Vortrag von Fritz Schneider, Leiter Abteilung Agronomie der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL der Berner Fachhochschule und Präsident des Schweizerischen nationalen FAO-Komitees (CNS-FAO), des beratenden Gremiums des Bundesrates.
Gehalten im Rahmen der Tagung Macht keinen Hunger!? – Fleisch aus Weidehaltung, organisiert von der Allianz share for food.
Treibende Kräfte des Wandels im Agrar- und Nutztierbereich
Sehr geehrte Damen und Herren
Ich werde in meinem Referat auf die globalen Zusammenhänge zu Produktion und Konsum von Fleisch und Milch eingehen und mögliche Pfade zeigen, wie wir die tierischen Produkte nachhaltig produzieren können und auch die Notwendigkeit aufzeigen, dass der Verzehr in den hochverzehrenden Ländern reduziert werden muss. Es wird aber auch darauf hingewiesen, dass tierische Produkte für grosse vor allem arme Bevölkerungssgruppen überlebenswichtig sind.
Nutztiere sind sehr ressourcenhungrig. Sie nutzen 70% der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche der Erde, beanspruchen 35% der Ackerfläche zur Futterproduktion, verbrauchen 10% des landwirtschaftlich genutzten Wassers und sind für fast 15% der globalen menschengemachten Treibhausgasemmissionen verantwortlich. Tierische Produkte leisten einen wesentlichen Beitrag zur Energie und Proteinversorgung und sind in weiten Gebieten der Erde unabdingbar für die Versorgung mit essentiellen Aminosäuren und Spurenelementen. Nutztiere sind aber auch enorm wichtig für eine grosse Zahl von armen ruralen Familien.
Das Braune zeigt die Anzahl Tierhalter. Es zeigt sich, dass sehr viele von ihnen in Indien und Afrika leben. Zusammen sind es über 500 Millionen. Menschen, Haushalte und Bauern die von Tieren leben. Aus diesem Grund ist es unverständlich, dass die Ernährungssicherheit, ein definiertes und wichtiges Ziel der SDGs (Sustainable Development Goals post 2015) für die schweizerische Entwicklungspolitik der nächsten Jahre kein prioritäres Ziel sein soll. Treibende Kräfte des Wandels, steigende Einkommen, Mittel- und Oberschicht und sinkende Nahrungsmittelpreise haben die Essgewohnheiten in den Entwicklungsländern in den letzten vierzig Jahren stark verändert. Es werden weniger Grundnahrungsmittel gegessen, dafür mehr teure und verarbeitete Nahrungsmittel (Früchte, Gemüse, Fleisch und Milch).
Anfangs der 1980er Jahre gab es in Indien praktisch noch keine verarbeiteten Lebensmittel. Heute sind enorm viele Marken wie McDonalds oder Subway in den Großstädten Indiens zu finden. Entlang der gesamten Wertschöpfungskette haben sehr grosse Veränderungen stattgefunden. Die Nachfrage nach tierischen Produkten steigt in Ballungszentren, wie Greater Bombay (Bombay im engeren Sinn ca. 20 Millionen) mit etwa 32 Millionen Einwohnern, was viermal mehr sind, als in der Schweiz, stark an. Technischer Fortschritt wie längere Konservierung und besserer Transport des Fleisches und die sogenannte „Supermarketisation“ sind nur einige Gründe für den Anstieg. Vor 20 Jahren gab es in China kaum pasteurisierte Milch und auch keine Supermärkte. Heute werden bereits über 90% der Milch über die Supermärkte vermarktet. Die kleinen gemischten Produktionssysteme, die eigentlich diejenigen sind, die am nachhaltigsten arbeiten können, werden mehr und mehr von großen Spezialisierten, sogenannt landlosen Einheiten verdrängt.
Trends
Der Anteil tierischer Produkte in der Ernährung von Menschen in Entwicklungsländern nimmt stetig zu. Urbanisierung, Bevölkerungswachstum, eine Verschiebung der Tierproduktion aus den Industrieländern in die Entwicklungsregionen und ein Einkommenswachstum gehören zu den aktuellen Trends.
