Tod im Tierfutter
Laut Bundesamt für Gesundheit sind antibiotikaresistente Keime ein ernsthaftes Problem. Insbesondere sogenannte multiresistente Keime, die gegen die meisten Antibiotika immun sind (MRSA) weltweit und eben auch in der Schweiz. Doch werden in der Schweiz erfolgreiche Gegenmassnahmen forciert.
Seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts tauchen weltweit in Spitälern Infektionen auf, die sich mit Antibiotika nur noch schwer oder gar nicht behandeln lassen. Die Folge: eine unüberschaubare Anzahl von Amputationen und Betroffenen, die an sogenannten Spital-Infektionen schlussendlich starben. Zwar gehen die Fallzahlen dank endlich eingeführter Massnahmen deutlich zurück, aber immer noch ziehen sich sechs Prozent der hiesigen Spitalpatient*innen eine Antibiotikaresistenz zu. Europaweit kosten MRSA pro Jahr 33’000 Menschen das Leben. In der Schweiz rund 300. 2000 Patientinnen und Patienten müssen in der Schweiz immer noch zum Teil schwerste Komplikationen erdulden. Das ist im Wesentlichen der Preis, den wir u.a. für billiges Fleisch bezahlen.
Tod aus dem Kuhstall
Obwohl der Zusammenhang zwischen Antibiotika in der Nutztierhaltung und MRSA schon lange bekannt ist und sich seit der Jahrtausendwende verzweifelte Warnungen von Medizinern und Proteste von Umwelt- und Tierschutzorganisationen häufen, nahm die Verwendung von Antibiotika in der Viehzucht bis vor etwa 10 Jahren stetig zu. 2022 verabreichten Veterinärinnen und/oder Bauern und Bäuerinnen immer noch über 19.3 Tonnen Antibiotika an Schweizer Nutztiere. Nach den Hühnern werden vor allem Kühe am häufigsten behandelt, Grund dafür ist schlicht die Überbeanspruchung der Kühe; zu wenig Freigang, empfindliche Euter der Hochleistungskühe und Haltung auf zu engem Raum. Nach Ansicht der bis 2023 aktiven Zürcher Kantonstierärztin Regula Vogel ist das nur möglich, weil im grossen Stil gegen die vergleichsweise strengen Schweizer Tierschutzgesetze verstossen wird. Da eine derart verdichtete Haltung, die nur mit der präventiven Antibiotikaabgabe funktioniert, zwangsläufig gegen diese Gesetze verstösst.
Lieber billig als Bio
Aber bei den niedrigen Fleischpreisen, die den Produktionsbetrieben durch die Grosskunden vorgegeben werden, rentiert sich die tierfreundliche und artgerechte Haltung nicht. Zumal Bio immer noch ein erschreckend kleiner Nischenmarkt ist. Gerade im Fleischsektor. Laut Bundesamt für Statistik griffen noch 2022 der Konsumierenden beim Frischfleisch nur 6.1 Prozent nach Bioprodukten, also sogar noch weniger als 2020. Die Preise ab Hof sind so niedrig, egal ob Bio oder IP, dass die Produktionsbetriebe sich nur durch Masse über Wasser halten können.
Antibiotika für gesunde Kälber
Biorinder insbesondere Weidekälber in Mutter- oder Ammenkuhhaltung brauchen nur selten Antibiotika. Sie werden durch die Vollmilch, die sie von Mutter oder Ammenkühen erhalten, natürlich gegen etliche Infektionen immunisiert. Das ist bei Kälbern aus intensiver Aufzucht, die sterilisiertes Milchpulver als Futter erhalten nicht möglich. Deshalb erhalten sie bereits in den ersten Lebenswochen präventiv mehrere Standard-Antibiotika-Kuren. Laut der Schweizer Kälbermastorganisation Univo ist dies bei Grossbetrieben gar nicht anders möglich. Bei über 100 Tieren auf engem Raum kann man einzelne kranke Tiere nicht mehr rechtzeitig ausmachen und isolieren.
