Laborfleisch auf dem Mittagstisch?
Diese Frage brachte uns diesen Sommer angesichts des Zulassungsantrags einer israelischen Firma im Auftrag der Migros zum Lachen, resp. bescherte uns Albträume. Bereits vor einigen Jahren ebnete das US-Landwirtschaftsministerium den Weg für die Vermarktung von synthetischem Fleisch, ebenso wie zuvor Singapur. Die Schweiz könnte somit das dritte Land der Welt werden, das diese Art von im Labor gezüchtetem Fleisch vermarktet. Wenn der Antrag genehmigt wird, könnten diese alternativen Produkte, die als nachhaltig, umweltfreundlich oder sogar gesund angepriesen werden, innerhalb von 3 bis 10 Jahren in den Supermarktregalen auftauchen. Da die USA gerade den Verzehr von Fleisch von gentechnisch veränderten Schweinen erlaubt haben, wissen wir, welche Herausforderungen uns in den nächsten Jahren erwarten.
Fleisch aus dem Labor: Traum oder Realität?
Nein, Sie träumen nicht, es handelt sich um Tierfleischzellen, also den essbaren Teil eines Tieres, der nicht durch natürliches Wachstum auf unseren grünen Wiesen in ein oder zwei Jahren gewonnen wird, sondern im Labor aus Rinderzellen, die extrahiert und in einen Wachstumsbehälter (Bioreaktor) gegeben werden, in den Nährstoffe und Wachstumshormone gegossen werden. Das Ganze ermöglicht es, innerhalb von 4 bis 6 Wochen ein „Steak“ zu erhalten. Die Zauberlehrlinge unter den Produzenten sprechen von „clean meat“ oder sauberem Fleisch, da es in einem sterilen Milieu gewonnen wird. Der grosse Vorteil dieses „technologischen Fortschritts“ wäre natürlich die Einsparung von Zeit und damit von Ressourcen.
Die Befürworter von „kultiviertem Fleisch“ vs. Fleisch aus Massentierhaltung verweisen auf die geringen Klimaauswirkungen eines solchen Anbaus (weniger Wasser-, Energie- und Futtermittelverbrauch und natürlich geringere Methanemissionen) und freuen sich, dass die Konsument*innen endlich die Wahl haben zwischen einem toten Tier oder „schmerzfreiem“, also synthetisch hergestelltem Fleisch.
« Endlich kann man fragen: Wollen Sie Fleisch oder ein totes Tier essen? (Respect Farms) »
Wie der Migros-Sprecher Tristan Cerf rechtfertigt, besteht bei den Schweizer Konsument*innen eine rege Nachfrage nach Alternativen zum Fleisch. Da Fleisch aus Intensivtierhaltung in der Tat in erster Linie Umweltprobleme, aber auch ethische Probleme und auch Fragen bezüglich der öffentlichen Gesundheit aufwerfen, wird der Markt für synthetisches Fleisch heute als zukünftige Alternative betrachtet. Multinationale Konzerne investieren massiv in diesen neuen Markt. Auf globaler Ebene ist das Geschäft bereits in vollem Gange, mit führenden Nationen wie Israel (siehe das ausgezeichnete Dossier über Foodtech von Heidi News), aber auch den USA mit den Start-ups Upside und BlueNalu, Mosa Meat und Meatable in den Niederlanden oder Gourmey in Frankreich.
Die Schweiz: eine Foodtech-Nation?
Die Schweiz gehört heute laut der Organisation Good Food Institute zu den vier Ländern, in denen am meisten in alternative Fleischsorten investiert wird. Laut dem Innovatorennetzwerk Swiss Food & Nutrition Valley investiert sie jährlich 2,6 Milliarden Franken in Lebensmittelinnovationen. Zwei Kantone stechen dabei besonders hervor: Freiburg und Waadt, Sitz des multinationalen Unternehmens Nestlé, aber auch von Schlüsselakteuren wie den Universitäten EPFL und EHL und Agropôle, die zahlreiche Foodtech-Start-ups wie Cultivated Biosciences oder Archaiya hervorgebracht haben. Ihr Ziel ist es, „die Schweiz als FoodTech-Nation für die ganze Welt zu etablieren“. Christina Senn-Jakobsen, Geschäftsführerin des Swiss Food & Nutrition Valley, erklärt dazu: „Das ultimative Ziel, das wir und alle unsere Mitglieder verfolgen, ist die Förderung von Innovationen im Bereich der Lebensmitteltechnologie, um den Klimawandel und die Krise der öffentlichen Gesundheit, die durch schlechte Ernährung verursacht wird, zu bekämpfen“. Aber auch, wie oben zitiert, um die steigende Nachfrage nach Alternativen zu Fleisch in der Ernährung zu befriedigen.
