Stell Dir vor, du wärst ein Bauer …
Beitrag von Prof. Dr. Mathias Binswanger, zuerst veröffentlicht im Blog «Never mind the Markets» am 28. Mai 2021 im Tagesanzeiger.
Menschen wollen sauberes Trinkwasser und eine möglichst pestizidfreie Nahrungsmittelproduktion. Das ist ein legitimer Wunsch. Aber dieser Wunsch wird den Menschen in der Schweiz verwehrt. Es existiert nämlich eine Agrarlobby, welche die Vergiftung der Menschen über die Landwirtschaftspolitik vorantreibt, um damit Geld zu verdienen. Die Subventionen an die Bauern dienen letztlich nur dazu, Pestizidhersteller und Futtermittelimporteure wie die Fenaco zu fördern. Also muss diese Agrarlobby jetzt gestoppt werden, bevor sie uns alle krank macht und unsere Umwelt weiter zerstört.
So oder ähnlich klingt es, wenn man sich die Argumente der Befürworter der beiden Agrarinitiativen anhört. Darin steckt zwar ein Körnchen Wahrheit, aber auch viel Übertreibung. Die obige Beschreibung liefert ein Zerrbild der landwirtschaftlichen Produktion in der Schweiz. Aber erst wenn man die Realität zurechtstutzt, kristallisiert sich ein klares Feindbild wie die Agrarlobby heraus. Doch in der Landwirtschaft gibt es nicht einfach schwarz und weiss. Um das zu sehen, ist es wichtig, die wirtschaftlichen Bedingungen der Agrarproduktion genauer zu kennen.
Das Verlustgeschäft Milchproduktion
Stellen wir uns einmal die Frage, warum Bauern überhaupt Pestizide anwenden und Tiere halten, die mit importiertem Futter und Antibiotika auf Hochleistung getrimmt werden. Die Antwort ist einfach: Steigerung der Produktivität. Nur wer die Produktivität ständig steigert, kann die Kosten der Produktion von Milch, Fleisch oder Getreide so tief halten, dass diese durch die Verkaufserlöse zumindest gedeckt werden. Wer weniger produktiv ist und nur geringere Mengen produziert, ist bald einmal nicht mehr kostendeckend. Kleinere Betriebe steigen deshalb häufig aus der Milchproduktion aus, weil sie zum Verlustgeschäft wird.
Eine Hochleistungslandwirtschaft verträgt sich aber schlecht mit Ökologie. Das ist auch ein Grundproblem der Landwirtschaftspolitik in der Schweiz, welche die Quadratur des Kreises anstrebt: eine Landwirtschaft, die hochproduktiv und gleichzeitig ökologisch ist. Diese Widersprüche versucht man dadurch zu lösen, dass es für ökologische Leistungen beziehungsweise biologischen Anbau besondere Zahlungen gibt, welche die höheren Kosten decken. Aber das führt noch lange nicht dazu, dass sich eine Umstellung auf Biolandbau auch lohnt. Denn dazu müssten die Bauern mit Bioprodukten mehr verdienen als mit konventionell produzierten Produkten.
Wenn Bauern auf Bioprodukte oder Label-Produkte umstellen, dann erhöht dies ihren Aufwand beträchtlich. Doch während der Konsument im Supermarkt dann einiges mehr für diese Produkte bezahlt, kommt beim Bauer oft nur wenig davon an. Die höheren Verkaufserlöse des Handels bleiben dort und gelangen nicht auf den Bauernhof. Der Grund liegt darin, dass die Marktmacht auf der Nachfrageseite liegt und die Bauern gezwungen sind, ein paar homogene Produkte wie Rohmilch an ein paar wenige Abnehmer wie Migros oder Coop zu verkaufen. Diese können aufgrund ihrer Marktmacht die Preise für die von den Bauern gelieferten landwirtschaftlichen Produkte tief halten. Das gilt auch für Bioprodukte und Produkte, die unter Ökolabels verkauft werden. Berechnungen des Schweizerischen Tierschutzes für mehrere Produkte wie Eier, Schweinefleisch, Rindfleisch und Geflügel zeigen das deutlich auf.
Ausstieg statt Umstieg auf Biolandbau
In dieser ökonomisch unerfreulichen Situation werden die Bauern jetzt zusätzlich mit den Forderungen der Trinkwasser- und Pestizidinitiativen konfrontiert. De facto bedeuten diese eine weitere Erschwernis der Produktionsbedingungen ohne Aussicht auf mehr Verdienst. Unter diesen Umständen kann man von der Landwirtschaft keine Begeisterung erwarten. Denn die von den Initianten geforderte Umstellung auf Biolandbau lohnt sich nicht. Was sich hingegen lohnt, ist der Ausstieg aus der produzierenden Landwirtschaft, was dann gleich auch das Pestizidproblem löst. Eine Annahme der Initiativen würde das Bauernsterben in der Schweiz nachhaltig beschleunigen und den Trend weg von einer produzierenden Landwirtschaft hin zur Landschaftsgärtnerei fördern.
Auf diese Weise wird der Pestizid- und Antibiotikaeinsatz einfach ins Ausland verlagert. Und die in der Schweizer Verfassung stehende Versorgungssicherheit durch heimische Produktion verkommt zur Farce. Wollen wir weiterhin an einer produzierenden Landwirtschaft in der Schweiz festhalten, braucht es ein anderes Vorgehen. Man kann die letztlich berechtigten Forderungen der Initianten den Bauern nicht einfach aufoktroyieren, ohne ihnen eine wirtschaftliche Perspektive zu bieten. Das heisst: Bioproduktion muss sich lohnen. Und das ist wiederum der Fall, wenn man den Bauern auch eine Marge für die von ihnen gelieferten Bioprodukten garantiert. Überlässt man es einfach dem Markt, erodiert diese Marge sofort aufgrund der Marktmacht der Lebensmittelverarbeiter und -händler. Dieses Marktversagen gilt es zu korrigieren. Erst dann kann man auf Subventionen verzichten, die als Nebenwirkung zu verstärktem Einsatz von Pestiziden, importierten Futtermitteln und Antibiotika führen.