Die Machtgruppen, welche die industrielle Landwirtschaft in der Schweiz zementieren.
Inhaltsverzeichnis
Teil I : Vom Generalstreik bis heute – Beginn der Allianz zwischen Industrie, Landwirtschaft und Politik in der Schweiz
Industrielle Landwirtschaft – bäuerliche Landwirtschaft
Der Generalstreik von 1918: ein entscheidender Wendepunkt
Der Aufbau des SBV und die Rolle von Ernst Laur
Die Modernisierung der Landwirtschaft und die Herausforderungen der Nachkriegszeit
Der Weg zur industrialisierten Landwirtschaft
Fazit
Teil II: Wie die Allianz zwischen Politik, Industrie und Landwirtschaft gestärkt wird
Der Bundesrat: die politische Vertretung der Landwirte
Der Schweizerische Bauernverband (SBV): ein zentraler Akteur in der Agrarlandschaft
Landwirtschaftliche Genossenschaften: eine schrittweise wirtschaftliche Integration
Schlussfolgerung
Teil I: Vom Generalstreik bis heute – Beginn der Allianz zwischen Industrie, Landwirtschaft und Politik in der Schweiz
Teil I dieses Artikels fasst den ersten Teil des Vortrags von Frédéric Deshusses zusammen, den er anlässlich eines MAPC-Fortbildungstages gegeben hat. Er stellte die Geschichte und Strukturierung der Allianzen zwischen Bauern, Industrie und Politik vor, die bis heute fortbestehen.
Die Geschichte der Allianzen zwischen Industrie, Landwirtschaft und Politik in der Schweiz ist geprägt von Schlüsselereignissen und Symbolfiguren, die die wirtschaftliche und soziale Landschaft des Landes geformt haben. Diese komplexe Dynamik hat ihre Wurzeln in den Umwälzungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, insbesondere dem Generalstreik von 1918, der eine entscheidende Rolle bei der Strukturierung der Beziehungen zwischen diesen Sektoren spielte.
Industrielle Landwirtschaft – bäuerliche Landwirtschaft
Charakteristisch für die industrielle Landwirtschaft sind ihre Abhängigkeit von Industrieprodukten, die Konzentration von Betrieben, die Kommerzialisierung natürlicher Ressourcen, niedrige Preise für die Bauern und Bäuerinnen und eine geografische und soziale Arbeitsteilung. Sie basiert auf dem intensiven Einsatz von Maschinen, synthetischen Pflanzenschutzmitteln und ist auf Produktions- und Gewinnmaximierung ausgerichtet. Im Gegensatz zur bäuerlichen Landwirtschaft, die die Verteilung (im Gegensatz zur Kapitalkonzentration) und die Arbeit im Einklang mit der Natur sowie die Qualität der Produkte und die lokale Entwicklung fördert, konzentriert sich die industrielle Landwirtschaft auf Effizienz, Rentabilität und Grössenvorteile mit u. a. der Güterzusammenlegung, die oft zu Lasten der kleinen Betriebe geht. Die industrielle Landwirtschaft ist nicht nur eine Produktionsweise: sie strukturiert auch die sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen innerhalb der Bauernschaft und des Bürgertums.
In der Schweiz begann die Industrialisierung der Landwirtschaft früh, mit einer raschen Integration in den lokalen und globalen Markt ab den 1880er Jahren. Dies ist eine Schweizer Besonderheit, Peter Moser schreibt „So entstand eine Landwirtschaft, die stark integriert ist (…) durch ihren Kauf von Düngemitteln, landwirtschaftlichen Maschinen wie auch durch ihren Verkauf an die Verarbeitungsindustrie. Die Milchindustrie dominierte die Viehzucht und die Landwirtschaft war nur ihre Rohstofflieferanten, das Schlachtvieh und die Schweine ihre Nebenprodukte.“ Ab dem Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Landwirtschaft industrialisiert und 1906 war bereits eine Verringerung der kleinbäuerlichen Betriebe zu beobachten. Der Erste Weltkrieg beschleunigte diesen Prozess und kam vor allem den Grossbauern zugute.
