(1) Während Jahrhunderten passten sich die Pflanzen durch natürliche Selektion dem Boden und dem Klima an. Die veränderten Bearbeitungsmethoden führten u.a. zu einer Verdichtung des Bodens und die industrielle Weiterverarbeitung zu veränderten Anforderungen an die Ackerfrüchte. Heute wird Saatgut nicht mehr einfach selektioniert: in hochspezialisierten Hybridzuchten werden agronomische und verarbeitungsspezifische Charakteristiken optimiert und die daraus entstandenen Sorten zur Aussaat verkauft. Die Entwicklung von Saatgut ist zu einem eigenen Industriezweig geworden.
Weizen belegt mit über 76’000 ha mehr als die Hälfte der schweizerischen Getreideanbaufläche (2) und ist mit knapp 500‘000t auch das am meisten angebaute Getreide (3, Seite 33) – er dient deshalb hier als Beispiel.
Agroscope entwickelt neue Weizensorten „… ganz im Dienste der Landwirte, der verarbeitenden Betriebe und der Verbraucher …“ schreibt Cécile Brabant, ACW Changins (4). Wichtig dabei sind der Ertrag und die Robustheit der Pflanze sowie der Proteingehalt (Teigdehnbarkeit), der Zelenywert (Quellfähigkeit des Eiweisses) und Feuchtgluten („Kleber“) (5, 6 + 7). Leider scheinen Verbraucherspezifische Kriterien wie Geschmack oder Nährwert auf der Liste ebenso zu fehlen wie z.B. die Bodenfreundlichkeit.
Die Generation F5 kommt zur Sortenprüfung. Erst wenn die neue Sorte die Sortenprüfung bestanden hat, wird sie in den Sortenkatalog aufgenommen (8) und – für 10 Jahre – zugelassen (9). Zu diesem Zeitpunkt übernimmt die DSP AG (10) die Sortenrechte der „konventionellen“ Sorten und die Verantwortung für die Erhaltungszüchtung und für die Produktion von konventionellem Basissaatgut (11).
Saatgut für Bioweizen (30% des Weizenanbaus) wird von der Getreidezüchtung Peter Kunz produziert (12). Da auch hier die 3 Kriterien Feuchtgluten, Protein und Zeleny grösste Priorität haben, ist die Auswahl bis heute gering und über 50% des in der Schweiz angebauten Bioweizens ist die gleiche Sorte Wiwa (13).
Die neuen Weizensorten, respektive ihre Körner, ihr Mehl, Teig und das Brot, werden nach total 17 Kriterien evaluiert und die in Klassen eingeteilt (14). Diese Klassen sind bestimmend für den Handelspreis der Sorte.
Da auf der Sortenliste nur geschützte Sorten sind, ist der Bauer verpflichtet, das Saatgut zu kaufen. Nicht in der Sortenliste aufgeführten Sorten können nur in Absprache mit den Abnehmern angebaut werden (15).
Erfreulich ist, dass die ganze Wertschöpfungskette – vom Züchter über den Produzenten bis zum Verarbeiter – zusammen arbeitet. Leider ist die daraus folgende Optimierung rein betriebswirtschaftlicher Natur. Oder zum Glück? Denn der Konsument kontrolliert die Gesamtwirtschaftlichkeit dieser Kette und kann durch sein Kaufverhalten oder Nichtkaufverhalten die Weizensortenwahl beeinflussen …