Handel und Macht. Wie kann die Schweiz ihre Macht einsetzen, um in den Partnerländern Grundwerte und SDGs zu fördern?
Zukunftsfähige Handelspolitik
Transkription des Beitrags von Angela Mattli, Fachleitung Rohstoffe – Handel – Finanzen, Public Eye
Ich freue mich sehr, darf ich heute bei euch sein und unsere Vision einer Aussenwirtschaftspolitik zur Schweiz präsentieren. Ich werde mich sehr stark auf die Handelspolitik fokussieren. Aussenwirtschaftspolitik ist nicht nur Handelspolitik, sondern es geht da um viel, viel mehr. Ich möchte sehr gerne das Leitmotiv aufgreifen, das Lisa Mazzone vorher schon präsentiert hat.
Es geht hier auch stark um Doppelstandards und darum, was wir hier in der Schweiz vertreten. Wo gibt es Kohärenz und wo haben wir ganz viel Hausaufgaben noch zu machen? Die Ausgangslage ist relativ klar. Ich verweise auch hier immer wieder auf die aussenpolitische Strategie des Bundesrates von 2024 bis 27, in denen der Bundesrat immer wieder konstatiert, auch zurecht, wir durchleben im Moment epochale Veränderungen.
Auch wir haben eine Klimakrise, eine Biodiversitätskrise, zunehmende Hungersnöte und auch eine wachsende Ungleichheit. Das ist im Moment der Rahmen, in dem wir uns bewegen, und ich finde es sehr wichtig, dass die Biodiversitätskrise und auch die Klimakrise wieder mehr auf die politische Agenda kommen, nebst den ganzen geopolitischen Verflechtungen, die wir durchaus haben. Was haben wir im Moment in der Schweiz? Wir haben ein sogenanntes Gesetz über die Aussenwirtschaftspolitik, das stammt aus dem Jahr sage und schreibe 1982. Das ist im Moment diese Grundlage, die wir haben in Bezug auf das Aussenwirtschaftsgesetz. Das ist die Grundlage die wir haben, aber es fehlen die materiellen Bestimmungen, um das Ganze auch aufzufüllen und in den Kontext von uns allen einzubetten. Die mangelnde Kohärenz, Lisa spricht von Doppelstandards, die haben wir hier auch erkannt, es gibt doch eine mangelnde Kohärenz zwischen völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Verpflichtungen in der Aussenwirtschaftspolitik, und eben auch eine relativ schwache demokratische Legitimation. Denken wir an die Abstimmung Indonesien, hier hat sich gezeigt, es braucht vermehrt eine Debatte über Aussenhandel in der Schweiz und eben auch demokratischere Instrumente, um das auch im Vorfeld zu gestalten, sodass wir nicht nur über einen pfannenfertigen Vertrag ja oder Nein abstimmen müssen, sondern auch mitgestalten können, mit Grundlagen, wie so eine aussenwirtschaftspolitik aussehen könnte. Handelspolitik ist Lenkungspolitik, das vergessen wir auch immer wieder und wir können hier auch zusammen sehr viel steuern. Die Konsequenz, im Moment, so wie wir das einschätzen, ist, dass es eine sehr einseitige Ausrichtung gibt, Aussenwirtschaftspolitik auf Wirtschaftswachstum, auf monetäre Interessen, und auf Investoren und Grosskonzerne. UPOV : wir sehen hier wirklich im Zusammenhang mit Upov, diese Verflechtung….dazu später.
Was mir sehr wichtig ist hier vor anzumerken, Public Eye, ist nicht gegen Freihandel, wir sind sehr dafür, es braucht diese Instrumente, aber sie müssen jetzt einfach verbessert werden: demokratischer werden und gerechter werden. Wir haben Anfang Jahr einen umfassenden Bericht veröffentlicht, um genau diese Debatte auch anzuregen und hier geht es genau darum, was eine Aussenwirtschaftspolitik ist, wie können wir uns das vorstellen. Es beinhaltet verschiedene Themen wie beispielsweise Klimapolitik, Investitionspolitik, Steuerpolitik, digitale Handel und auch den ganzen Wissenstransfer und die Innovation. Wie kann das gerecht gestaltet werden? Hinten findet ihr auch ein Magazin von uns, das diesen Bericht noch genauer vorstellt, wenn euch das eingehender interessiert.
Warum der Fokus auf Aussenwirtschaft?
