Aus der Region für die Region – Beispiel Regionalwert AG
aus dem Vortrag von Christian Hiss an unserer Veranstaltung vom 27.8.16
“Es gibt immer weniger landwirtschaftliche Betriebe. Was, wenns dann gar keine mehr gibt?” Mit diesen Worten beginnt Christian Hiss, der Regionalwert AG,seinen Vortrag.
Seit die Logik der Industrie und des Handels (bis zu den Instrumenten der Buchhaltung) auch in die Landwirtschaft angewandt wird, folgen die landwirtschaftlichen Betriebe selber den Gesetzmässigkeiten der Industrie.
Die Anzahl der Höfe nimmt ab, der Einfluss des Bauernverbandes schwindet, aber die Konsumenten glauben weiterhin an eine stabile, grosse Bauernschaft, die es nicht mehr gibt. Das ist ein gesellschaftliches Problem und die Gesellschaft muss sich darum kümmern.
Aus der Region
Die Kunden werden mit Nähe, Heimat, und Hofläden angesprochen. Aber wo kommen die Lebensmittel wirklich her? Und woher die Produktionsmittel, mit denen sie hergestellt wurden?
Das FIBL hatte den Auftrag herauszufinden, wie regional sich die green city Freiburg im Breisgau ernähre. Die Stadt liegt in einer fruchtbaren Gegend; es gibt viele Märkte; die Einzelhändler erzeugen das Bild, als ob ihre Produkte aus der Region kämen. Die Studienresultate bestätigen das Gegenteil: Zwar würde kalorienmässig regional genug produziert um die Nachfrage zu decken, aber das meiste wird in andere Regionen geliefert und nur knapp 10% des hier gekauften Obstes und 12% des Gemüses sind wirklich in der Region gewachsen. Woher die Gemüsesetzlinge stammen oder die Bienen in den Gewächshäusern wurde nicht nachgefragt. Auch woher das Getreide kommt für das Brot, das in Freiburg gegessen wird, konnte nicht herausgefunden werden – die Beteiligung der angefragten Mühlen und Bäckereien war „lückenhaft“. Die Studie wurde vor 5 Monaten veröffentlicht und steht auf orgprints.org zur Verfügung (2).
Würde man die gleiche Studie in der Schweiz machen, käme man wahrscheinlich zu ähnlichen Resultaten. „Die heutigen Bauern sitzen selber einem Mythos auf und glauben, dass sie noch Bauern sind. Derjenige, der einen Betrieb betreibt kauft sämtliche Produktionsmittel dazu. Saatgut, Dünger, Traktor, … veredelt das Stück und verkauft es weiter. Kann man da noch von einem Bauern reden?“ fragt sich Christian Hiss.
Herkunftsland China
Vor 30 Jahren sei das meiste Saatgut in der Saudi-arabischen Wüste hergestellt worden, berichtet Christian Hiss: „im Irakkrieg war das hochgradig gefährdet weil die Wasserversorgung von Kuwait her in die Wüste transportiert wurde. Heute ist die Saatgutvermehrung vorwiegend in China.“
Das Saatgut und seine Vermehrung ist in wenigen Händen: Syngenta und Monsanto besitzen in Europa 71% aller geschützten Blumenkohl-Sorten. Bei Tomaten sind es 62% und bei Peperoni 56% (3). Über die Hälfte des kommerziellen Saatgutes WELTWEIT wird aktuell von nur drei Firmen kontrolliert. Bayer mit Monsanto allein kontrolliert 25%; Dow Chemical und DuPont 20%; Syngenta 7% (4). „Was da abläuft muss man sich wirklich bewusst sein” sagt Christian Hiss, „denn Alternativen gibts kaum mehr. Pro Spezie Rara, Sativa, usw.: sind sie wirklich eine Alternative, wenn man über Ernährungssouveränität redet?”
Auch Stickstoff, der “Motor des Pflanzenwachstums” (5), wird mehrheitlich importiert. Er belastet die Gewässer und ist mitverantwortlich bei der Klimaerwärmung. Trotzdem bleibt er der meistverwendete Pflanzendünger.
« Es geht darum, dass die Versorgungsöknomie mit natürlichen, regenerierbaren Resourcen arbeitet, die in der gängigen Buchhaltung keinen Platz haben. »
Die Bauern als Unternehmer
Die bäuerliche Ökonomie war eine Versorgungsökonomie mit dem Auftrag, eine Gemeinschaft zu versorgen. Es wurden Produkte auf den Markt gebracht um andere Sachen kaufen zu können. Aber der Kern des Systems war, eine Familie zu versorgen.
Durch die Einführung des industrialisierten Typs wurde die Wertschöpfungskette auseinander gerissen. An Stelle der Gemeinschaftsversorgung trat der Weltmarkt. Aus der bedarfsorientierten Produktion wurde der Kampf um Marktanteile….
