Landwirtschaft als Debatte – Anregungen aus der Zuschauerdiskussion
Ernährung geht uns alle an. Deshalb sollen auch alle mitdiskutieren und die Zukunft aktiv mitgestalten. Doch wie kann man das Interesse der Verbraucher wecken, wenn -grob geschätzt- 90% im Supermarkt einkaufen und davon 50% preisbewusst das günstigste Produkt?!
Agrarinfo Podiumsdiskussion 2016.
Im folgenden eine Palette der Anregungen aus der Zuschauerdiskussion vom 27.8.16 im Anschluss an Christian Hiss‘ Vortrag über Regionalwert AG (aus der Region für die Region – Beispiel Regionalwert AG) und der Podiumsdiskussion (1, 2, 3, 4).
Teil 5: Landwirtschaft als Debatte – Anregungen aus der Zuschauerdiskussion
Berichterstattung zur Bewusstseinsentwicklung
“Die Konsumenten wissen wenig über Ernährung und Landwirtschaft. Das Thema muss geöffnet werden. Es sollte mehr berichtet werden was regional läuft, auch über die Schwierigkeiten! Für uns Konsumentinnen sind die Bauern die, die zu wenig verdienen und viele Privilegien haben. Wir wollen uns mal mit diesen Bauern unterhalten können. Ihre Geschichten kennen um ihre Situation zu verstehen.”
“Werbung hat eine pädagogische, aufklärende Aufgabe. Sie sollte einladen, sich nicht nur am Preis zu orientieren.” Doch wie viel Information macht Sinn? Was will man den Konsumenten erzählen? Etwa „Das Schweizer Gemüsesaatgut kommt nicht aus dem Entlebuch“? Das Wissen, dass 95% des Saatguts in der Wüste gemacht werde motiviert nicht zum Kauf „lokaler“ Lebensmittel.
Der Mythos Bauer um die Bauern muss geknackt werden.
Immer mehr Fernseh- und Radiosendungen, Filme, Aktionen und Tagungen machen auf Probleme im Zusammenhang mit unserer Ernährung aufmerksam, doch die Kommunikation der Lebensmittelindustrie ist stark und so scheint der Kunde kaum mehr Information zu erhalten als die, die er aktiv sucht. Es ist bequemer, der Werbung industrieller Verarbeitern und Grossverteilern zu glauben als sie zu hinterfragen.
„Wenn man wüsste, dass die Saatgutvermehrung grösstenteils in der Wüste gemacht wird und alle diese Dinge, wenn man das wirklich lesen würde als allgemeiner Zeitungsleser, dann würden mehr Menschen bei Kooperativen mitmachen. Hier gibt’s ein Riesen Tabu, das weiss man einfach nicht, solche Info muss man suchen.“
„Die allermeisten solidarischen Landwirtschaftsprojekte sind billiger als die entsprechende Bioware der Grossverteiler. Die Win-Win-Situation entsteht wegen dem direkten Kontakt, den kurzen Kreisläufen und dem Engagement der Konsumenten, die die Lebensmittel auch wirklich essen oder weiterverarbeiten.“
Bodenfruchtbarkeit gehört in die Rechnung
„Die externe Kosten der industrialisierten Landwirtschaft werden nicht eingerechnet. Sie ist nur vermeintlich billig und hocheffektiv: Kosten und Verluste, die an der Natur und am Sozialen entstehen, werden schlicht übergangen.“ Christian Hiss gab als Beispiel die „Kosten für Grundwasserreinigung: an den Ackerböden Europas entstehen, gemäss Aussage der Europäischen Kommission für Umwelt, entstehen hier jedes Jahr Schäden in der Grössenordnung von 39 Mia Euro. Die Kosten der industriellen Landwirtschaft sind –alle Faktoren eingerechnet- höher als die einer Landwirtschaft, die differenzierter vorgeht. Doch solange die Landwirte den Fehler machen, dass sie einer falschen industrialisierten Logik folgen, kann die Landwirtschaft nicht wirtschaftlich werden. Die Bodenfruchtbarkeit ist Teil des Kreislaufs, ist ein ökonomisches Faktum und kein Idealismus.“
„Wenn ein Biobetrieb tatsächlich etwas für die Bodenfruchtbarkeit gemacht hat, dann ist das den Preis wert. Aber wird der Preis auch der Bodenfruchtbarkeit zu Gute kommen? Ein spannendes Thema…“
Bitten an den Bauernverband und uns alle