Im Moment haben wir verschiedene Regulierungsansätze:
- einerseits die direkte Unternehmensregulierung, wie beispielsweise die Konzernverantwortungsinitiative, die direkt auf die Konzerne abzielt. Wir stehen ja kurz davor von der sogenannten KVI 2.0, die im Januar dann wieder lanciert wird, und so auch zu einer gesellschaftspolitischer Debatte über direkte Konzernregulierung führen wird.
- Was in der Schweiz im Moment noch ein bisschen zu wenig diskutiert wird, ist die sogenannte indirekte Unternehmungsregulierung.
Hier hat vor allem die Handelspolitik eine sehr wichtige Komponente. In der EU geht es hier auch vorwärts, zum Beispiel mit der EU Deforestation Regulation, die dieses Jahr verabschiedet wurde, auch mit Forced Labour Ban, welche auch im Frühjahr verabschiedet wurde. Was haben wir in der Schweiz? Wir sind noch uns am Finden, was das heisst, resp. wie sollen wir uns dazu verhalten… Die EU geht hier vorwärts und ich fände es wichtig, dass wir hier eben auch diese Kohärenz weiterverfolgen können, um wirklich miteinander voranzukommen.
Was ist der Status quo der Handelspolitik?
- Intransparente Verhandlungen zu FHA mit stark limitierter Mitsprache des Parlaments
- Keine flächendeckende vorgängige (ex-ante) menschenrechtliche Folgenabschätzung
- Nachhaltigkeitskapitel nicht der Schiedsgerichtbarkeit unterstellt und fehlende überprüfbare Indikatoren und einer Ex-Post Analyse
- Fehlende Bestimmungen zur Einschränkung von Warenflüssen aus menschenrechtswidriger Produktion
- Bestimmungen zu geistigem Eigentum, die über internationale Standards hinausgehen
Was ist im Moment aufgegleist?
Es gibt sehr intransparente Verhandlungen zu Freihandelsabkommen, das ist aber nicht “naturgegeben”.Aussenwirtschaftspolitik ist vor allem in der Exekutive angegliedert, das ist so, aber es finden auch jetzt Debatten statt, darüber wie das transparenter gestaltet werden kann? Wo kann auch das Parlament verstärkt mitsprechen? Und es gibt hier auch ein Postulat, dass der Bundesrat jetzt beantworten soll, wie ein Aussenwirtschaftsgesetz ausgestaltet werden könnte, welches auch dem Parlament mehr Mitsprache gibt.
Was wir auch im Moment monieren ist, dass es keine flächendeckende und konsequente vorgängige ex Ante, sprich eine Vorabschätzung, gibt, das heisst, bei jedem Freihandelsabkommen sollte es diese Abschätzung geben. Wir haben jetzt mit Thailand erstmals eine solche Folgenabschätzung auf den Tisch, das begrüssen wir sehr, die eigentlich Standard sein sollte und wir sind jetzt auch daran mit verschiedenen anderen Partner*innen umgehend zu evaluieren und auch eine Abschätzung zu machen, du hast, das heisst wir haben, aber auch auf der anderen Seite beispielsweise in diesem Punkt die Informationen, dass mit Thailand des FH Abkommen jetzt sehr sehr rasch abgeschlossen werden soll, und wir fragen uns deshalb auch, wird dann diese Analyse wirklich einbezogen, wie wirkt sich das auf die Verhandlungen aus, oder haben wir wieder mal einen netten Versuch, um diese Sachen theoretisch mit einzubeziehen,aber in der Realität in den Verhandlungen spielt es eine untergeordnete Rolle. Wir sind aber nicht so pessimistisch und hoffen, dass unsere Analyse wirklich auch einfliesst und darum freuen wir uns dann auch auf die Debatte dazu.
