agrarinfo möchte seine LeserInnen zum kritischen Selberdenken anregen. Das soll auch dieser klar positionsbeziehende Artikel von Dr.phil. Henriette Hanke Güttinger :
Isst die Welt gerecht?
Zu diesem Thema hatten im Februar 2016 verschiedene Organisationen (1) zu einem Podiumsgespräch mit Nina Buchmann (ETH) und Hans Rudolf Herren (Biovision) eingeladen.
Ausgangspunkt war unser Welternährungssystem, das heute noch nicht für alle das Menschenrecht auf Nahrung gewährleistet. Folgende Fragenstanden zur Diskussion:
- Welche Produktivitätssteigerung brauchen wir für ein faires Welternährungssystem?
- Wieviel Markt, wieviel Staat, wieviel solidarische Initiativen braucht es für einen fairen Agrarhandel?
- Welche Forschung und Ausbildung braucht es, um den Hunger zu beenden?
- In wessen Macht und Verantwortung steht die Beendigung der weltweiten Ernährungskrise?
Nina Buchmann, Professorin für Graslandwissenschaften an der ETH Zürich und Leiterin des World Food System Center an der ETH (2) legte anhand einiger allgemein gehaltener Thesen ihren Standpunkt wie folgt dar. Das Welternährungssystem sei ein komplexes System. Für das Grundproblem, eine gerechte Ernährung weltweit zu gewährleisten, gebe es keine einfachen Lösungen. Alle Akteure im Welternährungssystem seien von Bedeutung. Bis heute würden jedoch Scheuklappen und Ideologien Lösungen behindern. Um die Welternährung zu sichern, müsste das Welternährungssystem nachhaltig werden. Jeder habe über seinen Konsum Einfluss auf das Welternährungssystem und damit eine Verantwortung.
Dr. Hans Rudolf Herren, Stiftung Biovision und Präsident des Millennium Institute, Washington, machte deutlich, dass die eingangs aufgeworfenen Fragen von der Wissenschaft untersucht und mit dem Weltagrarbericht von 2009 beantwortet worden sind.(3) Die Forschungsergebnisse zeigen, dass es in der Landwirtschaft und bei der Ernährung ein neues Paradigma brauche. „Business as usal is not an option (Weiter wie bisher ist keine Option)“ – so der Weltagrarbericht. In seinen Ausführungen wurde Herren grundsätzlich und konkret, indem er in seinem Referat „Alternative Lösungsansätze zur globalen Sicherung und Steuerung der Ernährung“ aufzeigte. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts sei bei den Pflanzen, die der Ernährung dienen, 50 % der Biodiversität verloren gegangen. Fruchtbare Böden würden zwecks Energiegewinnung der Produktion von Nahrungsmitteln entzogen. Eine vom Renditedenken angetriebene Globalisierung sowie Landgrabbing favorisierten eine industrielle Landwirtschaft, Patente auf Saatgut mit entsprechenden Pestiziden sowie gentechnisch veränderten Organismen. Die Folgen für Artenvielfalt, Bodenqualität und Natur seien schwerwiegend. In der 3.Welt verdrängten zudem die USA und die EU mit subventionierten Nahrungsmitteln die lokal produzierte Ernährung. Die kleinbäuerliche Landwirtschaft, die vielerorts nachhaltig und naturschonend anbaue, gerate dadurch in existentielle Bedrängnis. Kleinbauern und nationale Volkswirtschaften würden ruiniert und für die Markteroberung durch Konzerne – mittels Produkten aus industrieller Landwirtschaft – vorbereitet.