- Karte, die zeigt, woher die Lebensmittel herkommen
Wissen wir, woher die Lebensmittel kommen, die wir kaufen? Wie gross ist „miini Region“? Kann man aufzeichnen, woher das Saatgut kam, wo die Setzlinge gemacht wurden, wo die Pflanzen wuchsen und wohin z.B. der Salat gebracht wurde zur Verpackung/Lagerung/Verteilung, bevor er in „unserem Laden“ landet? Kann man die Backware zurückverfolgen? Weiss man, woher das Saatgut kam für den Weizen und wo er wuchs? Wo wurde er gemahlen, woher kommen die Zusatzstoffe im Mehl und die Backenzyme? Wo wurde das Brot geformt, gelagert, fertig gebacken? - Förderung von solidarischen Landwirtschaftsprojekten
Kurze Kreisläufe fördern die lokale Wirtschaft. Der Bauernverband solche Projekte fördern, aber der Ball ist auch bei uns: Wie unterstützen wir die kurzen, echt lokalen Kreisläufe mit unserem Konsumverhalten? Möchten wir mehr tun? - Hofnachfolgen
Die Problematik von ausserfamiliären Hofnachfolgen ist vielschichtig. Der soziale Druck bei einer unkonventionnellen Nachfolge ist enorm, eine Aufteilung kaum möglich, die steuerrechtliche Prozedur kompliziert, das bäuerliche Bodenrecht eventuell hindernd,… Wenn es darum geht, dass die Betriebe und damit die Bauernschaft überhaupt erhalten werden soll, muss – so die Bitte der Diskussionsteilnehmer am 28.8. der SBV das Thema ausserfamiliäre Hofnachfolge prioritär behandeln. Aber auch wir als normale Bürger haben die Möglichkeit, über Politik und Konsum aktiv Einfluss zu nehmen. - Schwergewichtsverlagerung – weg vom Übertechnisierten
Ein moderner Maschinenpark und eine intensive Bewirtschaftung generieren extrem hohe Kosten. Als Konsumenten können wir die Technisierung der einzelnen Höfe zwar wenig beeinflussen, können aber Richtig Rechnen (wie Christian Hiss‘ es im gleichnamigen Buch erklärt) und durch unser Kaufverhalten schonende low-input Produktionen bevorzugen.
« Die allermeisten solidarischen Landwirtschaftsprojekte sind billiger als die entsprechende Bioware der Grossverteiler. »
Schlussworte
Wie bringt man diese Haltung in die Breite? Wie weckt man das Bewusstsein?
Es macht keinen Sinn das Negative in den Vordergrund zu stellen: „Wir wollen das Gelingende aufspüren und das integrieren. So wachsen Netzwerke von Gelingendem und ich muss gar nicht kämpfen gegen das andere weil es wächst was. Das ist wunderschön.“ Patrick Honauer weiss, wovon er spricht. „Das Gelingende weitergeben, in den Medien und auf persönlichen Basis. Alle positiven Beispiele sind wichtig.“
„Wenn die Betroffenen und Erfahrenen an einen Tisch sitzen und diskutieren – darüber, was Ernährung ist und was heute die Menschen wollen – hätten die verschiedenen Lebensmodelle, Ernährungsmodelle, Werte nicht alle Platz? Die verschiedenen Interessengruppen, Parteien, Projekte sollten sich vernetzen und wenn möglich zusammenarbeiten.“
„Die Bauern brauchen Modelle, dass sie Unternehmerisch tätig sein können.“
„Wir brauchen eine breite Debatte: die Landwirtschaft und die ganze Gesellschaft muss sich bewusst werden, dass die Ernährung – heute und morgen – ohne Bauern nicht möglich ist. Seit 10, 20 Jahren gibt’s überall Berichte, dass die einzigen, die die Welt ernähren können MEHR BAUERN sind. Nicht die Industrie, sie kann die Bevölkerung nicht ernähren. Deshalb: Die Landwirtschaft ist nicht eine Debatte der Bauern, sondern eine Debatte der Ernährung.“
“Wenn wir ein Minimum von Demokratie in die Ernährung von morgen bringen wollen, muss sich die ganze Gesellschaft darüber Gedanken machen, mit positiven Beispielen statt zusätzlichen Verboten und Gesetzen. Es funktioniert nur wenn ein gemeinsamer Wille da ist etwas zu ändern und das nötige gegenseitige Vertrauen.“
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