Auch ein Nachhaltigkeits-Kapitel ist seit 2000 bei den EFTA Verhandlungen immer wieder in den FHA, das begrüssen wir. Wir haben jahrelang, zusammen mit vielen anderen Organisationen, dafür gekämpft, dass dieses Nachhaltigkeitskapitel jetzt systematisch auch reinkommt, damit es eben nicht der Schiedsgerichtsbarkeit unterstellt ist. Dieses Nachhaltigkeitskapitel sollte auch handbar werden im Vergleich zu anderen Kapiteln. Es gibt bisher keine überprüfbaren Indikatoren, wie das dann auch gemessen wird. Was wir hierzu auch immer wieder einbringen: Zu den verschiedenen Freihandelsabkommen, die bereits auf dem Tisch sind, soll immer eine Ex Post Analyse gemacht werden. Das heisst dann in Bezug auf Nachhaltigkeit, was sind die Methoden? Wo können wir das überprüfen? Hat das Nachhaltigkeitskapitel auf die FHA eine Wirkung gehabt? Auch hier fehlen uns im Moment die griffigen Instrumente, und wir sollten das auch systematisch ab jetzt einbeziehen bei jedem FHA, das die Schweiz sei es im 11 Rahmen sei es aber auch so verhandelt. Dann, was uns auch wirklich fehlt, sind Bestimmungen zur Einschränkung Warenflüssen aus menschenrechtswidriger Produktion. Beispielsweise mit dem EU Forced Labour Ban gibt es Instrumente, die jetzt in der EU auf dem Tapet stehen und auch implementiert werden. Ich denke, hier gibt es auch quasi Parallelen, die man anwenden kann. Was jedoch sehr positiv ist und was uns auch Hoffnung macht hier, ist der PPM Ansatz, der ja genau nachhaltige Produkte fördern soll und hier sollte man auch diese Kohärenz machen. Was heisst Nachhaltigkeit, welche Instrumente haben wir, wie schränken wir die Produkte ein, die wir nicht wollen und wo lenken wir genau diese Sachen, die wir möchten? Das ist auch etwas, was wir jetzt angehen müssen. Und sind da auch die Bestimmungen zum geistigen Eigentum, die oft in den FHA über die internationalen Standards hinausgehen. Es gibt hier verschiedene Beispiele dazu, wo wir diese Sachen sehen, zB Indien, da gab es keine flächendeckende menschenrechtliche Folgeabschätzung. Das Verhandlungsmandat ist schon seit 16 Jahren auf dem Tisch. Aber diese Folgeabschätzung wurde bis jetzt nicht gemacht und das hat uns sehr beunruhigt, da der Bundesrat in einer vorherige Strategie immer gesagt hat, dass bei wichtigen FHA diese Menschenrechtsfolgeabschätzungen gemacht werden sollen.
Kein sanktionierbares Nachhaltigkeitskapitel, sehen wir im Kontext zu Indien. Wir haben ein Investors Pledge ohne klare Vorgaben. Also, man möchte dort jetzt 100 Milliarden investieren, aber es ist nicht klar wo, was sind die Vorgaben? Was wir auch immer wieder zu sagen ist, die Schweiz ist keine Planwirtschaft und wir wissen nicht, worauf diese Investitionen in Indien abzielen. Sind das Kohlekraftwerke? Sind das nachhaltige Produkte? Wir wissen es schlicht nicht. Und es wird spannend sein, hier auch die Analyse zu machen in Bezug auf die Konferenz.
Was auch interessant ist, sind die Verhandlungen, die jetzt wieder stattfinden in Bezug auf ein Investitionsschutzabkommen mit Indien, das Mandat kommt ja aus den neunziger Jahren. Es wurde vor ein paar Jahren gekündigt, jetzt haben wir die Informationen, das es wieder neu verhandelt wird, aber eben auf welcher Grundlage? Und was heisst das in Bezug auf Nachhaltigkeit und die weiteren Vorgaben, die wir in den letzten Jahren auch erreicht haben?
Lisa hat es vorhin schon angesprochen, was uns sehr beunruhigt sind im Moment die neuen Verhandlungen. Wie wird das neue bilaterale Abkommen mit China? Es gibt hierzu eine Vorstudie, die im Januar verabschiedet wurde. Die Presse hat davor dazu berichtet, im Moment ist es aber sehr schwierig zu verstehen, um was es hier geht. Diese Studie ist nicht über das Öffentlichkeitsgesetz verfügbar. Wir wissen nicht, was da drinsteht, und das beunruhigt uns doch auch, weil wir schon vor 10 Jahren moniert haben, dass das Thema Menschenrechte dort nicht gezielt angesprochen wird, vor allem nicht so verbindlich, wie wir das möchten. Es gibt im Moment keine menschenrechtliche Folgenabschätzung, auch nicht beim Update. Bestimmungen zu Menschenrechten fehlen. Was heisst das dann auch in Bezug auf Waren aus menschenrechtswidriger Produktion, wie Zwangsarbeit?
