Die Schweizer Bauernkriege (1523 – 1526, 1653)
Quasi zeitgleich und zum Teil aus ähnlichen Gründen wie der grosse deutsche Bauernkrieg, erhoben sich auch die Schweizer Bauern in den 20ern des 16 Jahrhunderts. Im wesentlich inspiriert von der Reformation. Der Bauernkrieg 1653 hingegen war von den Folgen des 30-Jährigen Krieges beeinflusst und hat erstmals die Standesgesellschaft an Sich in Frage gestellt.
Im 16. und 17. Jahrhundert erfreuten sich die wehrhaften Schweizer Söldner in den Nachbarländern grosser Beliebtheit. Die reichen Ratsherren der Schweizer Städte liessen sich für die Rekrutierung dieser sogenannten Reisläufer reichlich entlohnen. Die Reisläuferei generierte zu Beginn des 17.Jahrhunderts dermassen grosse Profite, dass es in der Schweiz zu einer massiven Teuerung kam. Während die Profite vor allem den Räten und dem städtischen Handel zu Gute kamen, mussten die Lasten der Teuerung die politisch und wirtschaftlich unfreien Bauern praktisch allein tragen. So kam es während der Mailänder Kriege zwischen 1513 und 1516 zu ersten Aufständen im Bernbiet, und dem Entlebuch.
1523 schliesslich kam es zu organisierten Aufständen in den Kantonen Zürich, Bern, Basel, Solothurn, St. Gallen und Thurgau. Die aufständischen Bauern forderten, ähnlich ihren deutschen Standesgenossen, die Aufhebung der Leibeigenschaft, die Minderung von Abgaben und politische Mitbestimmung. Während die Bauern in Deutschland mit ihren Forderungen beim Adel und Klerus auf vollständig taube Ohren stiessen, gab der Zürcher Rat unter der dem Einfluss des Reformators Ulrich Zwingli teilweise nach. 1525 hob er die Leibeigenschaft auf und erliess den Bauern den Zehnten von der zweiten Ernte, beharrte jedoch auf dem «Grossen Zehnten» auf der Haupternte. Auch Solothurn und Basel, letztere widerum durch den mittlerweile ebenfalls beträchtlichen Einfluss des Basler Reformators Oekolampad, minderten wenigstens einige Abgaben. Bern und Schaffhausen schlugen die Aufstände blutig nieder. Die Thurgauer Bauern erhielten 1525 das Recht, sich aus der Leibeigenschaft loszukaufen. Allerdings wurde das Zugeständnis schon nach einem Jahr schon wieder zurückgenommen.
Der grosse Bauernkrieg von 1653
Deutlich anders gelagert waren die Vorzeichen, aber auch die Forderungen der Bauern im grossen Bauernkrieg. War der theoretische Unterbau früherer Erhebungen meist direkt aus der Bibel abgeleitet und von der Reformation befeuert, argumentierten die Bauern 1653, egal ob protestantisch oder katholisch, eher wirtschaftlich und politisch.
Während des 30-jährigen Krieges exportierte die Schweiz – neben Söldnern – grosse Mengen Vieh und Korn in das verwüstete, von plündernden Soldateska, Pest und anderen Seuchen heimgesuchte Deutschland. Und zwar mit, auch für den Bauernstand, sehr hohen Erträgen. Zwar stieg die Zinslast, aber mit der fortschreitenden Verwüstung und Verelendung in den Deutschen Grafschaften und Fürstentümern stiegen auch die Preise. Nach dem westfälischen Frieden von 1648 fielen die Erträge wieder, aber die auf den Bauern und niederen Ständen lastenden Abgaben blieben gleich, was zusehends die Lebensbedingungen der Bauernschaft verschlechterte.
Erster und zweiter Bauernbund
Insbesondere die Abwertung der Berner, Solothurner und Freiburger Handmünzen im Dezember, war der zündende Funke am Pulverfass. Am 9.1.1653 sprach eine Delegation der Entlebucher Talschaft beim Rat der Stadt Luzern vor und bat um die Kompensation der Abwertungsverluste oder die Rücknahme der Abwertung. Die eigentlichen Verantwortlichen, die Räte von Bern, Solothurn und Freiburg, weigerten sich aber strickt, «fremden Untertanen» eine Entschädigung für die Abwertung der, auch ausserhalb der drei Städte stark verbreiten, Währung zuzugestehen. Tausende von Bauern trafen sich daher zu einer zu Landsgemeinde in Huttwil (BE). Dort beschlossen die Rebellen, die Durchsetzung ihrer Forderungen mit einem Zins- und Zehntenstreik zu erzwingen. Kurze Zeit später schlossen sich die übrigen Luzerner Ämter und Landvogteien der Rebellion an, und am 26.2. schlossen sie sich in in Wolhusen zu einem zweiten und grösseren Bund aller Luzerner Untertanen zusammen. Damit sah sich die Luzerner Obrigkeit ausser Stande, den Aufstand aus eigener Kraft niederzuschlagen und baten andere katholische Städte um Hilfe und Vermittlung. Sehr schnell griff die Rebellion auch auf das Herrschaftsgebiet von Bern, Aarau, Solothurn und Basel über. Wie vorher Luzern sah auch Bern sich gezwungen in den protestantischen Städten um Hilfe zu bitten.
Teilerfolge durch Verhandlungen
Zunächst waren die die Ergebnisse der eidgenössischen Vermittlungsversuche für die Luzerner und Berner Untertanen recht erfolgreich. Vor allem im wirtschaftlichen Bereich wurden den Bauern Konzessionen gemacht. Die politischen Forderungen der Rebellen, wie das Recht auf eigene politische Landsgemeinden und Versammlungen lehnte die Obrigkeit aber kategorisch ab. Ebenso wie eine institutionale Teilhabe an der obrigkeitlichen Gesetzgebung. Die politischen Forderungen der Bauern und niederen Stände hatte aber mittlerweile einen massiv höheren Stellenwert. Statt einer Beruhigung endeten die Verhandlungen in einer weiteren Eskalation des Konflikts.