Diesen Missständen, die für uns Menschen weltweit eine existentielle Gefährdung darstellten, könne und müsse mit einem Paradigmenwechsel begegnet werden, welcher Hunger, Mangel- und Fehlernährung beseitigen wird. Eine gesunde Ernährung gehöre zu den Menschenrechten, die in jedem Land gewährleistet sein müsse. Primär habe der Boden der Ernährung der Menschen zu dienen und nicht der Energiegewinnung oder der Spekulation. Es seien die Menschen in den Ländern, die über ihre Ernährung bestimmen können müssten. Sie hätten ein Recht auf Ernährungssouveränität, die Herren als demokratische Lösung für ein gerechtes Welternährungssystem betrachtet. Die Länder sollten sich nicht mehr länger an die Regeln der WTO halten – so Herren. Das ist auch für die industrialisierten Länder zu überlegen (d.V.).
Wir bräuchten eine Landwirtschaft, die „multifunktional, ökologisch, resilient und regenerativ“ produziere. Damit werde auch dem Klimawandel entgegengewirkt. Herren geht davon aus, dass heute mit Biolandbau die Weltbevölkerung ernährt werden könnte. In den Ländern des Südens könnte heute mit einer Produktion auf der Grundlage der Agrarökologie die Produktion verdoppelt werden. Aufgabe der Staaten wäre daher, die Forschung im biologischen Anbau zu intensivieren und ihre Erkenntnisse für die Bäuerinnen und Bauern nutzbar zu machen. Damit könnten diese 2 bis 3mal produktiver arbeiten. Familien- und Kleinbauern würden damit gestärkt. Diese seien es, die den Hauptteil der Nahrungsmittel produzierten. 2014 untersuchte die FAO die Produktivität in Fidschi, den USA und in Brasilien. Dabei stellte sie fest, dass die Kleinbauern sorgfältiger, nachhaltiger und mengenmässig mehr produzierten als die anderen. Im Gegensatz dazu setze die Agroindustrie auf kurzfristige Renditen.
Bis heute – so Herren – fliesse nur ein Bruchteil staatlicher Gelder in die biologische Forschung. Es brauche „mehr Ideen, besser forschen und umsetzen“.(4) Es brauche eine Zusammenarbeit mit der Natur. So zum Beispiel im Bereich der selbstregulierenden Systeme. In diesem Bereich verfügt Herren über eine lange praktische Erfahrungen in Westafrika, wo er von 1979 bis 2005 tätig war. In Afrika – so Herren – passiere die Forschung, die von den Staaten und der Entwicklungshilfe finanziert werde, vor Ort mit den Bauern auf den Feldern. Daran könnten sich die entwickelten Länder ein Vorbild nehmen. Alleine durch eine Verbesserung der Bodenqualität und durch ökologische Anbaumethoden könnten die Bauernfamilien in Afrika einen zwei- bis dreifach höheren Ertrag erwirtschaften. Sie bräuchten dazu weder Pestizide, noch Hybrid- oder GVO- Saatgut.
Herren forschte auch im Bereich der biologischen Schädlingsbekämpfung. Unter anderem zum Befall des Grundnahrungsmittels Maniok mit einer Schmierlaus. In Paraguay fand er Schlupfwespen, mit denen die Schmierlaus erfolgreich bekämpft werden konnte. In 30 afrikanischen Ländern konnte damit die Ernährung für 20 Millionen Menschen sichergestellt werden.
Aber auch hinsichtlich des Energieverbrauches sei die biologische Landwirtschaft der herkömmlichen Landwirtschaft überlegen. Diese benötige 10 kcal fossile Energie um 1kcal zu gewinnen. In der biologischen Landwirtschaft gelinge es, aus 1kcal 30kcal herzustellen.(5)
In der anschliessenden Diskussion stellten Studenten kritische Fragen zum Sponsoring von Syngenta beim Lehrstuhl für Nachhaltige Agrarökosysteme am World Food System, dem neuen Kompetenzzentrum der ETH. Buchmann erklärte den Zuhörern, dass im Forschungsvertrag, der öffentlich einsehbar sei, festgelegt wurde, dass Syngenta keinerlei Einfluss nehme auf die Forschung.