Der Generalstreik von 1918: ein entscheidender Wendepunkt
Der Generalstreik von 1918 war zwar kurz, hatte aber tiefgreifende Auswirkungen auf die Schweizer Gesellschaft. Er offenbarte die Spannungen zwischen den verschiedenen sozialen Klassen und machte die unterschiedlichen Interessen innerhalb des Bürgertums selbst deutlich. Die Bauern und Bäuerinnen, die zunächst auf kantonaler Ebene politisch organisiert waren, nutzten diese Situation, um ihre Position zu stärken, ebenso wie der Finanzplatz Schweiz. Zentrale Figuren dieser Zeit waren Rudolf Minger, der Gründer der Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB) und Schlüsselfigur bei der politischen Strukturierung des Bauernstandes, sowie Ernst Laur, der die Annäherung zwischen Bauernschaft, Industrie und Politik förderte, indem er die politische Stärke des Standes der Bäuerinnen und Bauern als Bollwerk gegen die sozialistischen Kämpfe in der Schweiz hervorhob.
In dieser Zeit wurden die ersten Bauernparteien gegründet. Sie gewannen schnell an politischem Einfluss und waren 1919 bereits mit 30 Sitzen im Parlament vertreten. 1921 stieg ihre Zahl weiter auf 34. Das war für neu gegründete Parteien bemerkenswert. Das Bündnis zwischen der Bauernschaft und der Industriebourgeoisie festigte sich in den 1920er Jahren.
Der Aufbau des SBV und die Rolle von Ernst Laur
1897 wurde der Schweizerische Bauernverband (SBV) gegründet (Schweizer Bauernverband feiert 125. Geburtstag), um die Interessen der Landwirte auf nationaler Ebene zu vertreten. Ernst Laur war sein erster bezahlter Sekretär und dann bis 1939 Direktor. Er spielte eine entscheidende Rolle bei der Strukturierung und dem politischen Einfluss. Er war es, „der die Politik und Ideologie des SBV formulierte und sie kenntnisreich und wortgewaltig in der Öffentlichkeit vertrat. Indem es ihm gelang, die bäuerlichen Organisationen anlässlich der Auseinandersetzung um den Zolltarif 1902 hinter einer gemässigten Schutzzollpolitik zu vereinen, machte er den SBV zum wirtschaftspolitischen Machtfaktor. Ohne selbst ein parlamentarisches Mandat auszuüben, verfügte Laur über grossen politischen Einfluss. So konnte er als Delegierter des Bundesrats für Handelsverträge (1904-1945) die Zollpolitik direkt mitgestalten. Der Erste Weltkrieg brachte den Verbänden einen Machtzuwachs. In der Lebensmittelversorgung übernahmen sie quasi exekutive Funktionen. Entsprechend spielte Laur in der Kriegswirtschaft eine wichtige Rolle. … Laurs Einfluss beruhte nicht zuletzt auf den Buchhaltungserhebungen seines Bauernsekretariats, die ihm einerseits statistische Munition für die Interessenpolitik des Verbands, andererseits die Grundlage für eine bäuerliche Betriebslehre lieferten, die internationale Ausstrahlung gewann.“
Laur führte ein protektionistisches Steuersystem ein und erreichte in den Jahren 1925-30 die Einführung von Zöllen auf die Einfuhr von Agrarprodukten, um die einheimische Produktion zu schützen und gleichzeitig der Industrie seine Unterstützung für die Entwicklung ihrer Aktivitäten zu sichern. Er zentralisierte die verschiedenen landwirtschaftlichen Gesellschaften unter dem Dach des SBV und machte diese Organisation zu einem unumgänglichen, bzw. einzigen Ansprechpartner für die Bundesregierung, die sie finanzierte. Der SBV übte einen erheblichen Einfluss auf die Schweizer Agrarpolitik aus, der oftmals mächtiger war als die staatlichen Stellen selbst. In den Anfangsjahren des SBV bis in die 1920er Jahre hatte er mehr Beamte als das Bundesamt für Landwirtschaft. Diese Bündelung ermöglichte es dem SBV unter anderem, die Erstellung von Agrarstatistiken zu kontrollieren und so die Politik nach seinen Interessen auszurichten. Sein Einfluss blieb über die Jahrzehnte bis heute erhalten und ist die Basis der Macht der industriellen Landwirtschaft in der Schweiz.
Die Modernisierung der Landwirtschaft und die Herausforderungen der Nachkriegszeit
Die Modernisierung der Schweizer Landwirtschaft war ein langsamer und stiller, aber stetiger Prozess. In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen wurden Massnahmen wie die Entschuldung der landwirtschaftlichen Betriebe und die Flurbereinigung eingeführt. Ernst Laur trieb auch die landwirtschaftliche Buchführung voran (vgl. agrararchiv.ch), die für die Verwaltung der Betriebe als wesentlich angesehen wurde. Diese Modernisierung ermöglichte es, die Landwirtschaft in den globalen Markt zu integrieren und gleichzeitig eine starke bäuerliche Bevölkerung zu erhalten.
