Vorwärts zur Mässigung – Perspektiven einer nachhaltigen Wirtschaft
Der bekannte deutsche Schriftsteller Botho Strauss schreibt: “Im Grunde bleibt jeder von einer Zukunft überzeugt, die auf Prolongation und Steigerungsraten hinausläuft.“ Gleichzeitig bekennt sich jeder aber zu der Überzeugung, ”dass es so nicht weiter gehen kann. Beim vielbeschworenen Umdenken verhält sich der Mensch im Grunde genommen nicht anders als ein Tier. Erst die Not macht es ihm notwendig sich anders zu verhalten”. Ich meine nun, dass wir uns doch soweit “der Not” genähert haben, dass wir uns mindestens eindringlicher als früher die Frage stellen, ob nicht mit den ständigen Steigerungsraten des Sozialprodukts, d.h. mit dem unendlichen Wachstum der Wirtschaft, Kollateralschäden verbunden sind, die wir zur Kenntnis nehmen müssen, um uns aus dieser “Not” zu befreien. Dabei handelt es sich um eine zweifache Not: Es geht erstens um die steigende Tendenz zur Bildung von spekulativen Finanzblasen, die, wenn sie platzen, zu Wirtschaftskrisen, zu staatlichen Schuldenkrisen und/oder zur Inflation führen. Es geht zweitens um die drohende Energie- und Rohstoffknappheit, die Umweltzerstörung und die Schrumpfung der natürlichen Lebenswelt. Die Zunahme dieser Nöte legen es nahe, Wege zur Mässigung zu suchen, die aus der Gefahrenzone des unkontrollierten Wachstums hinaus- und in eine nachhaltige Wirtschaft hineinführen. Die Frage ist: Wie muss man dabei vorgehen? Bevor ich darauf eingehe, möchte ich einige Ausführungen machen, die die Diagnose betreffen. Diese muss der Therapie vorausgehen! Anschliessend möchte ich auf mögliche Schritte zur Realisierung des von mir vorgeschlagenen Wegs zur Nachhaltigkeit eingehen.
Die Entwicklung der modernen Wirtschaft und Gesellschaft wird geprägt durch die ständige Tendenz zum Wirtschaftswachstum. Sie ist zur Generallinie der Entwicklung geworden. Das Wachstum beruht in einem wesentlichen Ausmass auf der sich ins Unendliche fortsetzenden Geldschöpfung und der daraus resultierenden Dynamik.
Wenn es also auf die Geldschöpfung ankommt, muss man zuerst wissen, was Geld ist, was heute Geld ist. Geld ist alles, womit man zahlen kann. Heute kann man zahlen mit Banknoten der Zentralbank, also mit Papiergeld, sowie mit Sichtguthaben bei den Banken, d.h. mit Guthaben, die auf den Girokonten bei den Banken verbucht werden; man spricht daher auch von Bank- oder Buchgeld. Man zahlt mit Buchgeld entweder durch Überweisungsaufträge oder mittels Kreditkarten. Heute erfolgen ca. 95% der Zahlungen mit Buchgeld, und nur 5% mit Banknoten inkl. Münzen. Das Buchgeld kann in Banknoten eingelöst werden, aber die Banknoten nicht mehr wie früher in Goldmünzen. Die letzten Reste einer solchen Einlösungspflicht sind anfangs der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts dahingefallen. Seither kann die Zentralbank ohne Rücksicht auf irgendwelche Goldreserven den Banken Papiergeld in beliebiger Menge zur Verfügung stellen. Auf diese Weise kann die Menge des Geldes − des Buchgeldes und des Zentralbankgeldes − von Jahr zu Jahr erhöht werden. Man spricht zu Recht von Geldschöpfung in Analogie zur Weltschöpfung. Vor allem in der amerikanischen Ökonomie spricht man daher auch vom „fiat-money“ in Anspielung auf die Schöpfungsgeschichte in der Bibel, wo es heisst: Gott sprach „fiat lux et lux facta est“. (Es werde Licht, und es ward Licht.) So sprechen die Banken heute: Es werde Geld, und es wird Geld. Diese Geldschöpfung kann unendlich weitergehen, ohne an Grenzen zu stossen, die früher durch die begrenzten Goldvorräte gegeben waren.
