Jeder, der einen Garten hat, kennt und hasst ihn wohl: Den Giersch. Dass er sich kaum ausrotten lässt, zeugt bereits von der enormen Lebenskraft dieser Pflanze. Die Nonnen und Mönche waren früher schlauer, denn Giersch wurde in den Klostergärten kultiviert. Und neben dem Giersch gibt es auch noch viele andere Pflanzen, die wir heute “Unkraut” schimpfen, die dies aber keineswegs sind.
Was sich so hartnäckig hält, hat eine Würdigung verdient – so wurde im Jahr 2003 durch Garten-Blogger der 28. März zum „Ehrentag des Unkrauts“ erklärt und findet seitdem jährlich statt. Wie viele gute Seiten diese verkannten Pflanzen haben, die bei Bio-Gärtnern und -Bauern lieber “Beikräuter” genannt werden, und wie schön sie sein können, möchte dieser Artikel in Bild und Text zeigen.
Viele wild wachsende Pflanzenarten weisen auf bestimmte Bodeneigenschaften hin und werden deshalb auch Zeigerpflanzen genannt. Diese Pflanzen benötigen ganz bestimmte Bedingungen für ihr Wachstum und reagieren empfindlich auf Veränderungen ihres Lebensumfeldes. Aus dem Vorhandensein und dem guten Gedeihen solcher Zeigerpflanzen kann man deshalb Rückschlüsse auf die Bodenart, den ph-Wert, das Nährstoffangebot und die Bodenverdichtung ziehen. In der (früheren) Landwirtschaft (und heute in der Permakultur) nutzte man dieses Wissen. Ein Stück Land, das neu als Acker oder Garten genutzt werden sollte, wurde zunächst für ein Jahr brach liegen gelassen, um zu sehen, welche Pflanzen sich dort ansiedeln. Die Pflanzengesellschaften, die sich ausbreiteten, lassen Rückschlüsse auf die vorliegende Bodenqualität zu.
Im naturnahen Garten bieten Wildkräuter zahlreichen nützlichen Insekten und anderen Tieren Lebensraum und Nahrung. Sie beschatten auch den Boden, halten ihn feucht und fördern die Humusbildung. Ihre Wurzeln durchlüften den Boden und verhindern das Auswaschen der Nährstoffe. Am Ende liefern sie wertvolle Grünmasse für den Kompost. Wer sie dennoch nicht im Beet duldet, kann die meisten davon auch einfach essen! Denn viele Wildkräuter enthalten wertvolle Vitamine und Mineralien und werden auch als Heilpflanzen geschätzt.

Giersch (Aegopodium podagaria)
Giersch (Aegopodium podagaria)
Der Giersch ist so hartnäckig, weil er sich sowohl durch Samenbildung als auch durch seine langen Wurzelausläufer vermehrt. Jäten regt das Wachstum sogar noch an. Besser ist, ihn im Gartenbeet regelmässig zu pflücken und um die anderen Pflanzen herum zu mulchen, damit er nicht Überhand nimmt. Die jungen Blätter schmecken sehr gut im Salat oder auf italienische Art mit Zwiebeln und Knoblauch kurz gedünstet. Die Volksheilkunde und auch die Homöopathie schätzt das „Zipperleinskraut“, und Kräuterpfarrer Künzle lobte: „Der Geissfuss ist eine herrliche Medizin gegen alle Arten Rheumatismus, Ischias, Gicht und Podagra. Der Absud von gedörrten Geissfusswurzeln ist ausnehmend gut zu Bädern bei Rheuma, Gicht und Krampfadern. Rheumatiker und Gichtiker sollten Salat vom jungen Geissfuss kurmässig geniessen; denn er vertreibt ihnen die so schädliche Harnsäure.“

