Am 6.8.14 verhängte Russland ein “komplettes Embargo” für Rind-, Schweine-, und Geflügelfleisch, Fisch, Käse, Milch, Gemüse und Obst aus den USA und der EU, Australien, Kanada und Norwegen. (1)
Die Botschaft dahinter: Wir sind nicht nicht erpressbar, wir können auch ohne euch überleben weil wir unser Essen selber produzieren können.
Wie ist es so weit gekommen?
Die Krim, die grösste Halbinsel des Schwarzen Meeres, hatte schon immer eine bewegte Geschichte. Das Gebiet stand unter römischer, gotischer, sarmatischer, byzantinischer, hunnischer, chasarischer, kyptschakischer, mongolisch-tatarischer, venezianischer, genuesischer und osmanischer Herrschaft, bevor es im Jahr 1783 von Katharina II als “von nun an und für alle Zeiten russisch” erklärt wird.
Nikita Chruschtschow ist sowjetischer Parteichef, als die Krim 1954 dem Sowjetstaat Ukraine angegliedert wird.
Michail Sergejewitsch Gorbatschow ist Staatspräsident als 1990 die Sowjetunion ihre Truppen aus der DDR abzieht und so die Wiedervereinigung ermöglicht. Im Gegenzug erhält er das Versprechen, dass sich die Nato nicht weiter nach Osten ausbreitet.
Wiktor Janukowytsch ist Präsident der Ukraine, als im November 2013 die Verhandlungen mit der EU ausgesetzt werden. Doch die “Verwestlichung der Ukraine” scheint nicht mehr aufzuhalten.
Vladimir Putin ist Präsident Russlands, als er 2014 um den freien Zugang über die Krim zum Flottenstützpunkt im Schwarzen Meer fürchtet und den Befehl gibt, die Krim wieder “zurückzuholen”. Internationale Folgen lassen nicht lange auf sich warten: Die EU, USA, aber auch Kanada und Australien verhängen Einreisesperren, frieren Vermögen ein und beschliessen Sanktionen gegen Unternehmen, Organisationen und Personen, um Russland gefügig zu machen.
Russland ist ein grosses Land, stolz und unabhängig. Und demonstriert seine Souveränität, indem Wirtschaftssanktionen mit Wirtschaftssanktionen vergolten werden: Seit August 2014 darf kein Rind-, Schweine-, und Geflügelfleisch mehr importiert werden aus der EU und den USA, so wie auch kein Obst und Gemüse, keine Milch, kein Käse, kein Fisch …
Was sind die Konsequenzen?
a) intern
Während Russlands Importe an Agrarprodukten bis 2014 jährlich stiegen (2012: 42’037 Millionen Dollar, 2013: 44’726 Millionen Dollar), gingen sie seit dem im August 2014 verhängten Embargo um 7.84% zurück (2014: 41’216 Millionen Dollar) (2). Die Importe aus Deutschland sollen sich gar halbiert haben, ja bei den für Wertschöpfung und Arbeitsplätze besonders wichtigen Fleischwaren und Milchprodukten und bei Obst und Gemüse gingen sie praktisch auf Null zurück (3).
Um sich unabhängiger zu machen wird die lokale Produktion wieder gefördert:
Die Gärten in der Datscha werden neu aktiviert. Zu Sowjetzeiten waren diese Ferienhäuser für die Menschen ihr einziger privater Rückzugsort, und das Gemüse aus den dortigen Gärten, wenn die Lebensmittel knapp waren, schon immer eine willkommene Ergänzung.
Seit dem Einfuhrstopp ist die eigene Käseproduktion stark gestiegen. Gleichzeitig wurde weniger Milch produziert. Um die Nachfrage dennoch bedienen zu können, wird russischer Käse genauso wie Butter mithilfe pflanzlicher Öle hergestellt (4).
Es wurden Exportsteuern erhoben, zum Besipiel auf Weizen zur Eindämmung des Weizenabflusses und um die inländischen Lebensmittelpreise zu begrenzen und damit einem weiteren Anstieg der Inflation entgegenzuwirken (5). Mittlerweile soll nun doch über eine Aufhebung der Zölle auf Weizen und gleichzeitig eine Einführung einer Exportsteuer auf Gerste und Mais diskutiert werden (6).