Es gibt im Moment einen arbeitsrechtlichen Austausch, einen Dialog, der immer wieder passiert und wir begrüssen es. Das ist sehr wichtig, aber es sollte doch auch zu einem integralen Bestandteil des Freihandelsabkommens werden. Der Unterschied, den wir jetzt haben zu 2014, es untersteht dem fakultativen Referendum, das heisst, wir können auch hier zu eine Debatte führen und auf diese Debatte freue ich mich sehr.
Dann ein Beispiel im UPOV, ich hab es bereits erwähnt, hier haben wir wirklich einen sehr krassen Doppelstandard. UPOV 91 ist immer noch in Kraft, die Schweiz fordert das auch immer wieder ein, zusammen mit der EFTA, obwohl die Schweiz selbst UPOV 91 nicht ratifiziert hat. Hier haben wir einen sehr klassischen Doppelstandard: einerseits wird das auch nach aussen gefordert, intern aber nicht. Und es ist schon sehr interessant zu sehen, wie sich das weiterentwickelt und auch die Kritik vom UNO Sonderbotschafter, letztes Jahr, hat wirklich moniert, dass UPOV auch das Recht auf Nahrung unterminiert, und es ist nicht nachvollziehbar, dass die EFTA diesen Grundsatz weiterzieht. Auch Norwegen hat es übrigens nicht ratifiziert, also die Version 91. Von dem her, warum fordern wir Sachen gegen aussen, die wir innen nicht anwenden?
Und das erscheint uns schon sehr problematisch, in der Nachhaltigkeitsstudie zum EFTA Thailand wird diese Frage in unseren Augen umschifft und insofern auch das UPOV-System indirekt verteidigt. Wir wissen nicht genau, wie sich UPOV im FHA Thailand auswirkt, wir haben keine Informationen dazu, aber ich hoffe sehr, dass dieser Standard mittelfristig wirklich abgeschafft wird, weil es in unseren Augen keinen triftigen Grund gibt, warum das aufrechterhalten wird.
Unsere Forderung von Public Eye ist ein umfassendes Außenwirtschaftsgesetz, das eben der Wirtschaft und der Nachhaltigkeit Rechnung trägt, dass wir wirklich in der Balance sind dazu und dass es eine demokratische Legitimation gibt in Kohärenz mit der Bundesverfassung und dass diese Debatten nicht immer im Laufe von Referendum geführt werden müssen, sodass wir hier wirklich einen kohärenten Rahmen haben, um unsere Aussenwirtschaftspolitik nachhaltig zu gestalten.
Ich danke ihnen sehr für die Aufmerksamkeit und freue mich auf den heutigen Tag.
Bundesgesetz über nachhaltigen Agrarhandel? Ein konkreter Vorschlag & Notwendigkeit neuer Ideen.
Transkription des Beitrags von Dr. iur. Elisabeth Bürgi Bonanomi, Leiterin Bereich „Nachhaltigkeitsgouvernanz“, Centre for Development and Environment CDE, Universität Bern
Bevor ich beginne gleich kurz zu meiner Person, damit sie mich noch etwas besser verorten können: Ich bin der Rechtswissenschaftin, habe also immer einen Blick auf das Recht, habe auch lange in der Verwaltung gearbeitet, unter anderem, vor Jahren, für Bundesrat Rösti. Ich bin Fürsprecherin, habe Gesetzgebung gemacht, bin dann zurück an die Uni gegangen und doktorierte zu nachhaltigem Agrarhandel. Seither arbeite ich am Zentrum für Umwelt und Entwicklung. Wir machen grundsätzlich interdisziplinäre Forschung; ich arbeite mit Geografen und Ökonomen, Leuten im Globalen Süden und im globalen Norden. Wir versuchen nicht nur Problemanalyse zu machen, die Probleme wurden heute von Lisa Mazzone schon auf den Tisch gelegt, sondern immer auch über die Problemanalyse an Lösungen zu arbeiten. Als Wissenschafter*innen haben wir die Narrenfreiheit, etwas rauszuzoomen, etwas grösser zu denken und uns zu überlegen, sind diese Ideen schon auf den Tisch gekommen. Solche Ideen werde ich Ihnen heute vorstellen. Ich werde mich jetzt eben nicht so stark auf die Problemanalyse fokussieren, sondern vielmehr gewisse Handlungsebenen aufzeigen, etwas auch im Anschluss an das, was Angela Mattli schon gemacht hat und ein paar Beispiele aus unserem Forschungsalltag bringen.
