bäuerinnen ein Viertel. Der durchschnittliche Stundenlohn liegt trotz Landwirtschaftssubventionen bei 17 Franken. Und das sind Durchschnittswerte. Es ist davon auszugehen, dass je kleiner und weniger automatisiert der Hof ist, desto mehr Arbeitsstunden anfallen. Die Arbeitszeiten der Bauern gehen bis zu 55 Stunden, während durchschnittliche Gewerbetreibende in der Schweiz 42 Stunden arbeiten. Bei den Frauen sind die Durchschnittsarbeitszeiten zwar deutlich niedriger. Aber deren Hauptaufgabenfeld, wie Haushalt, einfache Instandhaltungsarbeiten, Kinder- und Altenbetreuung bei der Statistik gar nicht erfasst und meist auch unbezahlt.
Noch extremer für die Frauen
Bei den Ferien ist der Unterschied noch krasser. Durchschnittlich bezogen die Landwirte knapp neun Tage und die Bäuerinnen sieben Tage Ferien pro Jahr. Gewerbetreibende Männer machten im Schnitt 21 Tage Ferien pro Jahr, Gewerbetreibende Frauen 17 Tage. Freie Wochenenden und klar abgegrenzte Arbeitszeiten sind bei den Bäuerinnen und Bauern meist ebenfalls Fehlanzeige. Ein Viertel der Bauern und ein Drittel der Bäuerinnen machen überhaupt keine Ferien. Kommt hinzu, dass die Bauern und Bäuerinnen diese Lasten stemmen, obwohl sie im Durchschnitt 10 Jahre älter sind als die Gewerbetreibenden. Insgesamt Arbeitsbedingungen, die mit den gesetzlichen Schutzbestimmungen für Arbeitnehmende völlig unvereinbar wären und jede Gewerkschaft mit Recht und Erfolg auf die Barrikaden treiben. Aber für Selbstständige und in diesem Fall auch Bauern gilt das Arbeitsgesetz nicht.
Landflucht
All Diese Faktoren allein würden reichen, um vielen Menschen den Lebensmut zu rauben. Zumal aus Sicht der Betroffenen weit und breit keine Besserung in Sicht wäre. Das sind fast Laborbedingungen zum Heranzüchten eines Burnouts und/oder Depressionen. Kommt gerade bei den Männern mittleren Alters die Einsamkeit hinzu. Als Landwirt eine Partnerin zu finden ist sehr, sehr schwer. Und je abgelegener der Hof, umso schwerer. Ein Biobauer aus der Umgebung von Mürren, der anonym bleiben möchte, erklärte einem unserer Mitarbeiter, «wenn die Jungen hier oben die Schule abgeschlossen haben, gehen sie ins Tal und machen eine Ausbildung. Bei den Jungs normalerweise eine Landwirtschaftsausbildung und sie übernehmen den Hof, lassen sich auszahlen oder arbeiten weiter mit. Die Mädchen kommen fast nie zurück und suchen sich einen Job und Partner in der Stadt. Mit Glück lernt man, wie ich, eine Frau im Tal kennen, die mit dem Bergbauernleben klarkommt.» Aber das Glück haben wenige. Wie auch. «Wir haben nur wenig Möglichkeiten, Frauen kennenzulernen.» Immerhin, so der Bauer, habe das Internet auch für Landwirte neue Möglichkeiten zur Brautschau eröffnet.
