Zukunftsfähige Wertschöpfung?
Agrarinfo Podiumsdiskussion 2016.
Notizen der Podiumsdiskussion vom 27.8.16 die Christian Hiss’ Vortrag über Regionalwert AG (siehe unser Artikel aus der Region für die Region – Beispiel Regionalwert AG) folgte.
Teil 3: Landwirtschaft als ökonomische Angelegenheit
Wertschöpfung in der Handelskette
Welcher Anteil vom Preis, den ich im Laden zahle bleibt beim Produzenten? Oder anders formuliert: Was kostet ein Nahrungsmittel im Laden und was ist der Produzentenpreis? Bei sehr vielen Produkten geht nicht mal mehr 10% des Preises zum Produzenten. Klar: je grösser die Verarbeitung ist, desto mehr Kosten kommen dazu, aber es ist nicht immer nachvollziehbar weshalb 90% bei der Verarbeitung bleiben muss und so wenig zum Produzenten kommt.
Adrian Krebs erinnerte an das geflügelte Wort der Bauern: „Wenn wir unsere Produkte gratis gäben wären sie im Laden immer noch teurer als im Laden im umliegenden Ausland.“
Martin Brugger musste das bestätigen, Wertschöpfung ist ein Dauerbrenner beim Bauernverband. Überall – nicht nur in der Schweiz – verliert die Landwirtschaft in der Wertschöpfungskette. Der SBV hat verschiedene Endprodukte von Fleisch (Schnitzel, Entrecôtes, Côtelettes) untersucht und auch die Wertschöpfungskette von Weizen und Milch. Bei der Milch ist der Anteil der Produzenten noch relativ hoch, aber bei allen andern Produkten ist es effektiv so, dass es für den Endkonsumenten im Laden praktisch nicht spürbar wäre wenn der Produzent seine Produkte gratis abgeben würde. Die Statistiken sind im Agrarbericht abrufbar.
Die Verhandlungsposition der Produzenten gegenüber dem Handel muss gestärkt werden. „Am Beispiel Milchhandelsverträgen sieht man wo die Macht ist – bei dem, der mitten im Spiel die Spielregeln ändern kann,“ sagt Martin Brunner, aber: „Die Wertschöpfung hängt aber auch von der Kostenseite ab: Finanziell können high-input wie auch low-input Systeme aufgehen wenn sie konsequent durchgeführt werden. Wenn aber jemand seine Prozesse nicht zu Ende gedacht hat oder kurzfristig das System wechselt gibt es ein Problem.“
Wertschöpfung für die Gemeinschaft
Der Bachsermärt macht mehrere Millionen Umsatz und verzeichnet einen kleinen finanziellen Gewinn. Patrick Honauer: „Wir sind trotz Direkteinkauf hochpreisig unterwegs. Wir diskutieren nicht mit den Bauern sondern geben was diese brauchen und schlagen dann für den Weiterverkauf unsere Marge drauf. Aber wenn z.B. auf einem Hof plötzlich zwei Generationen arbeiten und die Preise so erhöhen, dass beide Familien leben können ist das zwar verständlich, aber wenn unsere Marge noch dazu kommt … Für dieses konkrete Beispiel wird jetzt versucht, die Produkte online zu vermarkten und so die Marge vom Bachsermärt zu verhindern.
Wir haben auch eine Käserei gebaut mit einem Jungbauern: er war 22 und arbeitet bio-dynamisch. Doch der Hof ist abgelegen und wird von keiner passenden Milch-Sammeltour bedient. Wir konnten, mit Geld von Kundinnen und über 100‘000 Franken Spenden, eine Käserei bauen und ab nächstem Jahr haben wir den Keller sogar bei uns im Laden. Die Umsatzrendite ist im Promille-Bereich, aber wir können mit hochqualifizierten Mitarbeitern betreute Ausbildungsplätze bieten und das Produkt ist phantastisch.“
Der Laden im Öko-Quartier von Meyrin basiert auf der Zusammenarbeit zwischen Produzenten und Konsumenten. Er soll den Produzenten eine faire Wertschöpfung ermöglichen und den Konsumenten ein optimales Angebot bieten. Im seit Jahrzehnten bewährten Stil der CODHA sollen die Mitglieder mitdenken, mitüberlegen und mitentscheiden. „Ob das Konzept wie geplant umsetzbar ist wird die Erfahrung zeigen. Wir sind noch im Planungs- und Finanzierungsstadium.“ So Reto Cadotsch. Und weiter: „Die Kooperative als Form wurde gewählt, weil die Mitglieder wirklich mitbestimmen sollen. Wenn etwas nicht gefällt soll man Vorschläge machen und Änderungen bewirken können. Es geht um ‚Mehr als Essen‘.