Handelsregeln sind auch etwas sehr kompliziertes und ich weiss manchmal nicht, ob ich genau die richtige Flughöhe habe, es ist nicht ganz einfach, das zu bringen, aber Sie können ja dann auch in der Diskussion Fragen stellen.
Wie schon auch erwähnt von Lisa Mazzone, Ernährung ist politisch. Über unsere Regeln gestalten wir die Art und Weise, wie produziert wird im In- und Ausland. Es geht um Subventionsregulierungen, Zölle, Regeln, Standards: das ganze Setting von Instrumenten, das wir haben im öffentlichen Beschaffungswesen, welches darüber hinaus bestimmt, wer wie wo Nahrung produziert. Und manchmal haben wir so den Blick stark auf dem Inland, wir wissen etwas über das Direktzahlungssystem, aber wir kennen diese ganzen Regulierungen, die dahinter stehen und was das mit dem internationalen Recht zu tun hat, nicht so gut. Da möchte ich jetzt heute ansetzen. Vielleicht noch einmal kurz zu was präsentiert worden ist, zum Aussenwirtschaftsgesetz: wir selber von der Wissenschaft finden das eine interessante Idee, weil eine bessere gesetzliche Grundlage in der Aussenwirtschaftspolitik helfen könnte, die Aussenwirtschaftspolitik besser an die verfassungsrechtlichen Grundlagen zurück zu binden.
In der Verfassung steht, dass die Schweiz die Wohlfahrt des Landes würdigen soll, aber auch – zum Beispiel – die nachhaltige Entwicklung. Hier ist die Staatszielbestimmung ganz wichtig, aber auch Artikel 54 ist die relevante Grundlage im Bereich der Aussenwirtschaftspolitik.
Wenn die Schweiz wirtschaftspolitisch etwas macht, kann sie einerseits die Unabhängigkeit der Schweiz stärken und ihre Wohlfahrt stärken, muss aber gleichzeitig zur Linderung von Not und Armut beitragen, zur Achtung der Menschenrechte, Fördern der Demokratie, Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen. Es geht also darum, in der Aussenwirtschaftspolitik sich zu überlegen, wie kann ich die Wirtschaft stärken, aber gleichzeitig andere Zielsetzungen auch erreichen? Wo liegt das dazwischen? Diese Abwägung wird nicht immer so optimal gemacht. Allenfalls kann eine gesetzliche Grundlage diese Rückbindung etwas verbessern.
Heute befinden wir uns bei den Handelsregeln in einem Suchprozess. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen, hier ganz einfach kurz noch einmal dargestellt: In den letzten 100 Jahren haben die Flüsse, dh Kapitalflüsse, Güterflüsse, Informationsflüsse, Menschenflüsse quasi auf der Welt ganz ganz stark zugenommen. Wir haben eine Situation, in der weltweit viele der Umweltgrenzen stark überschritten sind, und wir haben eine sehr starke Ungleichverteilung auf der Welt. Natürlich noch viele andere Herausforderungen. Vor diesem Hintergrund findet heute ein Suchprozess statt. Wie muss Handeln reguliert sein, damit wir diesen Herausforderungen gerecht werden können. Wir sind nicht mehr da -vor 20 Jahren hats geheissen „Öffnen, Freihandel, dann haben wir alle Probleme gelöst!“ Ich denke, die Welt ist heute einen Schritt weiter, aber weiss noch nicht so recht, wo sie ist. Ich war kürzlich am Public Forum der Welthandelsorganisation in Genf. Das ist eine grosse internationale Konferenz, wo viele Ideen ausgetauscht werden. Es ging doch sehr viel um Nachhaltigkeit und sehr viel und nachhaltige Regeln. Nebst vielem alten Wein in neuen Schläuchen gab es doch aber auch kritische Wortmeldungen unter anderem hat WTO Generaldirektorin Ngozi Okonjo-Iweala eingestanden auf einem Panel mit jungen Leuten, dass sie nicht so recht wissen was denn gute Lösungen sind, wenn wir in der Wirtschaft auch dafür sorgen müssen, dass viel weniger Ressourcen verbraucht werden, aber gleichzeitig Wachstum brauchen, um Armut zu begegnen; was sind denn die gute Lösungen dazwischen? Sie hat selber gesagt: „Wir brauchen Ideen, die Ideen liegen noch nicht überall auf dem Tisch. So etwas kann man auch aus der Strategie der Aussenwirtschaftspolitik des Bundes raushören. Das Wort nachhaltige Entwicklung ist dort sehr viel enthalten, aber was ist das denn genau, was braucht es denn ganz genau für Regeln? Da fehlt es vielleicht noch etwas an Ideen. Bei den Handelsregeln, oder, da gibt es verschiedene Gouvernanzebenen. Ein Staat wie die Schweiz oder auch ein Verbund wie die EU kann selber tätig werden, national die Zölle setzen usw. hat hier also einen gewissen Spielraum. Ein Staat regelt aber den Handel auch bi- und plurilateral mit Handelsverträgen oder international eben bei der WTO.