Die Wirtschaftskrise der 1930er Jahre brachte Bewegungen wie die Jungen Bauern hervor, die sich für eine Planwirtschaft einsetzten. Der SBV behielt jedoch seine Hegemonie bei, indem er Initiativen wie die von 1935 ablehnte, die auf eine Entschuldung der landwirtschaftlichen Betriebe abzielte. Nach dem Zweiten Weltkrieg baute die Schweiz ihre wirtschaftlichen und politischen Bündnisse weiter aus. Die Hegemonie des SBV und des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes wurde nicht mehr in Frage gestellt, da sie hohe Subventionen und Zollschutz erhielten. Friedrich Traugott Wahlen, bekannt vom „Plan Wahlen“, verkörperte diese Modernisierung und Industrialisierung der Landwirtschaft.
Auf dem Weg zu einer industrialisierten Landwirtschaft
In den 1970er bis 1990er Jahren wurde die landwirtschaftliche Modernisierung intensiviert und die Erträge dank verstärkter Mechanisierung gesteigert. Diese Jahre waren von wachsenden Spannungen zwischen den verschiedenen Sektoren der Schweizer Gesellschaft geprägt. Die GATT-Verhandlungen (Vorläufer der WTO) zur Liberalisierung des Welthandels mit Agrarprodukten führten zu Demonstrationen der Bäuerinnen und Bauern. Trotz dieser Spannungen hielt das Bündnis zwischen dem SBV und der Industriebourgeoisie an, das bis heute fortbesteht.
Fazit
Vom Generalstreik 1918 bis heute hat die Schweiz die divergierenden Interessen von Industrie, Landwirtschaft und Politik in Einklang gebracht. Die im Laufe der Jahrzehnte gebildeten Allianzen haben die Landwirtschaft derart modernisiert, damit sie bestmöglich in die Industrie integrieren werden konnte. Dadurch konnte eine wirtschaftliche und politische Stabilität aufrechterhalten werden, die jedoch zu Ungleichgewichten führte und Kleinbauern- und bäuerinnen und ländliche Gemeinschaften an den Rand drängte. Für einen nachhaltigen und integrativen Wohlstand müssten die Agrar- und Wirtschaftspolitik jedoch auch nachhaltige landwirtschaftliche Praktiken fördern und Kleinbauern unterstützen.
Teil II: Wie die Allianz zwischen Politik, Industrie und Landwirtschaft gestärkt wird.
Der 2. Teil dieses Artikels fasst den zweiten Teil des Vortrags von Frédéric Deshusses anlässlich eines MAPC-Fortbildungstages zusammen. Er stellte er die Geschichte der Strukturierung der Allianzen zwischen Bauernschaft, Industrie und Politik dar, die bis heute fortbestehen. In diesem Teil fügte er die Transformation und die Rolle der landwirtschaftlichen Genossenschaften am Beispiel der Fenaco hinzu.
Die Schweizer Landwirtschaft hat, trotz des stetigen Rückgangs der Anzahl der Betriebe, eine starke Präsenz in den politischen und wirtschaftlichen Institutionen des Landes bewahrt. Das ist das Ergebnis einer gut orchestrierten Allianz von drei grossen Institutionen: dem Bundesrat, dem Schweizerischen Bauernverband (SBV) und den landwirtschaftlichen Genossenschaften. Sie haben eine Schlüsselrolle bei der Vertretung und Verteidigung der Interessen eines Teils der Bauernschaft gespielt, indem sie ihre strategische Allianz mit anderen Wirtschaftssektoren verstärkt haben.
Der Bundesrat: die politische Vertretung der Landwirte
Das Schweizer Bundesparlament ist eine einzigartige Institution, nicht zuletzt deshalb, weil die Landwirt*innen in seinen Reihen überrepräsentiert sind. Obwohl die Zahl der Landwirt*innen seit Mitte des 20. Jahrhunderts drastisch gesunken ist, stellen sie immer noch etwa 8-10% der Parlamentarier*innen – eine Zahl, die weit über ihrem tatsächlichen Anteil an der Schweizer Bevölkerung liegt. Diese überproportionale Vertretung lässt sich zum Teil durch die Mobilisierung der Bauern und Bäuerinnen und deren Organisationen erklären, aber auch durch die Integration der Landwirt*innen in die politischen Entscheidungsprozesse, oft als Vertreter von landwirtschaftlichen Interessengruppen.
