Raum
Der Boden ist unsere Lebensgrundlage. Die Natur hat den Boden bereitgestellt. Boden ist deshalb keine Ware sondern Naturgrundlage. Seit die Menschen nicht mehr vom Sammeln wild wachsender Naturfrüchte und von der Jagd lebten, mussten sie den Boden bewirtschaften, um sich ernähren, kleiden und Behausungen erstellen zu können. Die Art und Weise, wie der Boden bewirtschaftet werden soll, kann nur in der Gemeinschaft abgesprochen werden. Eine Flurordnung oder der Bebauungsplan eines Dorfes oder einer Kleinstadt waren immer das Ergebnis von Absprachen innerhalb der Gemeinschaft der tätigen, in gegenseitigem Kontakt stehenden Menschen. Die einzelnen Felder und Häuser werden jedoch mit zunehmendem Organisationsgrad der Arbeit nicht gemeinschaftlich wie Allmenden sondern privat genutzt. Hingegen bleiben die Parzellarordnungen, welche die Bodennutzung regeln, Gemeinschaftswerk. Auch die Zufahrten zu Feldern und Häusern stehen im öffentlichen, gemeinschaftlichen oder genossenschaftlichen Eigentum. Auch in den reichen handeltreibenden Stadtstaaten war der Hafen immer Republikeigentum. Dieses Verhältnis von Gemeinnutz und Eigennutz muss immer wieder von Neuem durch den Citoyen in ein Gleichgewicht zum Nutzen aller gebracht werden.
Raumplanung
Raumplanung hat damit zu tun, wie sich die Menschen auf dem Boden organisieren. Denn letztlich leben wir alle nur vom Boden. Der Boden ist unsere Lebensgrundlage. Alles, was wir produzieren und weiterbearbeiten, kommt aus dem Boden. Die Industrie und die Dienstleistung können die Rohstoffe nur weiterbearbeiten, wenn die Beschäftigten des 2. und 3. Sektors durch die Landwirtschaft ernährt werden können. Genauso wie die Menschen sich auf dem Boden gemeinschaftlich organisieren, müssen sie deshalb ein gewisses Verhältnis zwischen Bodengrundlage und Bevölkerungszahl innerhalb eines volkswirtschaftlichen Gesamtraumes beachten. Denn eine Volkswirtschaft muss sich selbst ernähren können. Kann sie das nicht, müssen ständig Devisen erwirtschaftet werden, um Lebensmittel importieren zu können. Die Schweiz ist, — je mehr sie überbaut wird, je mehr sie durch Zuwanderung wächst, — immer mehr auch zu einer positiven Handelsbilanz gezwungen, weil die Verschlechterung des Verhältnisses zwischen inländischer Bodengrundlage und Einwanderung nur durch Wachstum im Export wirtschaftlich ausgeglichen werden kann. Dass auch dies auf die Dauer kein konfliktfreier Zustand ist, zeigt aktuell die Finanz- und Eurokrise.
Lebensmittel sind überdies ganz besondere Waren. Fallen sie aus, gibt es schon nach drei Tagen gravierende Konflikte. Hungerkrisen sind deshalb sozial explosiv. Das hat auch die Schweiz erfahren müssen. Folglich ist eine Hauptaufgabe der Raumplanung, genügend Landwirtschaftsland für die Ernährung der eigenen Bevölkerung dauerhaft frei zu halten.
Die überlieferte disperse Siedlungsstruktur aus regelmässig auf der Bodenfläche oder „im Raum“ verteilten Dörfern ergibt sich aus dem landwirtschaftlichen Flächenbedarf der Dorfgemeinschaft und aus der Erreichbarkeit der Äcker in einem Tagwerk. Diese räumliche Anordnungsstruktur hat sich in Europa wie auch in den anderen Kulturen zu einer Zeit herausgebildet, als ausschliesslich erneuerbare Energien zur Verfügung standen. Man kann deshalb das Landwirtschaftsland, welches die Dörfer umgibt, sowie die Waldgebiete als grosses Solarpannel auffassen, welches die Sonnenenergie zur Lebensmittel-, Energie- und Baustoffproduktion nutzt. Diese Raumordnungsstruktur wurde im 18. und 19. Jahrhundert in ganz Europa ergänzt durch Umwandlung von gewässernahen Ödländern in Landwirtschaftsland. Dies geschah vorwiegend durch Gewässerkorrektionen und den Ausbau von Wasserstrassen, Hand in Hand mit dem Bevölkerungswachstum und der Industrialisierung sowie der Gewinnung bzw. Kultivierung von Landwirtschaftsböden.