Die globale Nachfrage steigt. Die FAO (Food and Agriculture Organisation) rechnet damit, dass die Nachfrage um 70% steigen wird. Produziert wird eigentlich genug. Das Problem ist eher unsere Verschwendung und die schlechte Verteilung. Die Nachfrage stagniert in den reichen Ländern, steigt aber rapide im Rest der Welt. Dem gegenüber stehen Verknappung und Risiken, Krankheiten und Seuchen, Antibiotika-Resistenzen, Verknappung von Öl, Land, Wasser, Energie und Phosphor und die Degradation der Umwelt, die Umweltverschmutzung und der Klimawandel. Diese zwei Seiten widersprechen sich. Wie sollen wir unter den Voraussetzungen, die auf der Abbildung (rechts) aufgelistet sind, diese 70% Nachfragesteigerung erreichen?
Konsum
Wird der Pro-Kopf-Fleischkonsum auf dieser älteren Folie mit einer Vorschau bis 2040 betrachtet, ist ersichtlich, dass die USA mit 120 kg pro Kopf und Jahr führt. Die Schweiz liegt bei etwa 53 kg pro Kopf.
Bei der Betrachtung des gesamten Fleischkonsums in Millionen Tonnen sieht man, wie stark der Konsum in China und in den Entwicklungsländern ansteigt.
Werden diese Zahlen mit der Anzahl Einwohner multipliziert, wird ersichtlich, dass schon jetzt der gesamte Fleischkonsum in den Entwicklungsländern viel höher ist als in den entwickelten Ländern. Allerdings hat es in den Entwicklungsländer auch viel mehr Menschen. Gesamthaft gesehen wird in den Entwicklungsländern immer noch viel weniger Milch und Fleisch pro Kopf konsumiert, als in den entwickelten Ländern.
Betrachtet man die gesamthafte Entwicklung (fast alle Zahlen stammen aus der FAO) so erkennen wir, dass beispielsweise der Konsum von Getreide und Kartoffeln praktisch nicht wächst. Eier, Milch und Fleisch sind allerdings sehr stark gestiegen.
Bei der Betrachtung des Einkommenswachstums und der Nachfrage, sieht man wie viel mehr wir heute verdienen und wie viel mehr Fleisch nachgefragt wird. Das ist in China wie auch in Indien der Fall. Es ist falsch zu glauben, dass Indien ein Volk der Vegetarier ist. Der Hühner- und Eierkonsum steigt massiv an. Je mehr wir verdienen desto mehr Fleisch essen wir. Das kann sogar in der Schweiz festgestellt werden, vielleicht nicht mengenmäßig, aber wertmäßig. Als Student konsumiert man eher Cervelats, gutverdienende Berufstätige ziehen eher Entrecôte vor.
Es leben schon jetzt mehr Personen in Großstädten als auf dem Land. Die Verstädterung hat zu einer höheren Nachfrage nach Fleisch geführt.
Wenn das Bevölkerungswachstum betrachtet wird, dann sehen wir, dass in der Entwicklungswelt immer noch ein sehr starkes Wachstum zu verzeichnen ist. In den nächsten zwanzig bis fünfzig Jahren wird das Wachstum in Afrika sehr stark sein. Die Bevölkerungszahlen in der entwickelten Welt sind relativ stagnierend.
Produktion
Bei der Betrachtung der regionalen Fleischproduktion fällt auf, dass schon 2015 sehr viel mehr Fleisch in den Entwicklungsländern produziert werden wird, als in den entwickelten Ländern.
Jedes zweite Schwein und 70% des gehandelten Sojas (meistens aus den USA oder aus Brasilien) gehen nach China. Das ist enorm.
In Asien entwickeln sich die grossen Systeme sehr stark. Kürzlich wurde in einem Journal ein Artikel veröffentlich, dass in Vietnam eine Milchfarm für 137’000 Kühe gebaut werden soll. In China gibt es Betriebe mit 40’000 Kühen in einer Scheune. Das hat nichts mehr mit bäuerlicher Tierhaltung zu tun. Die gemischten Systeme sind auch immer noch am Wachsen. Das ist eine Intensivierung. Die Weidesysteme sind nur noch in Westasien und in Nordafrika am Wachsen. In anderen Gebieten sind sie stagnierend oder in Asien sogar rückläufig. Die nächste Folie zeigt, dass in der Fleischproduktion zu 37% industriell produziert wird. Dies betrifft hauptsächlich Hühner und Schweine. 54% wird in gemischten Betrieben produziert. Das sind Betriebe die es am leichtesten haben Kreisläufe zu schliessen. Nur 9% kommen aus Weidesystemen.