Im Laden sind verschiedene Kreise involviert. Da sind die Bauern, die direkt für den Laden produzieren und im Laden mitarbeiten, dann gibt’s den Kreis von Produzenten in Genf, die einfach liefern wollen, und der 3. Kreis sind die Kunden. Wir wissen noch nicht, wie weit es möglich ist, Produzenten zu finden, auch im Ausland, die nach unseren Ethischen Prinzipien arbeiten. Was man weiss über die Produkte, auch Bioprodukte, woher die kommen oder wie man sozial etwas herausfinden kann?“
Die Vertragslandwirtschaft mit Jahresabos und Mitgliedschaften ist das Gegenteil vom Verteiler/Laden in dem die Kunden immer gefüllte Regale erwarten und nur kaufen, was sie meinen, grad brauchen zu können. Damit wird die finanzielle Struktur wesentlich einfacher. Reto Cadotsch: „Ich weiss im Dezember schon, wie viel ich im nächsten Jahr verdiene. Ich weiss, wie viele Kunden ich habe und kenne meine Kosten. In der Vertragslandwirtschaft wird jede Woche geerntet und verteilt.
Unsere Stärke ist es, Kunden, Produzenten und Verarbeiter an einem Tisch zu haben. Ökonomisch sind die allermeisten Vertragslandwirtschaftsprojekte konkurrenzfähig. Das ganze Jahr Gemüse zu kriegen kostet weniger als ein Parkplatz in Genf. Und dort können sie nur ein Auto hinstellen. Könnte der Bauernverband nicht auch solche Systeme und Projekte fördern und Hilfe anbieten für start-ups? Auf 3 ha können wir einen Vollarbeitsplatz haben und frisches, saisonales Essen für mehrere hundert Familien produzieren.”
Wertschöpfung mitbestimmen
Basisprojekte wachsen „organisch“ aus einem gemeinsamen Bedürfnis heraus und mit viel Freiwilligenarbeit. Dann kommt -früher oder später- ein Punkt, an dem Entscheidungen institutionalisiert oder Investitionen gemacht werden sollen zum Auf- oder Ausbau des Projekts oder im Zusammenhang mit einem Generationenwechsel. IG, GmbH, AG, oder Stiftung: Welche Rechtsform passt mit welchen Finanzierungsmöglichkeiten? Crowdfunding, Darlehen, Beteiligungen? Das System der Regionalwert AG scheint eine spannende Möglichkeit, weil sie Zugang zu Kapital gibt, aber möglicherweise auch einengend, weil Mitbesitzen auch Mitbestimmen bedeutet.
Beim Bachsermärt sind diese Fragen aktuell in Diskussion. Hinter den für die Kunden sichtbaren Läden versteckt sich eine Vielzahl Betriebe, Organisationen und Abteilungen mit verschiedenen Besitzverhältnissen und finanziellen Abhängigkeiten, für die eine einfachere Rechtsform gefunden werden soll. Da der Entscheidungsprozess sehr demokratisch ist, wäre die finanzielle Beteiligung der Stake Holders eine logische Konsequenz. Zum Beispiel mit einer Regionalwert AG, wo die Finanzierung statt mit Darlehen durch Eigenkapital gelöst wird.
Auch das Öko-Quartier Les Vergers in Meyrin soll demokratisch funktionieren. Doch obwohl man über den Laden möglichst die ganze Lebensmittelkette kontrollieren möchte, scheint -wenigstens für den Moment- eine Kooperative geeigneter, damit jeder mitmachen kann.
Weitere Links
- Software für Solidarische Landwirtschaftsprojekte OpenOlitor →
- Albi will sich regional ernähren: Artikel im Figaro Demain →
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Vortrag von Christian Hiss, Regionalwert AG →
Regionalität als Markt: Zukünftig Regional →
Landwirtschaft als soziale Angelegenheit: Die Gesellschaft bestimmt die Zukunft →
Landwirtschaft als politische Angelegenheit: Ernährung bleibt politisch →
Landwirtschaft als Debatte: Anregungen aus der Zuschauerdiskussion →