Ich werde jetzt 3 Beispiele aufzeigen, wie die Schweiz im Ernährungsbereich etwas konstruktiver regulieren könnte, um nachhaltige Ernährungssysteme bei uns, aber auch in den Partnerländern zu fördern.
Das erste Beispiel ist dieses: Wir haben ein Bundesgesetz über nachhaltigen Agrarhandel geschrieben als Synthese einer Forschungsarbeit. Es war ein dreijähriges Forschungsprojekt vom Nationalfonds finanziert. Es waren 14 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beteiligt aus unterschiedlichen Disziplinen. Wir haben das Projekt an Artikel 104 A der Bundesverfassung angeknüpft, es stimmt aber nicht ganz was Lisa Mazzone gesagt hat, dass die Fair Food Initiative keine Auswirkungen hatte: sie hat doch Auswirkungen, nämlich sie ist in die Bundesverfassung indirekt eingeflossen über Buchstabe D dieser Bestimmung. Darin steht, dass der Bund grenzüberschreitende Handelsbeziehungen so gestalten muss, dass sie zur nachhaltigen Entwicklung der Land- und Ernährungswirtschaft beitragen. Diese Bestimmung ist im Moment noch nicht mit Inhalt gefüllt. Deshalb haben wir uns überlegt, wie man das konkret machen könnte. Es ist übrigens eine Bestimmung mit sehr viel Potenzial. Ich habe kürzlich auch einen Verfassungskommentar dazu geschrieben, der im Basler Kommentar erscheinen wird, falls Sie das interessiert. Was haben wir gemacht?
Wir haben sehr viele Studien aus verschiedenen Perspektiven gemacht und damit quasi die gesetzliche Grundlage. Dieses Wissen soll in diese Gesetzgebung, die wir da entwerfen, als Beispiel einfliessen.
Hier die Studie, falls sie das interessiert, hat zum Beispiel interessante Sachen drin wie: gibt es so etwas wie ein internationales Verständnis von nachhaltigen Ernährungssystemen?
Eine der Studien hat klar gezeigt, dass diese Bestimmung der Verfassung verbindlicher Natur ist und dass hier der Bund eine Handlungspflicht hat. Interessant sind vielleicht auch die 2 Studien zur WTO Schiedsgerichtsbarkeit. Da haben wir uns die WTO Regeln genau angeschaut und die Rechtsprechung, und uns gefragt, wenn es die Schweiz differenziert regulieren würde, etwas ähnlich wie von der Fair Food Initiative vorgesehen, wäre das möglich? Wir sind zum Schluss gekommen, dass das geht. Es braucht aber gewisse Regeln, wie zum Beispiel, dass die Regeln, die Sie gegen Aussen setzen gegen Innen konsistent sind. Dass Sie also auch im Inland eine nachhaltige Agrarpolitik verfolgen oder dass Sie kontextgerechte Regeln schreiben. Das heisst nicht, Regeln der Schweiz einfach auf ein anderes Partnerland aufoktroyieren, sondern schauen, was „nachhaltig“ heisst im Partnerland. Am Schluss sind wir zu diesem Bundesgesetz gekommen.
Was steht da drin? Das können Sie gerne lesen auf der Projektwebsite, mit Storyline und Verlinkung der Publikationen. Wir haben argumentiert, dass die Regeln heute zum undifferenziert sind, dass Sie Regeln brauchen, die einerseits den Import von wirklich nachhaltig wertvollen Gütern fördern in die Schweiz(das hört der Bauernverband nicht so gerne), gleichzeitig brauchen wir Regeln, die den Import und den Handel mit schädlichen Gütern erschwert und: wir müssen die gleichen Kriterien im Inland anwenden und dafür haben wir auch Vorschläge gemacht. Also es Disabling und Enabling und gegen innen und aussen.