Neuere Zahlen sind nicht viel höher. Dies bedeutet, dass bei einer dortigen Intensivierung vielleicht 12% erreicht werden können, allerdings trägt das sehr wenig zu diesen 70% Wachstum, welche die FAO bis 2050 prognostiziert.
Wo wird das Fleisch produziert? Fangen wir auf der nächsten Abbildung rechts an, sehen wir, dass die Milch praktisch nur in gemischten Systemen produziert wird. Dieser Trend ist daran sich zu ändern. Denken wir an Vietnam oder China, erkennen wird, dass Eier, Hühnerfleisch und Schweinefleisch bereits sehr stark in industrialisierten Betrieben (gelbe Balken) hergestellt werden. Das rote Fleisch wird heute hauptsächlich in gemischten Betrieben und Weidesystemen produziert.
In den letzten 30 Jahren hat die Fleisch- und Milchproduktion stark zugenommen. Die Behauptung, dass dadurch die benötigte Fläche an Land zugenommen hat stimmt nach FAO nicht. Dafür ist die Züchtung und Intensivierung (von Pflanzen und Nutztieren) verantwortlich. Bei den Pflanzen ist der Bedarf an Land nicht stark gestiegen. Eine erstaunliche Entwicklung.
Zusammengefasst werden Konkurrenz um Land, Wasser, fossile Treibstoffe und Klimaveränderung die treibenden Kräfte für die zukünftige Entwicklung der tierischen Produktion sein.
Die Nachfrage nach Futtergetreide hat während ein paar Dekaden eher stagniert aufgrund von technologischen Fortschritten. Technologische Veränderungen wie Tiergenetik, Ernährung und Gesundheit, die zu steigender Produktivität führten, haben den Bedarf nach mehr Futter stark reduziert. Aber wir sind an einem Limit. Steigende Nachfrage nach Milch und Fleisch wird die Nachfrage nach Futtergetreide erhöhen und wahrscheinlich werden wir die Erträge nicht gleichermaßen steigern können.
- Konkurrenz um Land, Wasser und fossile Treibstoffe sowieKlimaveränderungen werden die hauptsächlichen treibenden Kräfte sein in der zukünftigen Entwicklung der Tierproduktion
- Die Nachfrage nach Futtergetreide hat während ein paar Dekaden eher stagniert aufgrund von technologischen Fortschritten (Effizienz von Futterverwertung)
- Technologische Veränderungen in der Tiergenetik, Ernährung und Gesundheit, die zu steigender Produktivität geführt haben, haben den Bedarf nach mehr Futter stark reduziert.
- Aber: Steigende Nachfrage nach Milch und Fleisch wird die Nachfrage nach Futtergetreide erhöhen
Das Buch Livestock’s long Shadow wurde stark kritisiert, weil zum ersten Mal relevante Zahlen aggregiert worden sind. Der größte Landnutzer der Welt sind die Nutztiere. Sie tragen wesentlich zum Klimawandel bei, werden aber auch vom Klimawandel beeinflusst. Sie beeinflussen die Wasserzyklen und sind ein Hauptgrund für den Biodiversitätsverlust.
Etwa 7,1 Milliarden Tonnen CO2 Äquivalent sind 14,5% der totalen von Menschen gemachten Treibhausgas-Emissionen. Zwei Drittel kommen aus den extensiven Systemen und ein Drittel kommt aus den intensiven Systemen. Hier bewirken also die extensiven, die kleinbäuerlichen Systeme, einen größeren Ausstoss.
Aber jetzt stellt sich die Frage, ob ein Gleichgewicht zwischen Produktion und Nachfrage überhaupt möglich ist. Wahrscheinlich ja, wenn der Verlust und die Verschwendung von Nahrungsmitteln reduziert wird. Eine Studie aus England zeigt, dass wir in den Haushalten sehr hohe Verluste haben. Wir haben keine sehr guten Zahlen aus der Schweiz, aber die Haushalte sind effektiv vor den Restaurants und vor der Verarbeitung, die diesen „Waste“ produzieren.
Ist ein Gleichgewicht, Nachfrage – Produktion möglich?
Reduktion von Nahrungsmittel-Verlusten und -Verschwendung
Dieses Bild zeigt den Tisch nach der Mahlzeit bei einem Besuch in China vor wenigen Wochen.