Zwei eidgenössische Parlamentarier stehen sinnbildlich für diese Verbindung zwischen Landwirtschaft und Politik. Zunächst handelt es sich um Johann Jenny (1857 – 1937), einem Berner Landwirt. Er war Mitglied des bernischen Grossen Rates (1886 – 1918) und des Nationalrates (1891 – 1935). Er war im Vorstand der Handwerker- und Bürgerpartei, Gründer des Volg und grosser Förderer der Genossenschaftsbewegung. Peter Moser schreibt „Die von Jenny geprägte Genossenschaftsbewegung war mehr als eine wirtschaftliche Selbsthilfebewegung einer bedrängten Bauernschaft. Sie ermöglichte einer ganzen Generation von Bauern den Einstieg ins landwirtschaftliche Verbandswesen und die Politik.“ Ab 1880 lernten die jungen Landwirte im Rahmen der Genossenschaftsbewegung, wie sie sich auf den Märkten gegenüber den mächtigeren Käufern und Lieferanten zu verhalten hatten, wobei sie von der politischen Vertretung der Bauernschaft in Richtung Marktintegration gedrängt wurden.
Eine weitere Persönlichkeit, die das politische und wirtschaftliche Engagement von Vertretern der Landwirtschaft verdeutlicht, ist Peter Gerber (1923 – 2012). Er war Agraringenieur und Präsident des SBV (1974 – 1988). Er war Regionalpräsident der ANICOM AG, Präsident der Vereinigung der Rübenpflanzer und sass im Verwaltungsrat der Zuckerfabrik Aarberg.
Im Bundesrat ist die Vertretung des Agrarsektors hoch und stabil. Sie nimmt nicht ab, obwohl die Zahl der Bauern und Bäuerinnen stetig zurückgeht. Bei der SVP ist der Anteil der Abgeordneten, die Mitglieder von Verwaltungsräten sind, sehr hoch (siehe Interessenregister NR und SR). Sie vertreten ihre politische Partei, aber auch die Interessen der Organisationen, in denen sie sitzen.
Der Schweizerische Bauernverband (SBV): ein unumgänglicher Akteur in der Agrarlandschaft.
Der Schweizerische Bauernverband (SBV) ist eine zentrale Organisation für die Vertretung der landwirtschaftlichen Interessen in der Schweiz. Er wurde gegründet, um dem Staat und anderen Wirtschaftssektoren gegenüber einen einzigen Ansprechpartner zu bieten. Diese Hegemonie wird bis heute durch ihre Eigenschaft geprägt, sowohl eine Berufsorganisation als auch eine politische Kraft zu sein. Der SBV spielt eine wichtige Rolle in den parlamentarischen Diskussionen, insbesondere in den Ausschüssen für Landwirtschaft und Raumordnung (Kommission für Umwelt, Raumordnung und Energie) und für Steuerfragen (Kommission für Wirtschaft und Abgaben). Die Verflechtung zwischen dem SBV und dem Parlament ist übrigens einzigartig in der Schweiz: Viele Parlamentarier sind auch aktive Mitglieder des SBV, wodurch dieser direkt Einfluss auf die politischen Entscheidungen nehmen kann.
Laut seiner Website verfügt der SBV über ein Jahresbudget von 17,4 Millionen Franken, wovon 5,8 Millionen aus „Beiträgen der Bauernfamilien“ stammen. Dieser Ausdruck ist irreführend, denn das System ist ein komplexeres. Die Landwirte und Landwirtinnen treten den kantonalen Bauernverbänden unter anderem deshalb bei, weil diese eine ganze Reihe von Dienstleistungen anbieten (Buchhaltung, Schulungen, rechtliche Unterstützung usw.). Auf der Grundlage dieser Mitgliedschaften – und oft ohne dass die Mitglieder über die jährliche Erneuerung benachrichtigt werden – zahlt der Bund den kantonalen oder sektoralen Verbänden hohe Summen, die diese Verbände an den SBV weiterleiten. (https://lecourrier.ch/2023/03/23/sur-une-brochure-duniterre-2-2/)
