Veröffentlichung: 26.03.12; Aktualisierung: 14.04.14
In Europa landen jährlich fast 90 Millionen Tonnen Lebensmittel in den Abfalleimern, das sind 179 Kilogramm pro Kopf. 42 Prozent der weggeworfenen Lebensmittel gehen aufs Konto von Privathaushalten. Danach folgen Hersteller (39 Prozent), Gastronomie (14 Prozent) sowie der Einzelhandel (5 Prozent).
Die Zahlen sind alarmierend. Ein Drittel unserer Nahrung soll demnach im Müll landen, rund 1,3 Milliarden Tonnen. Im Kinofilm «Taste the Waste» wird sogar von 50 Prozent gesprochen.
Das Aussortieren von Lebensmitteln beginnt bereits auf dem Acker. Wenn beispielsweise die Grösse der Kartoffeln nicht der gewünschten Handelsnorm entspricht, werden sie gleich aussortiert, obwohl sie einwandfrei sind.
Im Bemühen, den Kunden das ganze Jahr Nahrungsmittel anzubieten, die möglichst gleich und perfekt aussehen, haben Lebensmittelindustrie und Handel detailliert normiert, wie ein in der Natur gewachsenes Nahrungsmittel auszusehen hat. Was nicht der Norm entspricht, endet entweder als Tierfutter oder wird umgepflügt.
Auch im Handel werden Nahrungsmittel bedenkenlos entsorgt, weil sie etwa das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten haben. Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist jedoch nur eine sogenannte Qualitätsgarantie seitens der Nahrungsmittelindustrie – will heissen, dass das «abgelaufene» Nahrungsmittel meist noch völlig in Ordnung ist und wie beispielsweise Zucker eine ganze Zeit lang, über das Mindesthaltbarkeitsdatum hinaus geniessbar wäre.
Klar anders sieht das beim Verbrauchsdatum aus. Dieses betrifft die sehr leicht verderblichen Lebensmittel wie beispielsweise Hackfleisch, Rohmilch oder frisches Geflügelfleisch. Solche Lebensmittel dürfen nach Ablauf des Verbrauchsdatums nicht mehr verkauft werden.
Aber auch Obst und Gemüse mit kleinsten Druckstellen werden weggeworfen, weil es für den Kunden nicht mehr genug frisch aussieht, genau wie das Sechserpack Eier, bei dem nur ein einziges Ei kaputt ist. Doch aus Sicht der Grossverteiler ist es wirtschaftlicher, eine ganze Packung wegzuwerfen als ein einziges Ei zu ersetzen …
Aus dem heimischen Kühlschrank wandern dann weitere Lebensmittel in den Müll, weil beispielsweise zu viel eingekauft wurde. Das Überangebot an Nahrungsmitteln verführt dazu, mehr einzukaufen als nötig. Ein Drittel aller verpackt eingekauften Lebensmittel landet ungeöffnet im Müll!
In Grossbritannien werden beispielsweise täglich 7 Millionen Brotscheiben, 4,4 Millionen Äpfel, 1,3 Millionen ungeöffnete Joghurtbecher, 1 Million Schinkenscheiben, 700’000 Tafeln Schokoladen, 660’000 ganze Eier und 440’000 Fertiggerichte in den Müll geworfen (Die Essensvernichter, Stefan Kreutzberger/Valentin Thurn).
Dazu kommt, dass Nahrungsmittel noch nie so billig waren wie derzeit. Rund 7 Prozent des Einkommens (ohne Restaurantbesuche und Alkohol) geben Schweizer heutzutage für Lebensmittel aus. Vor 100 Jahren waren es noch 41 Prozent.
Mit unserem Essverhalten und unserer Wegwerfmentalität tragen wir auch erheblich zum Klimawandel bei. Über die ganze Ernährungskette gesehen verbraucht jeder einzelne Konsument jede Menge Energie. Beginnend bei der Züchtung des Saatgutes über die Bearbeitung des Bodens und die Aussaat, bishin zu Dünger, Pestiziden, Ernte, Weiterverarbeitung, Transport, Lagerung und schliesslich Entsorgung des entstehenden Mülls. Die dazu notwendige Energie stammt meist aus fossilen Brennstoffen wie Erdöl und Gas, welche die Umwelt stark belasten. Ausserdem wird rund ein Viertel des weltweiten Wasserverbauchs für den Anbau von Nahrungsmitteln verwendet, die später vernichtet werden.
Überdies verschärft unsere Verschwendung anderswo auf der Welt das Hungerproblem. Handelspreise für Getreide werden heute von Spekulationen an der Börse bestimmt, höhere Nachfrage – auch wenn sie letztlich im Mülleimer landet – bedeutet höhere Preise auf dem Weltmarkt, aber nicht mehr Einkommen für den Bauern. Menschen in ärmeren Ländern können sich deshalb oft kaum mehr die Grundnahrungsmittel leisten. Exporte von uns verschmähten Nahrungsmitteln (u.a. Geflügelteile) zerstören darüber hinaus die dortigen Märkte und treiben Bauern in die Armut.
Auch wenn die Empörung zur derzeitigen Lebensmittel- und natürlichen Ressourcenverschwendung berechtigt ist und der Klimawandel dabei beschleunigt wird – die Abfallproduktion gehört zur industriellen Nahrungsmittelerzeugung. Dabei geht es weniger um die menschliche Ernährung, sondern um das Streben nach Profit.
Was kann getan werden? Entscheidend ist, dass wir Konsumenten wieder einen Zugang zu Lebensmitteln mit überschaubaren Produktionsmethoden und Absatzstrukturen bekommen.Wer bewusst mit Lebensmitteln umgeht, weiss nicht nur, wie viel Energie und Wasser dafür notwendig ist, sondern auch, wie viele Menschen dafür arbeiten müssen.
Wer Saison- und Bio-Produkten aus der Region kauft, trägt zu einer Verminderung der Lebensmittelverschwendung bei. Wer Produkte bevorzugt, die in der Region erzeugt, verarbeitet und vermarktet werden, erhält qualitativ hochwertige, frische Ware, fördert das nachhaltige Wirtschaften, sichert Arbeitsplätze und sorgt für den Erhalt der lokalen bäuerlichen Landwirtschaft und der regionalen Kulturlandschaft. Zudem fördert er die soziale Kommunikation und schafft die Basis für ein neues Verhältnis zu Nahrung und Konsum. Durch den direkten Kontakt zum Produzenten versteht der Konsument auch die Produktionszusammenhänge besser und kann die geleistete Arbeit wertschätzen.
Überdies fallen die langen Transportwege und Zwischenstopps weg, die Lebensmittel werden nicht beschädigt und müssen auch nicht schon vor dem Verkauf entsorgt werden.
Ferner sollte der Einkauf von Lebensmitteln besser auf die Essgewohnheiten abgestimmt werden.
Letztlich geht es um Wertschätzung und ein faires Zusammenspiel von Ökonomie, Ökologie und sozialer Verantwortung.
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