Das Klima und die Gesundheit durch Ernährung sind zwei brennende Themen, die uns sehr am Herzen liegen und zu denen wir auch andere Auswege als Foodtech sehen (siehe unsere Klimakonferenz am 13. Oktober). Natürlich müssen die Treibhausgasemissionen dringend reduziert werden und Fleischprodukte sind bei weitem die ressourcenintensivsten Lebensmittel, gefolgt von Milchprodukten. Dieses Klimaargument ist jedoch in Bezug auf die Schweizer Fleischproduktion nicht legitim, da diese keine Massentierhaltung betreibt, wie wir sie aus den Feed-Lots, den berühmten Rindermastanlagen, wie wir sie aus Amerika und anderen Ländern kennen, kennen. Die natürliche Viehzucht produziert Dünger, wandelt Grasland in Proteine um, pflegt und besetzt Böden, die für andere Arten der landwirtschaftlichen Produktion (wie Getreide oder Gemüse) schlecht geeignet sind. Wenn also Lebensmittelgiganten und sogar die Fenaco die Machbarkeit synthetischer Varianten von Rindfleisch untersuchen, sind wir skeptisch. Ist es wirklich eine Alternative für einen Bauernhof, seine Ställe in ein Labor zu verwandeln?
Was steckt hinter diesem neuen Geschäft?
Trotz des enormen Medienbooms über die Produktion von synthetischem Fleisch, gibt es immer noch viele Skeptiker*innen, die dieser neuen Industrie misstrauen. Sie ist noch zu teuer, um in grossem Massstab produzieren zu können, zudem sind die Auswirkungen dieser Produktionsart auf die Gesundheit noch unbekannt. Darüber hinaus sind die neuesten Studien, die zwischen 2019 und 2021 zu den Umweltauswirkungen dieser neuen Produktionsart durchgeführt wurden, weit weniger enthusiastisch als die vorherigen (aus dem Jahr 2013) und zeigen, dass die Menge an Treibhausgasemissionen letztendlich kaum geringer wäre als die, die durch die Rindfleischzucht erzeugt wird. Dies ist vor allem auf die massiven Investitionen dieser Labore und die kostspielige Wartung der Bioreaktoren zurückzuführen (Ergebnisse formuliert von Eric Muraille, Biologe, Leiter der belgischen wissenschaftlichen Forschung).
Auch die gesundheitlichen Vorteile bleiben irreführend. Der Unterschied zwischen früheren ultraverarbeiteten Lebensmitteln und den Foodtech-Produkten, wie synthetischem Fleisch, besteht in der massiven Nutzung der Biotechnologie, die es ermöglicht, durch genetische Veränderungen neue Organismen und Mikroorganismen zu schaffen. Verwirrenderweise spricht man in der synthetischen Biologie auch von Fermentation Aber weit davon entfernt, die wirklich gute natürliche Fermentation von Bakterien zu behandeln, die für eine gute Mikrobiota empfohlen werden (z. B. natürlich fermentierte Gemüse und Getränke wie Kefir), stiftet diese Analogie Verwirrung zwischen traditionellen und gesunden Formen der mikrobiellen Fermentation und diesen neuen, völlig künstlichen Formen, die aus der Mikrobiologie hervorgehen.
Schlusswort
Ist die sogenannte Foodtech-Ernährung nicht einfach nur die nächste Generation ultraverarbeiteter Produkte, die von denselben Industrien verarbeitet werden wie die vorherigen, wobei das Problem nur verlagert wird? Werden wir nicht einfach noch abhängiger von Industrie- und Hightechunternehmen? Denn nur weil wir kein Fleisch mehr essen, das mit tierischen Fetten gesättigt ist, heißt das nicht, dass wir vor Übergewicht oder anderen sogenannten Zivilisationskrankheiten geschützt sind. Das Wissen über die langfristigen Auswirkungen solcher veränderter Organismen lässt sich nicht von heute auf morgen aufbauen. Bleiben wir informiert und eröffnen wir die Debatte, damit die Schweizer Bevölkerung die richtige Entscheidung über dieses neu eingereichte Gesuch treffen kann.
Links
The Corporate Push for Synthetic Foods: False solutions that endanger our health and damage the planet – 31.03.2023
Respectfarms – the world’s first cultivated meat farm
Articles Foodnavigator – Cultivated meat & Dutch cultivated meat start-up Meatable – 08.2023
annabelle: Nachhaltigkeit: Diese Zürcher Startup-Gründerinnen setzen auf kulfiviertes Fleisch – 27.02.2024
Artikel PME (FR) – Foodtech: Die Schweiz erfindet die Lebensmittel von morgen neu – 12.10-2020
Artikel Innovaud (FR) – Die Kraft von Foodtech für eine nachhaltigere Welt nutzen – 2021
Bericht (FR) Heidi News – Juni 2023
RTS-Debatte über das Essen der Zukunft (FR) – Die Nahrung der Zukunft – 11.08.2023
Artikel 20 Minuten (FR) – Im Labor gezüchtetes Fleisch schafft mehr Probleme als es löst– 10.12.2020
Artikel La Tribune – Welche Perspektiven für die Ernährungssouveränität – Juli 2022
SAG – Schweizer Allianz Gentechfrei: Artikel Fleisch aus Forschungsprojekt mit gentechnisch veränderten Schweinen für den menschlichen Verzehr zugelassen – Mai 2023
VOX Article – The bizarre new frontier for cell-cultivated meat: Lion burgers, tiger steaks, and mammoth meatballs
Article SciTechDaily – Lab-grown muscles at ETH Zürich – 17.08.2023
Gottlieb Duttweiler Institute: From the petri dish to the plate in a century – 19.09.2023
Organic consumers association: How Eco-Friendly is Cultivated Meat? – 1.09.2023