Im Jahr 2014 erhielt der SBV zusätzlich zu der Finanzierung, die er vom Bund erhielt, 2.2 Mio. Franken zur Finanzierung von Werbe- und Imagekampagnen, insbesondere der Kampagne „Mein Bauer, meine Bäuerin“. IP-Suisse erhielt 1.2 Mio. und der LID/Agence Agir 420’000.- für ihre Basiskommunikation. Diese Situation, die manchmal als „parastaatlich“ bezeichnet wird, spiegelt die Fähigkeit des SBV wider, sich als unumgänglicher Akteur bei der Verteidigung der landwirtschaftlichen Interessen durchzusetzen, und dies manchmal ohne das Wissen der Landwirt*innen. In einigen Kantonen wie Freiburg werden die Mitgliedsbeiträge mit Zustimmung der Landwirte sogar direkt von den Bundessubventionen, die die Produzent*innen erhalten, abgezogen. Um Valentina Hemmeler aus dem Jahr 2016 zu zitieren: „Jeder Landwirt ist de facto Mitglied des SBV. Wenn er seine Beiträge nicht mehr bezahlen will, weil er sich nicht mehr vom SBV vertreten fühlt, muss er sich bei seiner kantonalen Landwirtschaftskammer abmelden und akzeptieren, dass er damit die administrativen Erleichterungen und die Beihilfen verliert, die die Kammer einbringt. Von den rund 55.000 Betrieben in der Schweiz haben nur sehr wenige diese Entscheidung getroffen, und viele Landwirte sind sich nicht bewusst, dass sie zur Finanzierung beitragen.“
Diese Nähe zu Industrie und Bundesbern ruft jedoch auch Kritik hervor, insbesondere hinsichtlich ihrer Unterwerfung unter die kapitalistischen Interessen der Industrie. Der SBV tritt zwar für eine Modernisierung der Landwirtschaft ein, stellt aber nie das Industriemodell in Frage und akzeptiert einen stetigen Rückgang des Agrarsektors in der Schweiz. Seine Rolle ist ambivalent: Er verteidigt die Landwirte, stellt sich aber nicht gegen die breiteren wirtschaftlichen Kräfte, die diese Modernisierung und den Strukturwandel, der sich zum Nachteil der bäuerlichen Landwirtschaft vollzieht, vorantreiben.
Landwirtschaftliche Genossenschaften: eine zunehmende wirtschaftliche Integration
Landwirtschaftliche Genossenschaften, wie der Volg und in jüngerer Zeit die Fenaco, haben eine entscheidende Rolle gespielt bei der Organisation und Modernisierung der Schweizer Landwirtschaft. Der 1874 gegründete Volg etablierte sich schnell als zentraler Akteur, indem er die Interessen der kleinen und mittleren Betriebe vertrat. Stand er anfangs noch den Idealen der Arbeiterbewegung nahe, entwickelte sich Volg zu einer Organisation, die viel stärker in die vorherrschenden Wirtschaftsstrukturen integriert ist.
Die Fenaco, die 1993 durch den Zusammenschluss mehrerer grosser Genossenschaften gegründet wurde, ist heute ein wichtiger Akteur im Schweizer Agrarsektor und beherrscht ganze Marktsegmente, wie z. B. Schweizer Getreide und Kartoffeln, bei denen sie die Hälfte des Marktes kontrolliert, oder Ölsaaten (65 %). Die Wettbewerbskommission scheint sich darüber keine Sorgen zu machen, und ihr Modell der vertikalen Integration ermöglicht es Fenaco, die gesamte Produktionskette zu kontrollieren, vom Kartoffelanbau bis zur Herstellung der Endprodukte, wie die Tiefkühlpommes frites, die an McDonald’s verkauft werden. Diese Entwicklung geht sogar über den rein landwirtschaftlichen Rahmen hinaus und umfasst Sektoren wie Tierfutter, Kraftstoffe oder auch die Lagerung von Produkten.
Diese wirtschaftliche Integration hat nicht nur ihre Marktmacht gestärkt, sondern auch ihren politischen Einfluss gefestigt. Politiker wie der heutige Bundesrat Guy Parmelin haben Führungspositionen bei der Fenaco bekleidet und zeigen damit, wie wichtig diese Strukturen in der politischen und wirtschaftlichen Landschaft der Schweiz sind. Diese Entwicklung wirft jedoch Fragen über den Kontrollverlust der Landwirt*innen selbst zugunsten eines zunehmend zentralisierten und undurchsichtigen Managements auf (Weitere Informationen über die fenaco finden Sie im Artikel Fenaco-LANDI ein Machtgefüge „aus der Erde auf den Tisch“).
Schlussfolgerung
Obwohl die Zahl der Landwirte abnimmt, bleibt ihr politisches und wirtschaftliches Gewicht gross, was zum grossen Teil auf die Allianz zwischen den verschiedenen Akteuren der Wertschöpfungskette, der Wirtschaft und der Politik zurückzuführen ist. Diese Allianz, auch wenn nur teilweise wirksam, wirft die Frage auf, ob die Betriebe, insbesondere die kleinsten, in einem System, das zunehmend von mächtigen Wirtschaftsinteressen beherrscht wird, tatsächlich vertreten sind.