Wir sind auch davon ausgegangen, dass Artikel 104 A besagt, dass wir beides machen in der Schweiz: wir produzieren im Inland und wir importieren, und das ist in Ordnung so. Aber wir haben einen Hebel. Es geht um das Verhältnis, das ist wichtig, es braucht einen Schutz im Inland. Die Frage ist: was ist der Schutz, wie gross, wie umfangreich?
Wenn wir importieren, haben wir Partnerschaften im Ausland und tragen dort eine Verantwortung. Es geht also immer um beides. Wichtig ist: wie kann man fördern und hindern? Wir denken oft an Zölle und Verbote. Es gibt ganz viele andere Fördermassnahmen: Sie können zum Beispiel Qualitätssicherung machen im Labelbereich, Sie können im öffentlichen Beschaffungswesen Fördern oder Verhindern, Sie können einfachere ein Zulassungsverfahren machen, steuerliche Anreize oder Kontingente zum Teil reservieren für gewisse Produkte usw., da gibt es eine ganze Palette von Möglichkeiten. Es ist also nicht per se alles WTO inkompatibel, sondern es gibt hier einen gewissen Spielraum. Wir haben uns natürlich, auch wir hatten einen Stakeholder-Prozess, und es wurde viel gesagt „das ist alles schön und gut, aber nicht machbar und nicht kontrollierbar ». Wir haben uns ein Verfahren überlegt, das nicht auf einer umfassenden Kontrolle passiert, aber auf Vertrauen auch mit Positiv- und Negativliste. Das geht etwas weit, aber wir finden das Verfahren gut und ich glaube, es wäre interessant, das mal anzuschauen.
Nationaler Spielraum
Wie ist dieser Vorschlag eines Systems, wo wir gewisse Handelsbereiche fördern, aber andere unterbinden? Wie ist es in die internationale Debatte eingebettet? Das ist ja ein wissenschaftlicher Vorschlag. Wir haben ähnliche Ansätze zum Beispiel in Frankreich. In Frankreich gibt es Fair trade Gesetze, die versuchen den Handel mit fair trade Produkten zu fördern. Das ist dieses Enabling. Wir haben aber vor allem die heutige Tendenz in der EU und die neuen Regulierungen wurde angesprochen, die versuchen eher, das Schädliche zu zu verhindern. Hier ist vor allem die Verordnung für entwaldungsfreie Lieferketten zu erwähnen. Diese ist neu in Kraft und in einem Jahr dürfen gewisse Rohstoffe nicht mehr importiert werden, die mit Entwaldung in Zusammenhang stehen. Das ist eine strenge Regulierung, die versucht dieses Disabling zu machen. Was ist die Rolle der Schweiz? Die Schweiz will häufig neue Regulierungen der EU nicht übernehmen und dann müssen wir sie irgendwann einmal doch übernehmen, weil wenn wir sie nicht übernehmen werden das nichttarifäre Handelshemmnisse.
Früher oder später kommen wir nicht darum herum, das, was von der EU kommt, zu übernehmen, um unsere Unternehmen nicht zu benachteiligen. Aber kann die Schweiz nicht auch eine konstruktivere Rolle spielen als dieses defensive und dann auch etwas passive Verhalten weiter so zu leben? Wir haben Vorschläge gemacht, wie die Schweiz diese Regulierung in ein eigenes Gesetz übersetzen könnte und gleichzeitig die Schwachstellen angehen könnte. Also diese Regulierung ist vor allem auf die Umweltfrage auf die Entwaldungs-Frage fokussiert. Sie will gewisse Sachen nicht mehr, aber sie ist nicht nur gut, so wie sie geschrieben ist, z.B. für Kleinbäuerinnen. Es braucht auch Fördermassnahmen, Einschluss-Massnahmen für Kleinbäuerinnen, damit das Ganze sozialverträglich wird. Die Schweiz könnte hier als etwas Aussenstehendere Akteurin kooperativ-souverän vorgehen und interessante Vorschläge in den Diskurs einbringen, indem sie zum Beispiel ihre Regulierung gleichzeitig noch Förderungsmassnahmen einfügt, und so auch die Debatte in der EU weiterbringen.