Ausserdem wurden andere Handelspartner gesucht und gefunden: Iran soll 100’000 Tonnen Poulets im Jahr nach Russland exportieren (7). Mit Indien wurde ein Freihandelsvertrag für Büffelfleisch und -milch unterschrieben (8). Brasilien ist Russlands neuer Partner für Schweinefleisch (9). Die CIS’ Importe aus Zentral- und Südamerika stiegen 2014 um 11% auf 8 Milliarden und aus Afrika um 10% auf 1 Milliarde Dollar (10).
Die russische Regierung hat sogar entschieden, GVO komplett zu verbieten (11). Somit kommen die USA als Handelspartner praktisch nicht mehr in Frage, da über 90% von allem Mais, 94% von allem Soja und 94% aller Baumwolle aus genetisch modifizierten Pflanzen bestehen.
Der Humor, der schon in den Zeiten der SSSR “geholfen” hat, hilft auch jetzt.
und b) extern/EU Agrarpolitisch?
Die Exporte der EU an Russland und seine Verbündeten („Commenwealth of Independent States“) fielen um 18% zurück auf 20 Mlliarden Dollar und die Exporte Nordamerikas um 27% auf 2 Milliarden Dollar (12). Und Mitte 2015 hat Russland sein Embargo für Lebensmittel aus der EU im Zuge der Verlängerung dieser Massnahme nochmals verschärft (13).
Das normalerweise nach Russland exportierte Obst und Gemüse überschwemmt seitdem den europäischen Markt und verdirbt den Bauern die Preise. Mit dem Slogan “Iss Äpfel gegen Putin” wird in Polen geworben, das überschüssige Obst nach dem russischem Einfuhrstopp aufzuessen. Auch der deutsche Landwirtschaftsminister fordert Obstverzehr.
Absatzprobleme und sinkende Preise zwingen auch immer mehr Milchproduzenten und Schweinehalter in der EU zum Aufgeben.
Weil die Preise immer tiefer sinken versuchen (zu) viele, den Gewinnverlust mit der Menge wett zu machen. Mit der Folge, dass noch mehr produziert wird und der Preis weiter sackt.
Bereits im 3. Quartal 2014 wurde der Europäischen Union klar, dass es ein Hilfsprogramm braucht, um die Auswirkungen des Russland-Embargos für die EU-Landwirtschaft abzufedern (14).
Was kann man davon lernen/Chancen?
Russland lebt vor, wie politisch Ernährung ist.
Allianzen bedeuten Abhängigkeiten.
Nachhaltig sind Beziehungen (auch Handelsbeziehungen) nur, wenn beide Seiten gewinnen. Bei Sanktionen gibt es keine Gewinner. Es gibt nur Verlierer. Der Importstopp wirkt sich zwar positiv auf die russische Agrarwirtschaft aus, doch die starke Teuerung bei Lebensmitteln macht der Bevölkerung immer mehr zu schaffen (15).
Auf 25% der weltweiten Ackerfläche wird von Kleinbauern 70% der Welternährung produziert. Auf den restlichen 75% Ackerfläche werden die restlichen 30% produziert – industriell und somit häufig umwelt- und klimaschädlich (Entwaldung, Agrarindustrie-Maschinen, Hilfsmittel, Transporte, Verarbeitung, Kühlung, Abfall). Die industrielle Nahrungsproduktion ist einer der grössten Motoren für das Fortschreiten des Klimawandels. Rund die Hälfte aller Klimagasemissionen hängen mit der Herstellung von Lebensmitteln zusammen (16). Nahrungsmittel- und Agribusiness-Konzerne versuchen, immer mehr Kontrolle über Land, Saatgut und Märkte zu erlangen. Weil die Regierungen der Länder, die die Umwelt am meisten verschmutzen, ihre Verantwortung nicht wahrnehmen, ist es um so entscheidender, dass die Bevölkerung etwas dagegen unternimmt. Ernährungssouveränität ist vielleicht die wichtigste und effektivste Chance, damit zu beginnen.
Für diese Chancen setzen sich die aktuellen Landwirtschaftsintiativen ein: Die Initiative für Ernährungssouveränität und die Hornkuh-Initiative sind im Endspurt, die Spekulationsstopp-Initiative braucht am 28.2. Ihre Stimme an der Urne. Danke für Ihre Unterstützung!
Initiative für Ernährungssouveränität