Herren wies mit Nachdruck darauf hin, dass Syngenta sein Geld mit Pestiziden, die er mit dem starken Ausdruck „Weltvergiftung“ charakterisierte, verdiene. Das sei, wie wenn wir Geld von der Mafia nehmen würden. Die Mittel für die Landwirtschaft und die Forschung müssten vom Staat kommen, aus gesellschaftlichem Geld und nicht aus der Privatwirtschaft. Das Geld von Syngenta sei schmutziges Geld.
Nachtrag:
Die Aussage von Nina Buchmann, die Forschung sei frei trotz Sponsoring von Syngenta sowie die Charakterisierung der Syngentagelder als schmutzige Gelder durch Hans Herren haben mich nach dieser Veranstaltung bewogen, noch einiges zu diesen Themen zu lesen, wie folgende Ausführungen zeigen.
Zur Freiheit der Forschung
In einem Interview erklärte Nina Buchmann, dass Syngenta eine Partnerin sei, die „einen grossen Betrag an die ETH-Foundation gestiftet“ habe, um „eine Professur einzurichten, die nachhaltige Agrarproduktionssysteme erforscht“. Daneben gebe es auch „eine Partnerschaft mit der Mercator-Stiftung Schweiz, welche nur die biologische und Low-input-Landwirtschaftunterstützt“. Die Forschung bleibe dabei jedoch frei: „Das ist ein unumstösslicher Grundsatz, über den wir auch nicht diskutieren.“(6) – so Buchmann.
Eine kritische Betrachtung, wie unabhängig die Forschung ist, wenn sie von Agrarkonzernen gesponsert wird, finden wir bei der Agrarökologin Angelika Hilbeck von der ETH Zürich. Als eine von 400 Forscherinnen hat sie am Weltagrarbericht (IAASTD) mitgearbeitet. Zur Unabhängigkeit der Forschung äussert sich Hilbeck in einem Interview wie folgt:
„Was kritisieren Sie an der heutigen Agrarforschung?
Zum einen bestimmen multinationale Unternehmen zunehmend, zu welchen Themen geforscht wird, und finanzieren diese Projekte oder Professuren gezielt. Zum anderen beeinflussen sie über ihre Lobbyisten die wissenschaftliche Strategien und die Gesetze auf nationaler und europäischer Ebene. Das EU-Forschungsprogramm zur Bioökonomie trägt zum Beispiel deutlich die Handschrift der Industrie. Deren Einflussnahme basiert nicht auf einer demokratischen Entscheidungsfindung, denn die Zivilgesellschaft ist daran kaum beteiligt. Dies gilt auch für die Agrarforschung, die im Korsett des agrarindustriellen Systems steckt, auch wenn sie sich gerne ein grünes Mäntelchen gibt. (…) Forschung folgt immer einer bestimmten Interessenlage und entspricht einem Weltbild. Heute ist der Rahmen leider wieder enger und weist zunehmend totalitäre Züge auf. Das zeigt sich bei der Art und Weise, wie etwa die Diskussionen über Gentechnik geführt werden. Die meisten Forschenden in der Industrie und an den Hochschulen geben die Parole aus, Gentechnik sei per se sicher. Wer sich diesem selbstgefälligen Postulat der Industrie nicht beugt, wird in der Öffentlichkeit systematisch diffamiert und diskreditiert. Ein totalitärer Denkstopp soll verordnet werden: Forschenden wird vorgeschrieben, was sie zu glauben haben und welche Meinung sie sich bilden müssen. Als Forscherin muss ich mich entscheiden, ob ich mitmache oder als Häretikerin gelte. In letzterem Fall werden Forschungsgelder gestrichen oder Publikationen erschwert, das schädigt den Ruf und die Karriere. Gegen eine professionelle, mit unbegrenzten finanziellen Mitteln ausgestattete Diffamierungsmaschine hat man als einzelne Wissenschaftlerin kaum eine Chance.
Welche Interessen verfolgt der Staat?