Der dritte revolutionäre Bauernbund
Vertreter der Untertanen von Luzern, Bern, Solothurn und Basel hielten in Huttwil eine weitere Landsgemeinde ab und schlossen sich zum den dritten «Muttwiler Bauernbund». In der Hoffnung, dass sich auch die übrigen eidgenössischen Landschaften dem Bund anschliessen würden, griffen die mittlerweile radikalisierten Bauern zu den Waffen und planten nicht weniger als eine umfassende politische Revolution. Dass Vertreter des Bauernbunds bei inneren Konflikten gleichberechtigt neben den herrschaftlichen Gesandten der einzelnen Orte vermitteln und den im Konflikt engagierten Untertanen unter Umständen gegen ihre Obrigkeit auch militärische Unterstützung anbieten sollten, beinhaltete eine grundlegende und radikale Veränderung der etablierten Herrschafts- und Machtverhältnisse, die in vorangegangen europäischen Bauernerhebungen nie zur Debatte standen. Ein Erfolg des Muttwiler Bundes hätte das politische Gewicht der unterdrückten Landbevölkerung in ganz Europa in bis dahin beispiellosen Ausmass verstärkt. Die Bauern stellten nicht weniger als die Machtfragte und forderten einen umfassenden politischen Systemwechsel. Nicht nur das löste bei der Obrigkeit blankes Entsetzen aus. Dank dem konfessionsübergreifenden, weiträumigen Zusammenschluss des Muttwiler Bundes standen den Untertanen beträchtliche Waffenarsenale und – dank der Reisläuferei – ein militärisches Know-how zur Verfügung, dass der Bauernschaft bei früheren Aufständen fehlte.
Blockade von Bern und Luzern
Im Mai rüsteten sich beide Seiten für die entscheidende Auseinandersetzung. Die Untertanen griffen am 21. und 23. Mai zu den Waffen und blockierten die Lebensmittelzufur von Bern und Luzern. Allerdings erfüllte sich die Hoffnung des Bauernbundes nicht, dass sich auch die anderen Landschaften dem Aufstand anschlossen. In Zürich besammelte sich ein «Tagsatzungsheer» und aus der treu gebliebenen Waadt marschierte ein zweites berntreues Heer an.
Die Aufständischen gaben teilweise nach. Am 29.5. unterzeichnete der Bauernführer Niklaus Leuenberger einen Separatfrieden und Kompromiss mit seiner Obrigkeit (Vertrag vom Murifeld). Während die Untertanen auf ihre politischen Forderungen verzichteten, bestätigte die Berner Regierung im Gegenzug zahlreiche Konzessionen. Wenige Tage später folgten die Anführer des zweiten Bauernheeres, das sich dem Zürcher Tagsatzungsheer bei Mellingen entgegenstellt hatte, diesem Beispiel und unterzeichneten im Juni den Mellinger Friedensvertrag.
Frieden und Verrat durch die Obrigkeit
Doch kaum hatten sich die Rebellentruppen entsprechend der Vereinbarungen entwaffnet und aufgelöst, viel ihnen die Berner Obrigkeit hinterhältig in den Rücken. Sie erklärte den Murifeldvertrag für gegenstandslos und hetzte ihre Truppen auf die mittlerweile wehrlosen Bauern und führten einen brutalen Rachefeldzug gegen die eigenen Untertanen.
Die anderen vom Bauernkrieg betroffenen Städte, vor allem die Luzerner Regierung gingen nicht so weit, den Friedensvertrag zu annullieren. Aber auch sie führten, entgegen der Abmachung, harte Strafmassnahmen durch. Etliche der Rebellen wurden hingerichtet, als Galeerensklaven oder Söldner verkauft oder verbannt.
Erfolg trotz Niederlage
Obwohl der Bauernkrieg im Wesentlichen zu einer Niederlage führte, forcierte er doch erste Reformversuchen des eidgenössischen Bündnissystems. Wichtiger waren aber die langfristigen Folgen. Der, auch nach der grossen Niederlage weiter geführte, ausdauernde Kampf der Schweizer Untertanen für politische Partizipation und gegen Zentralisierung und Totalisierung der obrigkeitlichen Macht war mit ein gewichtiger Grund dafür, dass die städtischen Obrigkeiten ihre Pläne zum Ausbau einer totalitären Herrschaft nicht weiter vorantreiben konnten. Dadurch ebneten die Bauern und Landarbeiter der Schweiz lang vor der französischen Revolution, Napoleon und der 1848er Revolution ein beträchtliches Stück des Weges zur modernen demokratischen Eidgenossenschaft.
Unsere Artikelserie über Bauernrevolten:
Bauernrevolten und -bewegungen
In unserer Artikelserie zeigen wir, wie die (als so rückständig geltende) Bauern, immer wieder Motor revolutionärer Erhebungen und grosser politischer Umwälzungen waren.
Der Deutsche Bauernkrieg (1514-1526)
Der grosse Bauernkrieg in Deutschland, wurde – wie alle Erhebungen, blutig niedergeschlagen – aber die Politik war nachhaltig beeinflusst.
Die Digger Aufstände
Die Digger-Bewegung entstand 1649 nach der republikanischen Revolution in England als erste libertär/kommunistische Landkommune der frühen Neuzeit: Ihr Aufstand wirkt bis zum heutigen Tag nach.