Die Geldschöpfung erfolgt primär in Buchgeld der Banken. Sie erfolgt – das ist entscheidend – durch die Kreditgewährung der Banken an Unternehmen, an den Staat und an die Haushalte − zur Hauptsache an Unternehmen. Die Banken sind Produzenten von Geld. Sie schaffen Geld durch die Gewährung von Krediten. Dies geschieht, indem die Banken den Kreditnehmern einen dem Kredit entsprechenden Betrag auf einem Girokonto bei sich gutschreiben. Diese Gutschrift ist das Buchgeld. Es ist zu 100% neues Geld, denn es wird kein Betrag auf einem anderen Konto dadurch reduziert. Ein kleiner Teil davon wird zwar in Banknoten eingelöst. Diesen Teil müssen die Banken daher in genügender Menge bereithalten. Die Zentralbanken können sie aber den Banken stets nachliefern, indem sie von den Banken Kredite, die diese in steigender Menge gegeben haben, übernehmen, und dafür den Banken die Banknoten, das Papiergeld, in ebenfalls stets steigender Menge zur Verfügung stellen, weil sie es ja selbst – ich wiederhole – nicht mehr in Gold einlösen müssen.
Entscheidend ist dabei: Die Vermehrung der Geldmenge, die durch die Vermehrung der Kredite erfolgt, führt in der Regel zu realem wirtschaftlichem Wachstum, denn die Unternehmen verwenden das Geld normalerweise dazu, um es zu investieren, d.h. um damit Produktionsleistungen zu kaufen − Arbeitsleistungen, Energie, Rohstoffe, Maschinen usw. − und mit diesen Leistungen die Produktionskapazität und die Produktion zu erhöhen. Auf diese Weise wird das neu geschöpfte Geld nachträglich doch einlösbar, allerdings nicht mehr in Gold, sondern in zusätzlich produzierte Güter. Die Geldschöpfung, die durch Kreditschöpfung erfolgt, führt so zu einer realen Wertschöpfung. So wächst auf der Grundlage der Geldschöpfung das Bruttoinlandprodukts, das BIP, ohne dass vorher gespart werden muss.
Das Wachstum hat sich zu einem perpetuum mobile entwickelt, zu einem Prozess, der sich selbst in Gang hält, indem er selbst die Voraussetzung schafft, die seine ständige Fortsetzung ermöglichen. Wie geschieht dies? Um die zu erklären, möchte ich in drei Schritten vorgehen.
Erster Schritt: Es gilt die Notwendigkeit des Einsatzes von Geld zur Kapitalbildung und damit zur Gründung und Erweiterung der Unternehmungen und der Erzielung von Gewinnen, die die Kapitalbildung rechtfertigen, aufzuzeigen.
Vor allem ist zu beachten: Die Unternehmen müssen die Produktionsleistungen der Haushalte und die Produktionsmittel anderer Unternehmen heute bezahlen, wenn sie eingesetzt werden, d.h. wenn die Unternehmen die Produktion in Gang setzen. Die Unternehmen können die Produkte aber erst morgen verkaufen, wenn sie produziert worden sind. Die Produktion braucht ja Zeit! Die Unternehmen benötigen daher einen Vorschuss an Geld, d.h. Geld, das sie noch nicht verdient haben, um die Produktionsleistungen und Produktionsmittel zu bezahlen, bevor sie sich bezahlt gemacht haben. Der Vorschuss ist das, was wir Kapital nennen, das Kapital der Unternehmung. Das Kapital setzt sich zusammen aus Fremdkapital − das sind die Kredite, die vor allem die Banken geben − und aus Eigenkapital, das entweder den Unternehmen von den Haushalten zur Verfügung gestellt wird, heute vor allem durch Kauf von Aktien, oder das der Teil des Gewinnes ist, der von den Unternehmen zurückbehalten, also reinvestiert und nicht als Dividende ausgeschüttet wird. Ohne eine Vorfinanzierung, also ohne die Verwandlung des Geldes in Kapital, ohne Vorschuss gibt es keinen Markt, keine Investitionen und kein Wachstum der Wirtschaft.