Internationale Möglichkeiten
Bei den Handelsverträgen verhandeln wir mit anderen Staaten, hier kann die Schweiz auch kooperativ-souverän und nachhaltig versuchen zu regulieren. Es geht da immer ganz genau darum, deshalb müssen Sie den Inhalt des Abkommens anschauen: welcher Markt wird gefördert, werden schädliche Märkte gemieden? Ist kreativ reguliert worden, auch um nachhaltige Prozesse zu fördern und nicht nachhaltige zu unterbinden ? Da stellen sich verschiedene Fragen auch in Bezug auf diese Nachhaltigkeitsanalysen, die Frau Mattli erwähnt hat.
Die Schweiz ist natürlich auch eine international aktive Akteurin und könnte vielleicht auch etwas aktiver sein. Die WTO war lange ein untergehendes Schiff, aber es kommt wieder Momentum auf; die WTO ist grundsätzlich, finde ich, eine sehr wichtige Regulierungsinstanz. Dort wird Handel geregelt. Wie ich aufgezeigt habe, ist auch dort ein Suchprozess in Gang, es kommen das Fischereiabkommen, zum Beispiel ist dort abgeschlossen worden, was ein sehr wichtiges Abkommen ist, um Fischerei-Subventionen zu reduzieren, jetzt stellt sich die Frage, was macht die Schweiz in Bezug auf die WTO? Bringt sie gute Ideen ein? Auf dem Tisch ist zum Beispiel im Moment, ob es ein Abkommen braucht für Subventionen im Bereich der fossilen Brennstoffe. Ist die Schweiz aktiv auch dort bei indirekten Subventionen? Dort wo es uns wehtut oder nur dort wo es anderen wehtut? Geht es auch um Finanzflüsse zum Beispiel oder nicht? Neue Ideen sind überall gefragt. Noch ein Beispiel aus meinem Forschungsalltag: Wir haben ein neues Projekt seit einem Jahr, ein internationales Konsortium, mit Leuten aus der ganzen Welt – auch aus vielen Südländern-, wo wir uns überlegen: wie könnte man das WTO Agrarabkommen, das ganz stark bestimmend ist, verbessern? Das WTO-Agrarabkommen bestimmt quasi den politischen Spielraum der Länder, und so wie es heute ist, ist es wirklich nicht gut. Ich kann ihnen nachher erklären warum. Wir überlegen uns, wie es besser geschrieben werden könnte. Wir schreiben ein neues Agrarabkommen mit Blick auf all diese Menschenrechts- und Umweltregulierungen, die da draussen sind, wir überlegen uns, wie könnte ein internationales Handelssystem aussehen, das lokale Ernährungssysteme stützt, aber gleichzeitig gerechten Handel ermöglicht? Wie sieht das aus? Wir schreiben runter in einer Rechtssprache. Wir werden diese Ideen dann gerne mit Ihnen gemeinsam besprechen: wir machen Ende nächstes Jahres oder Anfang 2026 eine fiktive parlamentarische Debatte zu diesem Agrarabkommen, zu der wir Sie gern einladen.
Handel kann nachhaltige Prozesse unterstützen, es kann aber auch das Gegenteil auslösen. Handel ist immer gestaltet und immer reguliert. Die Frage ist, wie sieht eine zukunftsgerichtete Handelsregulierung aus? Wie kann man eine Debatte gestalten, ohne ist es immer heisst, das ist protektionistisch, sondern wo sind die Lösungen dazwischen? Wie können alte Muster, auch Pfadabhängigkeiten, auch postkoloniale Pfadabhängigkeiten, verlassen werden? und welche Akteurinnen braucht es? Meines Erachtens braucht es neue Akteuren in dieser Debatte, Leute, die weiter denken, die sich an diese Fragen heranwagen.
Stellungnahme
Botschafter Ivo Germann, Leiter der Direktion für Aussenwirtschaft des SECO
Diskussion über Markt, Macht, Verantwortung und Wachstumszwang
Klicken Sie zur von Marguerite Meyer moderierten Podiumsdiskussion mit (in alphabethischer Reihenfolge) Dr. iur. Elisabeth Bürgi Bonanomi, RA (Leiterin Bereich „Nachhaltigkeitsgouvernanz“, Centre for Development and Environment CDE, Universität Bern), Angela Mattli (Fachleitung Rohstoffe – Handel – Finanzen, Public Eye), Botschafter Ivo Germann (Leiter der Direktion für Aussenwirtschaft des SECO) →