Last der Tradition
Es sind aber nicht nur die ökonomischen Bedingungen, die vor allem Bauern (die Suizidrate unter Frauen ist deutlich geringer) in den Freitod treiben. Laut der Literaturstudie «Suizid in der Landwirtschaft» der Berner Fachhochschule sind konservative Welt-, traditionelle Rollenbilder und mangelnde Information über vorhandene Hilfsangebote zusätzliche Risikofaktoren. Hilfsangebote werden gern als sinnloses Geschwätz abgetan. Das konservative männliche Selbstbild hindert die Bauern daran, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Das Gefühl zu versagen wird als demütigend empfunden und verschärft die Probleme noch. Auch wird die Arbeit in der Landwirtschaft meist als Berufung und nicht als Beruf – also als Lebenssinn – gesehen, was ein mögliches Scheitern um so schlimmer macht. Kommt hinzu, dass der rapide Wandel des Berufsbildes als Landwirt – zum Beispiel durch die Digitalisierung – zusätzlich als Bedrohung der Identität wahrgenommen wird. Die schwindende Wertschätzung der bäuerlichen Arbeit verursacht das Gefühl, abgelehnt und ungerecht behandelt zu werden. Und schliesslich, so die Literaturstudie, erschwert die geographische Abgelegenheit vieler Bauernhöfe den Zugang zu vorhandenen Hilfsangeboten.
« Gemäss der letzten aktuellen Zahlen von 2018 haben Bauern und Bäuerinnen ein 37 Prozent höheres Suizid-Risiko als andere Bevölkerungsgruppen. »
So kann ich mir selber helfen
Praktisch alle Menschen, die einen Selbstmordversuch überlebt haben, sind froh, dass ihr Vorhaben gescheitert ist. Viele versuchte oder erfolgte Suizide passieren im Affekt, oft unter Alkoholeinfluss und sind schon wenige Tage nach dem Suizidversuch nicht mehr nachvollziehbar. Sollte Sie spontan an Suizid denken, oder sich gerade in einer seelischen Krisensituation befinden, sollten Sie gewisse Risikofaktoren beseitigen. Auf vielen Bauernhöfen befinden sich Jagd, oder alte, aber nicht entsorgte Militärwaffen inklusive Munition. Deponieren Sie die Munition oder das Gewehrschloss ihrer Jagdwaffe vorübergehend bei einer Person ihres Vertrauens oder geben sie alte Militärwaffen beim nächstgelegenen Polizeiposten zur Vernichtung ab.
Reden sie mit einer Vertrauensperson über ihre Suizidgedanken und schliessen Sie einen Überlebenspakt. Versprechen Sie zum Beispiel ihrer Vertrauensperson, dass Sie, bevor Sie wirklich einen Suizidversuch unternehmen, professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.
Hier finden Sie Hilfe
Sorgentelefon 143
Das Sorgentelefon der dargebotenen Hand ist unter der Nummer 143 rund um die Uhr erreichbar. Hier finden sie immer ein offenes Ohr und Informationen für weiterführende Hilfsangebote. Überraschenderweise wissen aber nur 40 Prozent der Schweizer Bevölkerung davon.
Bäuerliches Sorgentelefon
(Mo, Di und Do)
041 820 02 15
Die Schweizerische reformierte Arbeitsgemeinschaft Kirche und Landwirtschaft betreibt unter der Nummer 041 820 02 15 ein «Bäuerliches Sorgentelefon», das speziell auf die Probleme von Bauern, Landarbeitende und deren Angehörige zugeschnitten ist. Telefonzeiten sind Montag 8.15-12h, Dienstag 13-17h und Donnerstag 18-22h. Ob Sie der katholischen, reformierten, einer anderen oder gar keiner Glaubensgemeinschaft angehören, spielt keine Rolle. Das Sorgentelefon vermittelt Rat und Hilfe für alle.
Homepage
Der Schweizerische Bäuerinnen- und Landfrauenverband betreibt eine Homepage, über die in der Landwirtschaft tätige Männer und Frauen einfach Hilfe und Unterstützung erhalten.
www.landfrauen.ch/ueberlastung-und-burnout-praevention/
www.hofkonflikt.ch
Nicht selten gehen Burnouts, Depressionen und schliesslich Suiziden familiäre, soziale oder ökonomische Konflikte, Beziehungskrisen und Streitereien (zum Beispiel um die Hofnachfolge oder Nachbarschaftsprobleme) voraus. Die Vereinigung Netzwerk Mediation im ländlichen Raum, bietet unter der Nummer 031 941 01 00 oder auf der Homepage info@hofkonflikt.ch Hilfe, um solche Konflikte zu vermeiden.
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