Zweiter Schritt: Das Kapital als Vorschuss beansprucht einen Gewinn. Warum? Weil der Einsatz des Kapitals ein Risiko enthält, das entgolten werden muss. Das Risiko ergibt sich daraus, dass die Unternehmen im Moment, da sie das Kapital investieren, nicht wissen können, in welchem Ausmass das Geld, das sie investiert haben, morgen durch den Verkauf der Produkte wieder zurückfliesst. Denn der Rückfluss erfolgt ja erst in der Zukunft. Die Zukunft ist aber immer unsicher. Damit die Unternehmen das entsprechende Risiko eingehen, müssen sie daher − berechtigterweise − einen Gewinn erwarten dürfen, aus dem sowohl der Zins für das Fremdkapital bezahlt werden kann sowie ein genügend grosser Reingewinn für das Eigenkapital übrig bleibt, der mindestens das Risiko deckt.
Dies muss im Durchschnitt für alle Unternehmungen gelten, wenn die Wirtschaft funktionieren soll. Das heisst: Es muss die Chance eines Gewinns stets grösser sein als die Chance eines Verlusts. Der Erwartungswert des Gewinns in der Gesamtwirtschaft muss also positiv sein. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn erfahrungsgemäss die Häufigkeit des Gewinns insgesamt stets grösser war und weiterhin grösser ist als die Häufigkeit des Verlusts, wenn also die Unternehmungen im Saldo stets Gewinne gemacht haben und machen, also aus der Summe von Gewinnen und Verlusten aller Unternehmen zusammen ein Gewinnüberschuss resultiert.
Dritter Schritt: Es geht um die Frage, wie ein solcher gesamtwirtschaftlicher Gewinnüberschuss entstehen kann? Dies ist genauer zu erklären. Die Gewinne der Unternehmungen sind grundsätzlich gleich der Differenz zwischen den Einnahmen und den Ausgaben der Unternehmen – genauer: zwischen den Einnahmen und den Ausgaben der Unternehmen für die Herstellung der Produkte, aus denen die Unternehmungen die Einnahmen erzielen, also gleich der Differenz zwischen Ertrag und Kosten. Damit die Unternehmen zusammen im Saldo stets Gewinne erzielen können, müssen daher die Einnahmen der Unternehmen zusammen stets grösser sein als die Ausgaben der Unternehmen zusammen. Wie soll dies vor sich gehen? Wie können alle mehr einnehmen als ausgeben? Es ist offensichtlich nicht möglich, wenn das Geld nur im Kreis läuft, d.h. wenn das Geld, das die Unternehmen den Haushalten für ihre Produktionsleistungen bezahlen, einfach wieder von den Haushalten dazu verwendet wird, um die Produkte zu kaufen, die die Unternehmen mit ihrer Hilfe hergestellt haben. Denn dann würden sich Einnahmen und Ausgaben der Unternehmen nur immer gerade ausgleichen. Es gäbe also in der Summe von Gewinnen und Verlusten kein positiver Gewinnsaldo. Ein solcher kann somit gesamtwirtschaftlich nur entstehen, wenn ständig Geld zufliesst.
Wie fliesst aber in der modernen Wirtschaft Geld zu? Wir wissen es bereits: indem die Unternehmungen bei den Banken Kredite aufnehmen, die die Banken mindestens zum Teil durch Geldschöpfung bereitstellen, also durch Vermehrung der Geldmenge auf dem Kreditweg oder anders ausgedrückt auf dem Weg der Verschuldung, denn jeder Kredit entspricht ja einer Verschuldung. Die Unternehmen brauchen die Kredite – es sei wiederholt – um zu investieren, um das aufgenommene Geld, zusammen mit dem reinvestierten Reingewinn, für den Kauf von zusätzlichen Produktionsleistungen zu verwenden, also um zu wachsen. Die Einkommen der Haushalte als Anbieter dieser Arbeits- und Produktionsleistungen steigen auf diese Weise mit dem Wachstum des Bruttoinlandprodukts (BIP), und die Gewinne der Unternehmen mit dem Wachstum der Einkommen der Haushalte, indem diese das Einkommen für den Kauf der Produkte ausgeben, die die Unternehmen mit ihrer Hilfe hergestellt haben. So rechtfertigt sich der Kredit bzw. die Schuld.
