Neue Klimastrategie
Klimastrategie für Ernährungssicherheit?
An seiner Pressekonferenz vom 5. September präsentierte das Bundesamt für Wald und Landschaft seine Klimastrategie für die zukünftige Ernährungssicherheit in der Schweiz.
Seit einiger Zeit hat man auch in der Bundesverwaltung begriffen, dass zum einen die klimabedingten extremen Wetterereignisse auch bei uns zum echten Problem für die Nahrungsmittelproduktion werden, gleichzeitig aber gerade die industrielle Ernährungswirtschaft eine der Hauptursachen für Treibhausemissionen und Klimawandel ist. Die Landwirtschaft ist von den Folgen des Klimawandels mit am stärksten betroffen, aber wir sind auf eine leistungsfähige, einheimische Landwirtschaft angewiesen, um die Ernährung der Bevölkerung längerfristig sicherzustellen. Um diesen Spagat will das Bundesamt für Landwirtschaft mit der neuen „Klimastrategie für die zukünftige Ernährungssicherheit“ meistern, die am 5. September vorgestellt wurde. Es sollen nicht mehr nur die Landwirtschaft, ihre Zulieferer und die Verarbeitungsbetriebe in die Pflicht genommen werden sondern die gesamte Wertschöpfungskette, von Acker und Weide bis zu den Endverbrauchenden.
Die sogenannte «sektorübergreifenden Klimastrategie Landwirtschaft und Ernährung 2050» von Bundesamt für Landwirtschaft BLW, Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV und Bundesamt für Umwelt BAFU soll eine Grundlage schaffen, um das Ernährungssystem nachhaltiger auszurichten und die Ernährungssicherheit zu stärken. Die Strategie will bis 2050 im Wesentlichen drei Ziele erreichen:
Die Landwirtschaft produziert klima- und standortangepasst und erreicht so einen Selbstversorgungsgrad von mindestens 50 Prozent.
Die Bevölkerung ernährt sich gesund und ausgewogen. Damit liesse sich laut BLW der Treibhausgas-Fussabdruck der Bevölkerung pro Kopf um zwei Drittel gegenüber 2020 senken.
Die landwirtschaftlichen Produktion soll im Inland gegenüber 1990 um ihre Treibhausgasemission um mindestens 40 Prozent reduzieren.
Wandel auf allen Ebenen
Diesen Wandel sollen alle Beteiligten der Wertschöpfungskette mittragen. Die Strategie sieht unter anderem vor, die Forschung zum ökologischen Wandel des Ernährungssystems zu intensivieren. Ausserdem wollen die Bundesämter die bestehenden politischen Instrumente weiterentwickeln, so dass Produktion, Verarbeitung, Handel und Konsum die Richtung des vom Bundesrat beschlossenen Netto-Null-Ziels für Treibhausgasemissionen bis 2050 unterstützen und dabei die Klimarisiken minimieren können.
Die Landwirtinnen und Landwirten sollen dabei unterstützt werden, auf den Anbau robusterer Sorten, ein umsichtiges Wassermanagement, die Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit und an die Futtergrundlage angepasste Tierbestände umzustellen. Auch hier braucht es erst einmal substantielle Investitionen, um die verbliebenen Landwirte und Landwirtinnen zu motivieren. Schon jetzt bekommen sie nicht genug für ihre Produkte um wirklich davon leben zu können, was Bäuerinnen und Bauern regelrecht zur unökologischen, industriellen Landwirtschaft und der Produktion gut verkäuflicher Massenprodukte zwingt.
Die meisten Forderungen und Massnahmen sind recht unkonkret formuliert. Hand und Fuss hat in der Klimastrategie der Plan, die Verbraucher und Verbraucherinnen zu weniger Fleisch- und Milchproduktekonsum und dem Verzehr mehr Obst und Gemüse (aus einheimischer oder grenznaher Produktion) zu motivieren. Zum Beispiel durch die Verteuerung von billigem Import Fleisch und der Vergünstigung von (Bio) Gemüse aus dem grenznahen Ausland. Ausserdem sollen in Zukunft das Schweizer Ackerland hauptsächlich für die Produktion von Lebensmitteln für Menschen dienen. Aktuell wachse auf 60 Prozent des Ackerlandes Tierfutter für die industrielle Fleischproduktion.