Es geht nicht darum, dass die „Schweizer Landwirte vor Billigprodukten aus dem Ausland durch hohe Zölle und andere Einfuhrbegrenzungen gut geschützt“ gewesen sind und jetzt, wegen der offenen Grenzen und „durch die Mitgliedschaft bei der Welthandelsorganisation zunehmend“ unter Druck kämen und „um trotz diesen Veränderungen am Ball bleiben zu können, … unternehmerisches Denken“ bräuchten (6), sondern es geht darum, dass die Versorgungsöknomie mit natürlichen, regenerierbaren Resourcen arbeitet, die in der gängigen Buchhaltung keinen Platz haben. Die zahlreichen versteckten Leistungen der Landwirtschaft sind finanziell nicht wirklich messbar. Auch wenn man zum Beispiel für die Förderung der Bodenfruchtbarkeit einen gewissen Aufwand berechnen könnte, es fehlen die Möglichkeiten, ihren Bilanzwert zu beziffern. So bleibt -bei diesem Beispiel bleibend- die Bodenfruchtbarkeit finanziell ein Aufwand ohne weitern Wert! Deshalb fordert Christian Hiss
- eine bilanzwirksame Internalisierung der effektiven Kosten (Richtig Rechnen),
- eine andere Finanzierung in der Landwirtschaft (Regionalwert AG)
Richtig Rechnen
Die Landwirtschaft haushaltet mit natürlichen Ressourcen und möglichst innerhalb der Grenzen ihrer Regeneration. „Werden in die Bilanzen eines landwirtschaftlichen Betriebes die Aufwendungen für den Erhalt fruchtbaren Bodens, das Gewinnen des eigenen Saatguts, das Nutzen regenerativer Energien usw. nicht als Massnahmen in den Vermögensaufbau bilanziert, entsteht bei der Beurteilung des Hofs ein falsches Bild. Das erschwert nicht nur dem einzelnen Unternehmer die Lenkung. Es führt auch dazu, dass Investoren, Finanzbehörden und die interessierte Öffentlichkeit über den wahren Wert des unternehmerischen Handelns getäuscht werden“, findet Christian Hiss, denn „die scheinbar allgegenwärtige Forderung der Konsumentschaften nach billigen Nahrungsmitteln wird von den Bauern, den Verarbeitern und den Händlern dieser billigen Nahrungsmittel gerne als Rechtfertigung für ihr eigenes ruinöses Wirtschaften benutzt, ist aber im Grunde nur ein hilfloser Versuch, sich aus der eigenen Verantwortung zu ziehen“, zitiert ihn der Reformwarenblog (7).
Regionalwert AG
Können die Merkmale der bäuerlichen Versorgungsökonomie auf ganze Regionen übertragen werden und die alten Betriebsstrukturen der Familie auf eine „normale“ Aktiengesellschaft? Genau das will die Regionalwert AG.
Ihr Ziel: eine sinnvolle Ökonomie für Regionen und Menschen.
Ihr Zweck: eine gezielte Entwicklung und Weiterentwicklung der Landwirtschaft und Ernährungswirtschaft der Region.
Ihre Struktur: eine Aktiengesellschaft.
Ihre Devise: keine Darlehen.
Die Regionalwert AG wächst durch Wiederinvestition von Gewinnen und Kapitalerhöhungen, die zum Kauf von weiteren Beteiligungen gemacht werden.
Ein Darlehen nehmen oder eine Partnerin an Board holen? Ein kapitalsuchender Betriebsleiter muss wählen, ob er lieber gewinnunabhängig Zinsen zahlen oder die Entscheidungsmacht teilen will, denn wenn die Regionalwert AG investiert, erhält sie im Gegenzug die Rechte eines Aktionärs und damit Miteigentümers.
Es gibt einen Unterschied
Die grösste Wertschöpfung der ganzen Nahrungsmittelkette, das ist eine ökonomische Tatsache, liegt im Handel. Die Regionalwert AG will das Ungleichgewicht in der Wertschöpfungskette zu Gunsten der Landwirtschaft fördern und Gewinne, die bei Handel und Dienstleistung entstehen, dem Sektor Landwirtschaft zu Gute kommen lassen. Nur so sieht Christian Hiss für die Landwirtschaft wirklich eine Chance. Der Unterschied, den eine nachhaltige Landwirtschaft ausmacht, liegt im finanziell nicht-messbaren Bereich: Er liegt beim Zugang zu Produktionsmitteln, zu Saatgut, zu Dünger und fruchtbarem Boden, beim Zugang zum Markt usw.
Die Investitionen, die ein Betrieb dieses Jahr zur Förderung der Bodenfruchtbarkeit, genetischer Ressourcen, Kulturlandschaft usw. macht, bilden unverzichtbares Kapital, das nicht beziffert werden kann. Diesem kleinen grossen Unterschied will die Regionalwert AG gerecht werden.
Kein kleines Ziel.
Weiterführende Links
- Saatgut: bedrohte Vielfalt im Spannungsfeld der Interessen (EvB) >>>
- Prof. HC Binswanger über den wirtschaftlichen Wachstumszwang: Vorwärts zur Mässigung >>>
- Man kann die Risiken der neuen Gentechnik noch nicht beurteilen – Dr. Eva Gelinsky – Bioaktuell 5/2021 >>>
- Marktkonzentration auf dem Saatgutmarkt (EvB) >>>
- Sergio Aiolfi zur Fusion Bayer Monsanto in der NZZ >>>
- Als Gegengewicht Bettina Dyttrich in der WOZ >>>
- Christian Hiss: Regionalwert AG >>> und Richtig Rechnen >>>
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