Entscheidend ist: Die Haushalte geben ihr Einkommen für den Kauf der Produkte, welche die Unternehmen mit ihrer Hilfe herstellen, sofort aus, denn die Haushalte müssen ja überleben. Sie werden daher sofort zu Einnahmen der Unternehmen. In diesem Zeitpunkt können die Unternehmen aber nur die Produkte verkaufen, die schon produziert worden sind, die sie also vor der neuen Investition und der damit verbundenen Kredit- und Geldvermehrung hergestellt haben. Dies bedeutet, dass die Einnahmen der Unternehmen vor den Ausgaben für die Produkte, die schon produziert worden sind und die sie jetzt verkaufen können, steigen und so die Erträge grösser sind als die Kosten. Auf diese Weise entsteht in der Volkswirtschaft im Saldo aller Gewinne und Verluste gesamtwirtschaftlich ein Gewinn, wenn sich das Wachstum der Wirtschaft fortsetzt.
Auf diese Weise entwickelt sich der Wirtschaftskreislauf zur Wachstumsspirale, zum perpetuum mobile, indem das Wachstum der Produktion mit Hilfe der Geldschöpfung die Voraussetzung dafür schafft, dass Gewinne entstehen, und mit den Gewinnen wieder die Voraussetzung dafür, dass Geld als Kapital eingesetzt wird und so ein weiteres Wachstum möglich wird (vgl. Bild 1 – zur Vergrösserung bitte darauf klicken).
Erklärung zur “Wachstumsspirale”
Der wirtschaftliche Kreislauf zwischen Haushalten und Unternehmungen − Kauf der Produktionsleistungen der Haushalte von den Unternehmungen und Kauf der Produkte der Unternehmungen von den Haushalten − weitet sich bei jeder “Umdrehung” aus a) durch die Investitionen der Unternehmungen und b) durch die Einkommenssteigerung der Haushalte. So entsteht eine Wachstumsspirale.
Die Zahlungen der Unternehmungen an die Haushalte und der Haushalte an die Unternehmungen erfolgt über das Bankensystem. Das Bankensystem weitet sich aus durch das Wachstum der Bankbilanzen.
Die Erweiterung der Kreisläufe zur Wachstumsspirale erfolgt a) durch die Geldschöpfung auf dem Kreditweg (fetter Pfeil) und b) durch die Entnahme von Ressourcen aus der Natur (bei gleichzeitiger Abgabe von Abfällen und Emissionen an die Natur) und c) durch die Imagination des Menschen, der neue Produkte und Verfahren erfindet.
Das Wachstum des BIP mündet allerdings − das ist nun die Kehrseite der Medaille − in einen Wachstumszwang. Der Wachstumsprozess muss immer weiter gehen, denn wenn nicht immer eine neue Ausweitung der Geldmenge aufgrund neuer Investitionen erfolgt, die eine zusätzliche Nachfrage erzeugt, fällt die aus der letzten Investition nachrückende Angebotserhöhung sozusagen ins Leere. Dann steht kein entsprechender Zuwachs der Nachfrage dem schon erfolgten Zuwachs des Angebots gegenüber. Der Kapazitäts- bzw. Produktionseffekt der Investitionen der vergangenen Periode tritt ein, ohne dass er vom Einkommenseffekt einer neuen Investition aufgenommen wird. Entsprechend sinkt die Gewinnrate. Sinkt die Gewinnrate schließlich unter die Höhe, welche die Unternehmungen bzw. die Kapitalgeber im Minimum für das Eingehen des Investitionsrisikos erwarten, werden die Unternehmungen auch nicht mehr für Ersatzinvestitionen sorgen und so allmählich die Produktion auslaufen lassen. Schließlich können auch die Zinsen nicht mehr bezahlt werden. Ein immer größerer Teil der Unternehmungen wird Verluste machen und daher durch Bankrott aus dem Produktionsprozess ausscheiden. An die Stelle des Wachstums der Wirtschaft tritt eine fortlaufende Schrumpfung der Wirtschaft. Die Wachstumsspirale kehrt sich um und mündet in eine Schrumpfungsspirale.
Daraus ergibt sich ein Wachstumszwang in dem Sinne, dass, wenn eine minimale Wachstumsrate unterschritten wird, die Alternative zum Wachstum Schrumpfung ist. Das heißt: Stabilität und Null-Wachstum sind in der heute gegebenen modernen Wirtschaft nicht möglich. Es darf bei den gegebenen Bedingungen unseres Geldsystems kein Ende des Wachstums geben (vgl. Bild 2 – zur Vergrösserung bitte darauf klicken).
Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Wachstumsrate beliebig hoch sein muss. Es genügt eine minimale Wachstumsrate, die es möglich macht, dass das Risiko gedeckt wird, das die Unternehmen eingehen. Aufgrund plausibler Annahmen habe ich die nötige Höhe der globalen (!) minimalen Wachstumsrate in meinem Buch „Die Wachstumsspirale“ auf 1,8% berechnet. Sie sollte aber noch weiter gesenkt werden können, wenn das Risiko vermindert werden kann.
«Das Wachstum hat sich zu einem perpetuum mobile entwickelt»,
zu einem Prozess, der sich selbst in Gang hält, indem er selbst die Voraussetzung schafft, die seine ständige Fortsetzung ermöglichen.
Nun zu den Krisen
Die Voraussetzung für die Aufrechterhaltung des Wachstums ist allerdings, dass sich ihm keine Hindernisse entgegenstellen. Dies ist nicht garantiert. Es wird durch Krisen gefährdet, die immer akuter werden, je stärker sich die Dynamik des Wachstums entwickelt.
Im Vordergrund steht die Gefahr von Finanz- und Wirtschaftskrisen, wie wir sie jetzt erlebt haben und weiter erleben. Sie sind in erster Linie die Folge einer übertriebenen Geldschöpfung, die nicht zur Finanzierung realer Produktionszuwächse dient, sondern zum spekulativen Kauf von Vermögenswerten (Aktien, Grundstücke) in Erwartung, dass deren Preise gerade wegen der ständigen Geldvermehrung immer weiter steigen werden. Wenn die erwartete künftige Preissteigerung höher ist als der Zins, nimmt man auch Kredite auf, um die Vermögenswerte zu kaufen und sich so ohne Mühe bereichern zu können. Die Spekulation ist aber dadurch gefährdet, dass die Zinsen steigen können. Dies tritt dann ein, wenn die Zentralbanken gerade wegen der durch die spekulativen Kredite aufgeblähten Geldmenge eine inflationäre Entwicklung befürchten, und, um dies zu verhindern, die Zinsen erhöhen. Dann kommt es, weil sie Zinsen zu hoch werden, um die spekulativen Kredite zu rechtfertigen, zur Finanzkrise. So geschehen im Jahr 2008. Um dieser auszuweichen, mussten und müssen weiterhin die Staaten einspringen. Sie können dies tun, indem sie sich bei den Zentralbanken verschulden. Diese können, wie wir festgestellt haben, unendlich Geld geben. Dann droht aber erneut eine Inflation. Vor dieser Gefahr stehen wir heute.
Was ist aber, wenn es keine Finanz- und Staatsschuldenkrise geben würde? Wäre dann alles in Ordnung? Nein, weil sich der Wachstumstendenz nur durchsetzen lässt, wenn genügend natürliche Ressourcen vorhanden sind, aus denen die Rohstoffe und die Energie gewonnen wird, welche die Basis der Mehrproduktion bilden. Mehr und mehr wird aber das Wirtschaftswachstum mit der langfristigen Knappheit der Natur sowohl auf der Ressourcen- wie auf der Abfall- und Emissionsseite konfrontiert, denn die Welt und damit die Natur ist nicht unendlich gross. Ihre Nutzung kann daher nicht beliebig ausgedehnt werden. Die absehbare Verknappung vor allem von Energie, bestimmten Rohstoffen und Nahrungsmitteln hat bereits vor der gegenwärtigen Krise zu starken Preissteigerungen geführt. Sie würden nach einer allfälligen Überwindung der jetzigen Krise wieder akut, wodurch sich auch die Gefahr einer inflationären Entwicklung zusätzlich zu der Inflationsgefahr wegen der überbordenden Geldschöpfung massiv erhöht, während gleichzeitig unser natürlicher Lebensraum immer weiter schrumpft.
Die Analyse der für das Wirtschaftswachstum massgebenden Bedingungen gibt an, wo die Reformen zur Kontrolle des Wachstums primär einsetzen müssen: am Geld. Es geht darum, anders zu Geld zu kommen als nur durch eine ausufernde und unkontrollierte Geldschöpfung der Geschäftsbanken.