Blacke (Rumex obtusifolius)
Blacke (Rumex obtusifolius, in höheren Lagen Rumex alpinus)
Der bekannte Schweizer Biobauer der ersten Stunde, Ernst Frischknecht, schrieb schon vor Jahren: „Die Blacke, dein Freund und Helfer.“ Damit irritierte er einen grossen Teil der bäuerlichen Öffentlichkeit. Er selbst liess die Pflanzen auf seinem Hof wachsen. Nur die Blacke, so Frischknecht, helfe dem Boden, eben genau die Situation, die sie fördert, auch langfristig wieder zu verbessern. Ihre riesige, unheimlich zähe und starke Pfahlwurzel führe den verdichteten Böden wieder Luft zu; die wuchernden, massebildenden Blätter entzögen den verstickten und überdüngten Böden genau das Zuviel an Dünger. Damit reguliere die Blacke dank ihrer Spezialisierung langfristig den Standort; mit der Zeit schaffe sie sich dann selber wieder ab. Sie hinterlasse einen ausgeglicheneren, lockereren und nicht mehr überdüngten Boden und wirke so als Heilmittel gegen die begangenen Fehler der Landwirtschaft. Daher sei es schlicht falsch, sie zu bekämpfen.
Die Blacke war im Alpenraum eine von jeher verbreitete und geschätzte Nutzpflanze. Der Hauptverwendungszweck ihrer Blätter bestand in der Herstellung einer Art Sauerkraut, des sogenannten Mass. Beim Heuen und Emden wurden die wild wachsenden Pflanzen stehen gelassen, um die natürliche Vermehrung zu fördern. Bündelweise wurden Blacken gesammelt, gekocht, abgetropft und mit Gewürzkräutern, später mit Salz, in luftdichte Behälter gestampft. Nach eintretender Milchsäuregärung wurden sie ein haltbarer und geschätzter Bestandteil der bäuerlichen Ernährung. Auch für die Schweinefütterung wurde aus rohen gestampften Blackenblättern Mass hergestellt. Ein Bündner Bauer aus Arosa berichtete, es sei dadurch ein viel besser schmeckendes Fleisch zu erzielen; dieses sei haltbarer als der Speck aus den üblicherweise mit Abfällen gefütterten Tieren. Der Speck bleibe sieben bis acht Jahre frisch und werde nicht ranzig. So sehr hatten sich die Bauern an die Blacken gewöhnt, dass noch 1910 ein Bauer aus Rüschegg BE, der im Unterland ein Heimwesen gekauft hatte, nach Hause schrieb, man möge ihm doch bitte Blackensamen schicken, da es auf seinem neuen Heimwesen keine Blacken gebe.
terrabc.ch: Blacke – eine Nutzpflanze wird Unkraut und wieder Nutzpflanze

Brennnessel (Urtica) – Foto: Jan Rehschuh / Wikipedia
Brennnessel (Urtica)
Es gibt die Theorie, dass Brennnesseln bevorzugt auf schlechtem Boden wachsen und auf diesen genauso eine heilende, entgiftende Wirkung hätten wie auf den menschlichen Körper. Tatsache ist, dass die Brennnessel eine sogenannte nitrophile oder Ruderalpflanze ist, das heisst sie folgt der menschlichen Kultur und wächst auf überdüngten, stark stickstoffhaltigen Böden besonders gut. Sie gehört zu den ältesten und verbreitetsten Heilpflanzen der Welt – kein Unkraut, sondern ein Urkraut. Der Volksmedizin sind ihre blutreinigenden, stoffwechselanregenden Eigenschaften bekannt: Die Brennnessel unterstützt die Nieren, so dass Gifte aus dem Körper ausgeschieden werden können. Dank ihrem hohen Eisengehalt ist sie darüber hinaus blutbildend. Sie enthält genauso viel Eisen wie Spinat, nämlich 2-4 mg pro 100 g, und ausserdem sechsmal soviel Vitamin C. Für das Brennen, mit dem wohl schon jeder mal Bekanntschaft gemacht hat, ist das Histamin verantwortlich, und dies erklärt auch die heilende Wirkung der Pflanze auf alle überschiessenden Immunreaktionen wie Allergien und Hautprobleme.
In der biologischen Landwirtschaft dienen Brennnesseln als Dünge-, Pflanzenschutz- und Kompostierungsmittel. Sie gehören zu den wertvollsten Futtermitteln und sind sehr wichtig für Insekten – vor allem für Schmetterlinge, deren Raupen sich von ihr ernähren. Aber auch für uns ist es eine Bereicherung, die Brennnessel auf den Speiseplan zu nehmen. Man verwendet dazu die obersten, zarteren Blätter. In einen Smoothie gemixt oder gedünstet als kostenloser, aromatischer Spinatersatz braucht man keine Angst zu haben, dass man sich den Mund verbrennt. Die Samen kann man auch sammeln, sie sind sehr proteinreich und haben einen nussigen Geschmack.
Experiment Selbstversorgung: Brennnessel