Seit 20 Jahren wird in der öffentlichen Agrarforschung zum Beispiel kaum noch in die Züchtung investiert. Die Forschung wird entweder an Industrieinteressen ausgerichtet oder gleich ganz der Industrie überlassen. Die Forscher, die sich nur aus öffentlichen Mitteln finanzieren, sind darum in der Minderheit und kriegen vergleichsweise weniger Geld. Wenn sie zudem noch kritische Fragen stellen, fliessen auch diese Mittel kaum noch. Obwohl sich die vollmundigen Versprechungen der Gentechnologie nicht erfüllen, verändert sich kaum etwas. Aber: Das kritische Hinterfragen lasse ich mir mit keinem Geld der Welt nehmen.“(7)
Die Ausführungen von Angelika Hilbeck finden ihre Bestätigung im ‚Schwarzbuch Syngenta’.(8) Dort wird dokumentiert, wie Syngenta an der ETH Zürich die öffentliche Forschung in ihre Dienste genommen hat. Anhand zweier Fallbeispielen von der University of California in Berkeley, die Syngenta ebenfalls sponsert, wird aufgezeigt, wie Syngenta massiven Druck gegen Wissenschaftler ausübt, die nicht die gewünschten Forschungsergebnisse liefern.(9)
Sind Sponsorengelder von Syngenta schmutzige Gelder?
Syngenta verdiene sein Geld mit Pestiziden, die die Welt vergiften – so Hans Herren. Ein Artikel über Testfelder für unterschiedliche Pestizide, die Syngenta auf der hawaianischen Insel Kauai, betreibt, bestätigt diese Einschätzung. Getestet werden hochgiftige Pestizide, unter anderen S-Metolachlor, Atrazin oder Paraquat, die in der Schweiz heute bereits verboten sind. Neben den Testfeldern leben Menschen und gehen Kinder zur Schule. Obwohl diese gesundheitlich geschädigt werden, führt Syngenta seine Versuche ungehindert weiter.(10) Eine Fülle von Artikeln zu den Geschäftspraktiken von Syngenta in Lateinamerika, in Afrika und in Asien belegen die Aussage von Herren.(11)
Fussnoten
[1] Organisiert wurde die Veranstaltung von der kripo – kritische Politik, der Nachhaltigkeitswoche, dem Projekt 21, von Agrarinfo und dem Ethik-Labor. Biovision, Solifonds und die WoZ unterstützten die Veranstaltung. Moderiert wurde sie von Urs Sekinger, Koordinator des Solifonds und Redaktionsmitglied des ‚Widerspruch’.
[2] Kompetenzzentrum für Forschung zur Sicherung der Welternährung an der ETH.
[3] www.weltagrarbericht.de
[4] Quelle: „……isst die Welt gerecht? Alternative Lösungsansätze zur globalen Sicherung und Steuerung der Ernährung”, Hans Rudolf Herren, Stiftungspräsident und Gründer Biovision Stiftung, Zürich & Präsident Millennium Institute, Washington, Podiumsgespräch mit Studierenden, 29. 2. 2016, Universität Zürich.
[5] Ute Scheub, Im Boden wurzeln die Lösungen, Zeitpunkt 144 vom Juli/August 2016, S. 41-43.
[6] Auch Kleinbauern haben Monokulturen, Interview mit Nina Buchmann im Tages-Anzeiger vom 18.6.2014.
[7] Interview mit Angelika Hilbeck, in: Fausta Borsani, Thomas Gröbly (Hrsg.), Zwischen Fairtrade und Profit, S. 164-165.
[8] MultiWatch (Hrsg.), Schwarzbuch Syngenta Dem Basler Agromulti auf der Spur, Liebefeld 2016.
[9] kriPo, Syngentas Einfluss auf die öffentliche Forschung Mit Geld, Druck und Diskreditierungen baut Syngenta ihre Macht in der Forschung aus, in: Schwarzbuch Syngenta, S. 248-254.
[10] MultiWatch, Syngentas Testfelder auf Kauai, Syngenta Schwarzbuch S. 48 – 57.
[11] Schwarzbuch Syngenta, S. 34-146.