Dies bedingt eine Reform des Geldsystems. Der Ausgangspunkt kann die Idee des 100%-Geldes des amerikanischen Ökonomen Irving Fisher, des bedeutendsten amerikanischen Ökonomen des 20. Jahrhunderts, sein, den er nach der Krise von 1929 entwickelt hat. (Vgl. Irving Fisher, 100%-Money, und Joseph Huber/James Robertson, Geldschöpfung in öffentlicher Hand.) Er wird heute wieder – oder erst recht – aktuell. Gemäss diesem Vorschlag erhält die Zentralbank das ausschliessliche Recht zur Geldschöpfung, indem die Banken verpflichtet werden, die Sichtguthaben, also das Buch- oder Bankgeld zu 100% statt nur zu ca. 2,5% wie heute durch Zentralbankguthaben bzw. Banknoten zu decken. Die Zentralbank – und nur die Zentralbank – kann so das nötige zusätzliche Geld in eigener Regie schöpfen. Dadurch erhält die Zentralbank die Möglichkeit und die Verpflichtung, das Ausmass der Geldschöpfung proaktiv – und nicht nur reaktiv – so zu bestimmen, dass krisenhafte Entwicklungen und Kollateralschäden des Wachstums möglichst vermieden werden, also
- keine spekulative Aufblähung der Geldmenge mit der Folge von Inflation und real ungerechtfertigter Steigerung von Vermögenswerten erfolgt, und
- das Wachstum der Wirtschaft insoweit in Grenzen gehalten wird, dass eine nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen möglich wird.
Dabei geht es auch um die Zuteilung des von der Zentralbank neugeschöpften Geldes. Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Eine erste Möglichkeit besteht in der Zuteilung des Geldes an die Geschäftsbanken. Diese Lösung lehnt sich am engsten an die bisherige Praxis an.
Eine zweite Möglichkeit ist die Zuteilung des neugeschöpften Geldes an den Staat. Der Staat bezahlt in diesem Fall keine Zinsen. Indem er die eingesparten Zinsen dazu verwendet, die Kredite, die ihm die Geschäftsbanken gegeben haben, zurückzuzahlen, kann er die Schuldenlast verringern, für die heute ein bedeutender Teil des Steuerertrags ausgeben werden muss, und damit die Steuern senken. Der Steuerzahler hat entsprechend mehr Geld zur Verfügung, das er entweder für Konsumzwecke oder für Investitionen verwenden kann.
Eine dritte Möglichkeit ist die Zuteilung des neugeschöpften Geldes an die Privathaushalte als Zusatzeinkommen. Die Zuteilung könnte ihnen über die Gemeinden in Form eines Regionalgeldes – wir können es neben dem vollgültigen A-Geld als B-Geld oder R-Geld bezeichnen – zur Verfügung gestellt werden, das nur für regional produzierte Güter und Dienstleistungen ausgeben werden kann. Die zweite Lösung würde eine geographisch ausgeglichenere Entwicklung fördern.
Das Regionalgeld, könnte auch als sog. Schwundgeld ausgegeben werden, das nach einer gewissen Zeit an Kaufkraft verliert, wenn es nicht entweder an gemeinnützige Institutionen und Stiftungen vor allem für soziale und kulturelle Zwecke weitergegeben wird oder den Banken für eine bestimmte Zeit ausgeliehen wird − ohne Zinsen, aber auch ohne Geldschwund. In diesem Fall würden die Haushalte den ausgeliehenen Betrag nach einer gewissen Zeit wieder vollständig bzw. zusätzlich mit einem Teuerungsausgleich zurückerhalten. Den Haushalten könnte für die Weiterverleihung des Geldes durch die Banken auch ein Mitbestimmungsrecht zuerkannt werden, das es ihnen ermöglichen würde, bestimmte Gemeinschaftszielsetzungen zu fördern.
Der Einbezug der Haushalte in die Geldschöpfung würde die Position der Haushalte als Konsumenten von Gütern und Dienstleistungen, als Spender von Geld für gemeinnützige Zwecke und als Kreditgeber wesentlich aufwerten und damit die Konsumentensouveränität, die unter dem Druck des Wachstumszwangs weitgehend verloren zu gehen droht, stärken, und so den Menschen neue Freiräume erschliessen.