Löwenzahn (Taraxacum officinalis)
Löwenzahn (Taraxacum officinalis)
Sein botanischer Name geht auf das arabische tarakshaqu zurück und bedeutet “Bitteres Kraut” – etwas, worüber wir im Essen heute die Nase rümpfen, dabei sind gerade die in vielen Gemüsen weggezüchteten Bitterstoffe gesundheits- und verdauungsfördernd. Sie sind basenbildend, aktivieren den Stoffwechsel, unterstützen die Leber und sind dadurch sehr kraftvolle Entgiftungsmittel. In Italien und Frankreich gilt Löwenzahnsalat, genauso wie Zichorie, die ähnliche Eigenschaften besitzt, als Delikatesse. Aus den Blüten lässt sich ein süsses Gelee als Brotaufstrich kochen, Sirup oder Likör gewinnen. Gartenfreunden ist die Pfahlwurzel des Löwenzahn ein Dorn im Auge, weil sie sich nur schwer komplett ausstechen lässt. Doch wer einen gesunden Kaffee-Ersatz sucht, der erst noch die Verdauung fördert, kann es so machen wie unsere Grosseltern: Gereinigte Löwenzahnwurzeln in kleine Stückchen schneiden und trocknen, dann in einer Pfanne oder auf dem Backblech rösten, bis sie dunkel werden und gut duften. In einer Kaffeemühle mahlen und das Pulver mit Wasser kurz aufkochen (je länger je bitterer), ein Teelöffel auf eine Tasse.
Die bekannte Kräuterheilkundige Maria Treben (1907–1991) empfiehlt als dreiwöchige Frühjahrskur das tägliche Kauen von bis zu 10 Stängeln Löwenzahn; insbesondere bei Beschwerden der Bauchspeicheldrüse, bei chronischen Leberentzündungen, Abgeschlagenheit, Diabetes und bei Störungen der Milz, denn Löwenzahn fördert die Blutbildung und steigert die Abwehrkräfte.

Ackerschachtelhalm (Equisetum arvense)
Ackerschachtelhalm (Equisetum arvense)
Diese Heilpflanze kennen einige vielleicht besser unter ihrem anderen Namen: Zinnkraut. Früher hat man nämlich damit das Zinngeschirr geputzt, ihrer Saponine und ihrem hohen Kieselsäuregehalt wegen. Der Schachtelhalm wird als Tee bei Rheuma, Nieren- und Hautleiden eingesetzt und soll sogar Nierensteine und Nierengriess ausspülen helfen. Damit sich die Kieselsäure löst, muss die Pflanze länger ziehen, nur kurz überbrühen wie bei vielen anderen Tees reicht nicht.
Als Zeigerpflanze zeigt der Ackerschachtelhalt Staunässe an. Vorsicht Verwechslungsgefahr: Der sehr ähnlich aussehende Sumpfschachtelhalm ist giftig.
Der Siliziumgehalt macht Zinnkraut auch äusserlich angewandt zu einem hervorragenden Naturmittel zur Straffung des Bindegewebes und zur Stärkung von Haut, Haaren und Nägeln, z.B. als Zinnkraut-Bad nach Maria Treben: 100 g Zinnkraut 12 Stunden in einem großen Topf in ca. 5 Liter kaltem Wasser einweichen. Danach den Kaltansatz 15 Minuten vorsichtig kochen und abgesiebt dem Badewasser zugeben. Die Badedauer beträgt mindestens 20 Minuten bei ca. 39°C, danach die Haut abwaschen und mit einem Handtuch abrubbeln, damit die Toxinreste abgespült werden, aber nicht einseifen.
heilkraeuter.de: ackerschachtelhalm
Wer jetzt Lust bekommen hat, diesen Pflanzen eine Chance zu geben: Gerade jetzt ist die ideale Zeit für eine Frühjahrskur. Und wer sich noch unsicher ist und sie zuerst besser kennenlernen möchte, der macht vielleicht eine der zahlreichen Wildkräuterführungen, die inzwischen immer häufiger angeboten werden.
Nicht in die Tonne, sondern in die Pfanne: Unkraut-Rezepte
Quellen und weiterführende Links:
Meret Bissegger: Essbare-Wildpflanzen-Kurse
Ich finde es super, dass Ihr Euch für eine Aufklärung dieser Pflanzen über ihre Nützlichkeit und somit für ihre Würde einsetzt. Interessante Berichte. Ich kann den Nutzen dieser Pflanzen voll bestätigen.
Lieben Gruss
Barbara Sulzer
Grüezi! Ich bin auf Ihren Text gekommen, weil ich Blacke googelte und zZt grad an einem Buch arbeite, in dem der Blacken-Text von Ernst Frischknecht, auf den sich Martin Ott bezieht, drin vorkommt. Jetzt haben Sie hier aus dem Text von M. Ott wörtlich zitiert. Allerdings ohne die Quelle zu nennen… Das finde ich nicht nur nicht korrekt, sondern auch schade. Das Büchlein, in dem der Text vorkommt, ist nämlich empfehlenswert. Der Text von Martin Ott hiess: «Eine Nutzpflanze wird Unkraut und wieder Nutzpflanze”. Und er war in «Jenseits der Blattränder – Eine Annäherung an Pflanzen» von Floriane Koechlin (Hg.), Lenos Verlag, Basel. 2015
Sehr geehrte Frau Loriol,
Vielen Dank für den Hinweis zu “Jenseits der Blattränder”. Wir waren davon ausgegangen, dass sich die Autorin auf den Text von Ernst Frischknecht selber bezog und nicht Martin Ott zitierte.