Raumentwicklung
Mit der Kohle und der Dampfmaschine hielt die nichterneuerbare Energie Einzug und ermöglichte eine bisher nicht gekannte Mobilität und räumliche Konzentration des Energieeinsatzes bzw. -verbrauches. Industrien waren nicht mehr ausschliesslich von Wäldern und Wasserkraft und der aus der Landwirtschaft mobilisierbaren Bevölkerung abhängig. Die bisherige Bindung an eine gewisse räumliche Dezentralität begann sich durch die Verfügbarkeit der Kohle und später des Erdöls zu lockern. Die Industrialisierung erfolgte in der Schweiz vorerst durch die dezentral anfallende Wasserkraft, verbunden mit einer dichten, feinmaschigen Siedlungsstruktur vor dem Hintergrund einer vielfältigen, topografischen Gliederung. Die auf der Basis von Kohle bewirkte Verfügbarkeit von Kupfer und Eisen ermöglichte die Elektrifizierung und damit auch in der Schweiz eine neuartige Nutzung der Wasserkraft bzw. der ‚weissen Kohle’ durch ein feinmaschiges Eisenbahn- und Elektrizitätsnetz. Daraus ergab sich beinahe organisch eine moderne Transportinfrastruktur, welche jede Talschaft erschlossen hat. In der Folge fand die Industrialisierung der Schweiz in dezentralen, jedoch gut erschlossenen Siedlungsstrukturen statt.
Infrastruktur
Die Feinmaschigkeit der primären Siedlungsstruktur der Gemeinden, die räumliche Nähe von wassergetriebener Industrie und Selbstversorgung durch die landwirtschaftlichen Kleinheimstätten der Arbeiter sicherte soziale und wirtschaftliche Stabilität, die europäische Aufmerksamkeit hervorrief. John Stuart Mill erhielt im 19. Jahrhundert von der englischen Regierung den Auftrag, die Schweiz zu bereisen und zu erkunden, warum die schweizerischen Textilindustrien derart konkurrenzstark gegenüber der englischen Industrie waren. Die Krisenfestigkeit einer dezentralen, jedoch engmaschigen Siedlungsstruktur spielte mit ihrer engen Verzahnung von Fabrikarbeit und landwirtschaftlicher Versorgungssicherheit ohne das englische Grossstadtelend eine wesentliche Rolle.
Durch den weiteren Aufschwung der Industrie in der Schweiz und vor allem der Exporte wurde im ehemaligen Armenhaus Europas bis zu Beginn des 20.Jahrhunderts immer mehr Geld repatriiert, welches nun auch vermehrt Anlage im Boden suchte. Bisher war die Schweiz, welche zu wenig Land hatte, um alle ihre Bewohner zu ernähren, das Armenhaus Europas. Durch den Export kam nun Geld ins Land und man konnte genügend Getreide importieren. Dieses nun neu repatriierte Geld strebte in den Boden und die Immobilien und führte zu einer gewissen inneren Teuerung. Hier liegt ein Hauptgrund, warum die Schweiz mit ihrem Zwang zu einer positiven Handelsbilanz teurer ist als der Durchschnitt des europäischen Umlandes. Allein in der Landwirtschaft war schon in den 20er Jahren der Bodenpreis in der Schweiz bereits viermal höher als in den umliegenden Ländern. Die Preisinsel Schweiz beruht auf einem sich selbst verstärkenden Prozess zwischen der inneren Teuerung als Folge des Exporterfolges. Daraus ergab sich ein innovationstreibender Regelkreis: Je mehr der Export sich entwickelte, umso reichhaltiger, aber auch teurer wurde das Leben im Inland. Um die erhöhten Lohn- und Produktionskosten auszugleichen, regte dies weitere Rationalisierungen und Innovationen in Industrie und Gewerbe an, was dann wiederum die Exportfähigkeit stärkte. Innovation, Qualität und Produktivität waren wiederum die exportfördernden Faktoren.
Effiziente Organisation der Produktionsstätten, Ausbau der Raumerschliessung und Siedlungsinfrastrukturen, sichere störungsfreie Energieversorgung, hohe Bildung in Volks- und Fachschulen, Gründung des eidgenössischen Polytechnikums und die Geldversorgung durch die ebenfalls öffentlichen Kantonalbanken, dies waren die Erfolgsfaktoren der Schweiz. Der Wohlstand der Schweiz hat seine Quelle in der Dialektik zwischen Exportfähigkeit und der besonderen innenkolonisatorischen Pflege und Förderung der inländischen Strukturen. Die Industrialisierung der Schweiz ist wegen der feinmaschigen, flächendeckenden Erschliessung wesentlich auf dem Land erfolgt. Erst durch diese Früchte der breitangelegten Innenkolonisation wurde die Schweiz vom Auswanderungsland zu einem Land mit wachsender Bevölkerung. Ob die ersten Eisenbahnlinien privat oder staatlich erstellt wurden, ist gar nicht so entscheidend. Dass die Bahnlinien dann letztlich doch durch den Staat übernommen wurden, zeigt, dass der Föderalismus mit den besonderen strukturellen Besonderheiten der Schweiz zu tun hat. Bereits Napoleon hatte dies in einer interessanten Analyse der Eidgenossenschaft nach seinen gescheiterten Zentralisierungsversuchen erkannt.