Die Reform des Geldsystems muss durch eine Reform des Unternehmungsrechts ergänzt werden. Dabei geht esvor allem um eine Überprüfung des Rechts der Publikumsaktiengesellschaft. Aktiengesellschaften sind eine Kreation des Staates. Daher haben die Eigentumsrechte der Aktionäre nur bedingten Charakter – bedingt durch die Gesetzgebung des Staates. Es besteht somit im Grundsatz auch die Möglichkeit, durch Änderung der Gesetzgebung deren Inhalt zu verändern. Dazu könnte eine (Wieder-)Aufteilung der Aktien in Namensaktien und Inhaberaktien gehören. Die Namensaktien hätten eine unendliche Dauer, könnten aber nicht an der Börse gehandelt werden, und für den ausserbörslichen Handel wäre ein Verkauf nur nach einer dreijährigen Sperrfrist möglich. Die Inhaberaktien könnten weiterhin an den Börsen gehandelt werden, hätten aber nur eine Geltungsdauer von 20 oder 30 Jahren, mit einer Rückzahlung des ursprünglichen Kapitaleinsatzes nach Ablauf der Geltungsdauer. Wie sich rein mathematisch zeigen lässt, würde durch eine solche Begrenzung in beiden Fällen die Steigerung der Aktienwerte automatisch verringert. Es würde aber auch − das ist der Vorteil − der mögliche Fall des Aktienwerts nach unten begrenzt. Damit würde sich das Risiko, dass sich immer neue Blasen bilden, die nach immer kürzerer Frist wieder platzen, wesentlich vermindern. Gleichzeitig liessen sich Massnahmen zum Umweltschutz und für eine gerechtere Einkommensverteilung leichter durchsetzen.
Für sehr langfristige Vorhaben sollten Unternehmensformen geschaffen werden, die sich stärker am Stiftungsgedanken oder am Genossenschaftsgedanken orientieren.
Die Stiftung ist auf einen bestimmten Stiftungszweck und nicht allein auf Gewinnerzielung ausgerichtet. Die Stifter können zwar eine Rente erhalten, die aus den Gewinnen finanziert wird, aber der Grossteil der Gewinne wird im Sinne des Stiftungszwecks reinvestiert. Die Anteile am Stiftungsvermögen, die das Eigenkapital der Stiftung darstellen, werden nicht an der Börse gehandelt. Auf diese Weise ist die Stiftung der Spekulation entzogen. Die Stiftung kann eine zusätzliche Aktionsfreiheit erlangen durch die Eingliederung einer GmbH, die die operativen Geschäfte durchführt. − Eine andere Möglichkeit ist die Aufwertung der Genossenschaftsidee. Die Genossenschafts-Unternehmung ist als Solidargemeinschaft konzipiert und damit stärker personenbezogen. Die Gewinne bleiben grundsätzlich in der Unternehmung. Jeder Genossenschafter hat einen gleichen Anteil am Genossenschaftskapital und gleiches Stimmrecht. Er kann den Anteil normalerweise nur zurückerhalten, wenn er einen neuen Genossenschafter findet, der für ihn einspringt. Ein Handel an der Börse ist nicht vorgesehen. Somit ist auch die Genossenschaft der Spekulation entzogen.
Mit solchen Reformen im Geld- und Unternehmensbereich würde nicht nur die Krisenanfälligkeit der Wirtschaft wesentlich verringert, sondern es würden auch die sozialen und ökologischen Probleme entschärft. Allerdings benötigen wir ergänzende Einzelmassnahmen. Über solche Massnahmen ist schon viel diskutiert worden, so dass ich mich hier auf diesen Hinweis beschränken möchte.
Betonen möchte ich aber, dass − umgekehrt − alle Einzelmassnahmen nicht genügen, um eine nachhaltige Wirtschaftsweise zu ermöglichen. Die Wachstumsraten müssen auf jeden Fall entscheidend gesenkt werden, um eine nachhaltige Wirtschaftsweise realisieren zu können. Dies ist eine grosse Aufgabe. Aber ihre Lösung ist − wie ich zu zeigen versucht habe − möglich.