Schwierig durchzusetzen
Die Klimastrategie 2050 ist zweifellos gut gemeint und enthält viele Ansätze zur ökologischen Verbesserung von Produktion, Verarbeitung, Transport und Konsumverhalten. Aber es fehlt an griffigen Werkzeugen, wie die ambitionierten Ziele der beteiligten Bundesämter sich tatsächlich umsetzen lassen. Die Klimastrategie wendet sich vor allem mit Appellen an die Verwaltung und Politik. Nur einige der Ziele sind bei der aktuellen Gesetzeslage tatsächlich durchsetzbar. Für einen grossen Teil müssen erst neue Gesetze verabschiedet werden. Was sich bei der aktuellen politischen Grosswetterlage und der Parteipolitischen Zusammensetzung der Räte schwierig gestalten könnte. Schliesslich reden wir von einem Parlament, dass erst kürzlich auf Druck von Wirtschaftsverbänden und Lobbyisten die Schweiz mit sechsspurigen Autobahnen zupflastern möchte, statt in substantielle Verbesserungen des öffentlichen Verkehrs zu investieren.
Insbesondere der Bauernverband hat aber schon im Vorfeld Widerstand gegen diese Massnahmen angekündigt. Das ist verständlich. Konkret verlangt die Klimastrategie von den Produzenten, mehr und ökologischer zu produzieren. Um ihnen das überhaupt möglich zu machen, müssen erstmal die nötigen Gelder gesprochen und die Verarbeitungs- und Einzelhandelskonzerne dazu gebracht werden, gerechte Preise für die Produkte zu zahlen und die dadurch entstehenden Mehrkosten nicht an die Endverbraucher weiterzugeben. Denn die Naturkatastrophen, die mittlerweile auch die Schweiz regelmässig heimsuchen, nämlich Hitzewellen und Wasserknappheit, Starkregen, Orkane und Überschwemmungen, sind jeweils innert Wochenfrist beim Grossteil der Bevölkerung vergessen. Die steigenden Lebensmittelpreise hingegen werden mittlerweile auch für mittelständische Haushalte langsam zur drückenden Last, an die man bei jedem Einkauf schmerzlich erinnert wird. Insbesondere für den wachsenden Anteil der finanzschwachen Haushalte.
«Diesen Wandel sollen alle Beteiligten der Wertschöpfungskette mittragen. »
Politischen Druck aufbauen
Kommt erschwerend hinzu, dass das faktische Schweizer Einzelhandelsduopol von Coop und Migros innerhalb der Wertschöpfungskette deutlich grössere Stücke vom Kuchen abbekommen als vergleichbare Grossverteiler in der Europäischen Union. Zwar haben der Markteintritt von Aldi und Lidl bei den Konsumentenpreisen gewisse Erleichterung, und auch für Bäuerinnen und Bauern neue Grossabnehmer geschaffen, aber laut Bauernverband verfügen Coop und Migros (inklusive Denner) immer noch über einen Marktanteil von 80 Prozent. Ihre Margen sind im Vergleich mit anderen Einzelhandelsriesen enorm. Während der deutsche Grossverteiler Edeka mit Margen um 11 Prozent und der französische Konkurrent Carrefour mit 21 Prozent wirtschaften, beträgt die Marge der Schweizer Grossverteiler 43 Prozent. Wobei Migros, die über zahlreiche eigene Verarbeitungsbetriebe verfügt, sogar noch höhere Margen einstreicht als Coop. Für ein Ei, um nur ein Beispiel zu nennen, bekommt der Produzent oder die Produzentin zwei Rappen. Die Detailhändler streichen mit durchschnittlich 30 Rappen Sage und Schreibe das 15fache ein. Finanzieller Spielraum die Massnahmen umzusetzen wäre also zweifellos vorhanden.
Es wird an den Umweltorganisationen und kritischen Konsumentinnen und Konsumentinnen liegen, den nötigen Druck aufzubauen, um den den politischen Rahmen dafür zu schaffen.
Links
La stratégie climat suisse, Résumé →
Partie 1 : Principes, objectifs et lignes stratégiques →
Partie 2: Plan d’actions →
L’avenir de l’alimentation en Suisse: Guide des principaux leviers et axes politiques pour établir un système alimentaire durable du Comité scientifique Avenir Alimentaire Suisse SDSN-Suisse →
Changer le système et maintenir notre qualité de vie (article sur agrarinfo) →