Ob die Kreditanstalt oder die Kantonalbanken mehr zur wirtschaftlich starken Schweiz beigetragen haben, muss ebenfalls vor dem Hintergrund der föderalen Strukturen der Schweiz gesehen werden. Jedenfalls belegen der Ausbau der Wasserkraft und die Energieversorgung der Schweiz, dass die öffentliche Hand diese Aufgabe im europäischen Vergleich beispielhaft und dann auch ohne das „System Escher“ gelöst hat.
Seit den 60er Jahren begann sich für die Schweiz ein Wandel abzuzeichnen, der die beschriebene Raumstruktur der Schweiz immer mehr zu überschichten begann.
Einwanderung zum Wirtschaftswachstum
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Schweiz zunehmend zu einem Einwanderungsland. Die kriegsbedingten Wohlstandsunterschiede waren so gross, dass die Arbeit billiger Arbeitskräfte zur Belebung der Binnenkonjunktur genutzt wurde. Diese Nachfrageentwicklung führte und verführte das Gewerbe dazu, billige Arbeitskräfte zu importieren, anstatt wie bisher die Effizienz der Produktion bei gleichbleibendem Arbeitskräftebesatz zu steigern. Dies war ein Fehler, wie sich heute herausstellt.
Die ‚Verführung’ lag darin, dass das Wachstum der Wirtschaft durch Einwanderung im Gesamtumfang auf einmal ein schnelleres Vermögenswachstum erlaubte als die Erhöhung der Produktivität nach bisherigem industriell-gewerblichem Muster.
Die Voraussetzungen zu dieser Form von wachsender Wirtschaft war — wie Hans Christoph Binswanger in „Die Wachstumsspirale“ (2006) aufgezeigt hat — der dann ständig zunehmende, beinahe unbegrenzte Verbrauch an billigen, bisher in dem Masse nicht zugänglichen Rohstoffen und andererseits in einer vom Goldstandard losgelösten Geldschöpfung durch die Kreditvergabe aus dem Nichts durch die Privatbanken. Allerdings hat diese Art der Geldschöpfung nur gestützt durch den enormen Ressourcenverbrauch und entsprechenden Massenkonsum funktioniert.
Dieses durch die globale Rohstoff- und Geldpolitik in Gang gesetzte Wachstum ist für die kleinräumliche Schweiz zu einem Problem geworden. Mit dem Raumplanungsgesetz von 1979 wurde versucht, die Siedlungsentwicklung zu begrenzen, was schnell als Behinderung des wirtschaftlichen Wachstums zu politischen Konflikten führte. Die Raumplanung wurde zunehmend daran gehindert, die Bauentwicklung mit einem griffigen Vollzug einzuschränken. Das Siedlungswachstum ging trotz Raumplanung ungehindert weiter.
Die Schweiz ist jedoch nicht dazu gemacht, eine Entwicklung zu einem Metropolitanraum aufnehmen zu können.
Das Land wird inzwischen zur Unkenntlichkeit verbaut, der Verkehr bricht immer öfter zusammen, der Zusammenhalt der Bevölkerung schwindet, der Anteil der Ausländer ist zu hoch, die sozialen Einrichtungen werden überlastet, das Bildungsniveau in den Schulen sinkt…. Da die quantitative Entwicklung begrenzt ist, sollte die wirtschaftliche Entwicklung nicht weiter durch die quantitative Ausdehnung mit immer mehr Zuwanderung (80’000 pro Jahr) erfolgen. Die Schweiz muss den nach dem 2. Weltkrieg eingeschlagenen Weg als nicht mehr zukunftsfähig verlassen. Die Geldschöpfung aus dem Nichts auf Kosten der Umwelt — als Ressource, als auch als Depot — und die Umgestaltung der Gesellschaft allein nach diesem Kapitalverwertungsfluss ist nicht weiter tragbar. Das Wachstum kann in dieser rein quantitativen Form für die Schweiz nicht mehr weitergehen, weil die Grenzen der Natur, die Knappheit des Raumes, die sozialen und kulturellen Schäden immer deutlicher zu Tage treten.
Verschiedene Initiativen sind ergriffen worden oder sind in Vorbereitung, sich mit diesen Fragen zu befassen und nach Lösungen zu suchen.