Illegale Medikation
Bei etlichen Anwendungen von Antibiotika werden nicht mal Tierärzte zu Rate gezogen. Während Menschen Antibiotika nur unter ärztlicher Aufsicht gegen Rezept erhalten, haben viele Bäuerinnen und Bauern Vorräte im Schrank – erhalten von Tierärzt*innen, die aus Zeitmangel Antibiotika auf Vorrat abgaben. Euterentzündungen oder leichte, entzündete Verletzungen behandeln die Halterinnen und Halter oft nach eigenem Gutdünken. Dies, obwohl diese unkontrollierte Abgabe von Antibiotika seit 2019 verboten ist.
Nicht mal Veganer sind sicher
Antibiotikarückstände machen 80 Millionen Liter Milch im Jahr unbrauchbar (der durchschnittliche Konsum von 1,5 Millionen Menschen der Schweiz). Vorstösse, dass die kontaminierte Milch separat eingesammelt und nach Standards vernichtet wird, wurden häufig von den Zuständigen ignoriert. Mangels fachgerechter Entsorgung wird ein Teil der die kontaminierten Milch an Kälber verfüttert oder in den Dünger gekippt wird. Perfekte Bedingungen für die Entstehung multiresistenter Keime. Und durch die Milch im Dünger landen diese Keime eben nicht nur in Fleisch oder Milch, sondern auch auf Gemüse und Salat, so dass sich selbst Veganer MRSA über das Essen zuziehen können.
Griffige Massnahme
2016 sind die Behörden aktiv geworden und lancierten die nationale «Strategie Antibiotikaresistenzen Schweiz (StAR)» der vier Bundesämter BAG, BLV, BLW und BAFU bereichsübergreifend und in Zusammenarbeit mit den betroffenen Akteuren. Zurzeit erarbeiten die Beteiligten auf der StAR-Grundlage mit Partnern und Interessenvertretern aus Forschung, Politik und Wirtschaft den «One-Health-Aktionsplan 2024-27».
Bereits seit 2019 dürfen durch StAR Antibiotika nur noch unter Aufsicht von Veterinär*innen abgegeben und werden in einer zentralen Datenbank erfasst. Ohne behördliche Zustimmung dürfen die Landwirtschaftsbetriebe keine Arzneivorräte mehr horten. Nur kranke Tiere dürfen Antibiotika erhalten und über die Behandlung muss der Bauer oder die Bäuerin Buch führen. Vor der Schlachtung müssen allfällige Medikamentenrückstände aus dem Organismus des Viehs abgebaut sein. Obwohl sich längst nicht alle Produzenten an alle Vorgaben halten, zeigen die Massnahmen Erfolg, die Antibiotikaabgabe an Nutztiere geht laut Bundesamt für Gesundheit zurück. Dennoch, laut Professor Med. A. Kronenberg vom Bundesamt für Gesundheit können jedes Mal, wenn Antibiotika zum Einsatz kommen, resistente Bakterien entstehen.
Um der Entstehung von neuen Resistenzen dauerhaft und vollständig entgegenzutreten, bleibt nichts anderes, als den Konzentrationsprozess in der Tierhaltung zu stoppen.
Links
MRSA: Methicillin-resistant Staphylococcus aureus
Admin.ch: Antibiotikaresistenzen bleiben eine Herausforderung (2020) Humanmedizin versus Tiermedizin
Faktenblatt Revision Epidemiengesetz (Nov 23)
Allgemeine Infos zu Antibiotikaresistenzen und Milchwirtschaft
Tipps zum Schutz vor Antibiotikaresistenzen
Nationaler Bericht zur Lage der Antibiotikaresistenzen in der Schweiz
SRF.ch : Keime auf der Haut
SRF.ch: Antibiotika bei Nutztieren mit Risiken und Nebenwirkungen