Intensivieren der weltweiten Produktion von Wiederkäuern
UND
den enormen Weideflächen Sorge tragen
Hier noch einmal die gleiche Folie. Wir müssen diese riesigen Flächen, die diese 9% produzieren, nachhaltig bewirtschaften und Sorge zu ihnen tragen, damit die grüne Lunge der Erde weiter funktionieren kann. Wir müssen die gemischten Betriebe fördern und wir sollten, wenn möglich, die industrialisierten Betriebe nicht mehr stark fördern.
In Kolumbien beispielsweise will man versuchen das Weideland viel stärker zu nutzen. Sie wollen das Weideland reduzieren, sie wollen einen Teil dem Wald zurückgeben und sie wollen einen weiteren Teil für die Zuckerrohrproduktion brauchen. Die folgende Folie zeigt die prognostizierte Veränderung.
Es werden Hecken angebaut und in weniger als 15 Jahren sollte es folgendermaßen aussehen.
Es wird ein Bonussystem mit Direktzahlungen eingeführt, welches für Biodiversität, Vogelarten und anderes Punkte gibt. Dies funktioniert natürlich nur in den feuchten Tropen, wo genügend Wasser vorhanden ist. Wir müssen das Futtergetreide effizienter brauchen, um die Effizienzlücke zu schließen. Getreide und Ölsaaten werden weiterhin vermehrt für die Produktion von Fleisch, Ei und Milch gebraucht. Der Einsatz von Kraftfutter muss allerdings für Wiederkäuer reduziert werden.
Effizienter Gebrauch von Futtergetreide für die Produktion von Fleisch und Eiern von Schweinen und Hühnern
UND
Schliessung der Effizienz-Lücke
In der Schweiz werden etwa 40% des importierten Sojas an die Wiederkäuer verfüttert. Fleisch und Milch von Raufutter und Rückst.nden aus dem Ackerbau sind die Themen von heute. Wenn mehr Fleisch benötigt wird und Kraftfutter eingesetzt werden muss, dann verfüttern wir das besser den Schweinen, Hühnern und vor allem den Fischen, weil diese das Kraftfutter viel effizienter in Fleisch umwandeln als Wiederkäuer. Die Hühner haben eine Futterverwertung von 1,5-1,75 kg, Schweine etwa bei 2,3 kg und das Vieh etwa 6-8 kg pro kg Fleisch oder sogar mehr.
Es gibt eine enorme Effizienzlücke. Wir können auf den vorhandenen Flächen viel mehr produzieren, wenn wir es richtig machen. Es geht darum, dass wir die Effizienz der produzierenden Betriebe steigern, und nicht die Fläche durch Abholzung ausdehnen. Das ist eine sehr grosse Herausforderung, worin wiederum die gemischten Betriebe gefragt sind.
Intensivieren ist notwendig, aber es sollte versucht werden nicht zu konzentrieren. Intensivieren kann man auch, wenn man Milchbetriebe in Ackerbaugebiete baut, wo wir die Zyklen schließen können. Dies ist sehr wichtig.
Wir bezahlen zu wenig für unser Essen, dass stimmt jedoch nicht für alle, wenn wir sehen, dass in armen Ländern sehr viel ausgegeben wird, dann müssen wird das differenzieren.
Nahrungsmittelpreise: Differenzierte Preisgestaltung !
Es ist zu billig für die Wohlhabenden und Reichen und zu teuer für die Armen. In der Schweiz ist heute beispielsweise die Krankenversicherung teurer als das Essen. Damit will nicht gesagt werden, dass die Krankenversicherung zu billig ist, aber das Essen ist viel zu billig.
Zudem müssen qualitativ hochstehende Nahrungsmittel in reichen Ländern mehr kosten. Vielleicht müssen auch andere Vergleiche herangezogen werden. Zum Beispiel: Wie lange muss gearbeitet werden um 1 kg Mehl oder Brot zu verdienen.
Reduktion des Konsums von tierischen Produkten in den entwickelten Ländern
Es führt kein Weg an der Reduktion des Konsums vorbei, sonst reichen auch die 70% nicht. Schlussendlich müssen wir dazukommen, nicht mehr zu sagen: „Schweizer Fleisch, alles andere ist Beilage“, sondern „Schweizer Fleisch, die Beilage!“