Sie werden leider ohne eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Situation selbst in populistischer Manier „populistisch“ gebrandmarkt. Umgekehrt wirft die Verkehrs- und Energieministerin der Bevölkerung in saloppem Stil vor, dass sie zur Arbeit fahre, die Bahnen überlaste, die Strassen verstopfe, zu viel Wohnraum brauche, zu hohe Lebenserwartung habe etc.. Dies alles, obwohl diese Entwicklung ja durch den zur Diskussion gestellten Wachstumsprozess wesentlich herbeigeführt wird. Die Siedlungsfläche ist eine Funktion der Bevölkerungszahl. Die gegenüber der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg gestiegenen Wohnflächenansprüche pro Person machen, bezogen auf die ganze Siedlungsfläche, kaum 10% aus. Diese Ansprüche stagnieren bereits wieder seit Jahrzehnten. Das Älterwerden ist ein einmaliger Angleichungsvorgang der reduzierten Sterblichkeit, wo das absolute Alter ja nicht erhöht wird. Der Wegfall der Kindersterblichkeit hat volkswirtschaftlich die längere Lebenserwartung längstens ausgeglichen.
Das nicht gelöste Problem liegt beim zunehmenden Verschleiss, welcher das weitere Zubauen der Schweiz verursacht. Diese Kosten sollen nun nach dem Willen der offiziellen Regierungspolitik durch erhöhte Abgaben auf Arbeit, Mobilität und Raumnutzung von der arbeitenden Bevölkerung zusätzlich getragen werden. Ihr Lebensraum soll durch Raummanagement und Mehrschichtbetrieb nach den Vorstellungen des economic hitman besser ausgenutzt werden. Das heisst, man macht den Stoffumsatz und die Mobilität zur zusätzlichen Einnahmequelle für den Fiskus von der Mehrwertsteuer bis zum Road Pricing. Die dezentralen Gemeindestrukturen samt Gemeindeautonomie müssen einem zentralen Raumverwaltungsregime weichen. Die Bürger sind nicht mehr dem Land, der Gemeinde, dem Dorf, der Stadt, dem Quartier zugeordnet sondern „funktionalen Räumen“, welche das Siedlungsgebiet als Teil eines Grossraumes sogenannter Metropolitanräume auffassen, die nach marktwirtschaftlichen Regeln wie riesige Privatunternehmen durch die Marktprozesse gelenkt werden sollen, beginnend mit der Privatisierung der Infrastrukturen in den Händen von Grossinvestoren. Dabei werden die Grundeigentümerrechte durch den Staat zunehmend beschnitten, um den Weg für die zentral gesteuerte Verwaltung der Metropolitanräume zu ebnen. Das Zusammenleben wird immer mehr als reiner Konsumvorgang durch die Knappheit der Ressourcen und immer weniger durch den Kulturprozess bestimmt. Es ist das, was man als Vermassung schon in den Dreissiger Jahren thematisiert hatte und was nun gewisse Think Tanks mit etwas unklaren Konturen — jede geschichtliche Erfahrung vermissen lassend — heute als „Lösung“ propagieren. Das Problem — man beachte diese geistige Umkehr — sei nicht die masslose Metropolisierung, sondern das Problem seien die bürgerlichen Freiheiten. Avenir suisse sieht den absehbaren Verkehrsinfarkt als Effizienzproblem, das der private Markt besser löse als das öffentliche Interesse. Beweis: Die Investitionskosten der Schieneninfrastruktur seien in der Schweiz pro Kopf sechsmal höher als in Deutschland. Abgesehen davon, dass damit nur geografische Unterschiede wie Netzdichte, Siedlungsstruktur oder klimatische und nicht zuletzt topografische Unterschiede angesprochen sind, wird übersehen, dass Infrastrukturen ja die Voraussetzung des privatwirtschaftlichen Wohlstandes schaffen. Dass die Privatisierung der Infrastrukturen ein leistungsfähigeres Angebot bewirkt, glaubt wohl niemand mehr ernsthaft — es sei denn, man erkaufe mehr Effizienz mit einer Reduktion der Bürgerrechte.
Die Forderung der „Verdichtung“ in der Raumplanung ist die Unterordnung des Menschen unter das masslose Diktat der Kapitalverwertung.
Damit weicht der Kulturprozess der undemokratischen Betriebsplanung. Die bürgerlichen Errungenschaften des öffentlichen Kulturraumes und die Emanzipation des Menschen in erweiterten Freiräumen, die er sich selbst schaffen und als Gesellschaft demokratisch organisieren muss, werden einem fragwürdigen, nur noch technokratisch gesteuerten Industriesystem ohne Demokratie-Entwicklung geopfert.
Deshalb muss die Wirtschaft zu unser aller Nutzen wieder als zentraler gesellschaftlicher Vorgang verstanden und gelebt werden.