Die Landwirtschaft im Spannungsfeld zwischen Agrarfreihandel und Ernährungssouverenität.
Artikel von Ethiker Thomas Gröbly vom ethik-labor.ch
Ich esse gerne und gerne gut und bin allen Menschen dankbar, die mir das ermöglichen. Ich war selber einmal Bauer und weiss, was es braucht, bis Käse, Brot, Salat oder Fleisch auf dem Teller liegen. Ich bin also unendlich dankbar nicht nur gegenüber den Bäuerinnen und Bauern, sondern auch gegenüber der Natur, den Böden, der Sonne und den Lebensenergien, die ein Wachsen ermöglichen. Dankbarkeit ist in einer seriösen wissenschaftlichen Runde artfremd. Ich habe aber mit einem Dank begonnen, weil alle meine Thesen damit zu tun haben. Ich möchte darlegen, weshalb das Konzept der Ernährungssouveränität eine brauchbare Alternative zum Agrarfreihandel ist.
Wie können alle gut Essen?
Am 16. Oktober war der Welternährungstag welcher uns an den unsäglichen Skandal erinnert, dass 1 Milliarde Menschen hungern und 1 Milliarde übergewichtig sind. Diese zwei Zahlen reichen um zu belegen, dass unser weltweites Ernährungssystem völlig aus den Fugen geraten ist. Ethik fragt nach dem guten Leben für alle, lokal, global, heute und morgen. Für unser Thema ergeben sich daraus folgende Fragen:
Wie können wir die Nahrungsmittelproduktion-, Verarbeitung und Vermarktung wieder dazu bringen, das Menschenrecht auf Nahrung zu garantieren ohne die Natur zu zerstören? Und wie ist gleichzeitig eine demokratische Kontrolle des Ernährungssystems zu realisieren?
Ich versuche zu begründen, weshalb diese Ziele mit einer bäuerlichen und ökologischen Landwirtschaft, sowie mit Ernährungssouveränität zu erreichen ist. Pate steht mir dabei der Weltagrarbericht aus dem Jahr 2008.
An welche Mauern fahren wir?
Wir stehen heute vor historisch einmaligen Herausforderungen:
Der Peak Oil bedeutet, dass die Hälfte des Erdöls verbraucht ist. Man nimmt an, dass das weltweit gegenwärtig der Fall ist. Das ist keine beruhigende Botschaft, denn die wachsende Weltwirtschaft kann immer weniger mit Treibstoff versorgt werden. Kommt hinzu, dass man bis heute die einfach zu erschliessenden Ölquellen angezapft hat. Es wird in Zukunft immer schwieriger und teurer, den Rohstoff aus grossen Meerestiefen oder aus Ölsand herauszuholen. Das alles führt zwangsläufig zu einem höheren Preis und zu weiteren Kriegen. Das ist schon ein starker Grund, um von einer energieintensiven Landwirtschaft Abschied zu nehmen. Diese Fragen wurden auf dem Schweizerischen Möschberg intensiv diskutiert. In einer Erklärung heisst es: „Der landwirtschaftlich bebaubare Boden ist da, um Energie in Form von Lebensmitteln hervorzubringen und nicht, um fossile Energie zu verschlingen“(1). Das Bioforum betont, dass unsere Ernährung fast vollständig von Erdöl abhängig ist: „Wir haben einen statistischen Selbstversorgungsgrad von etwa 50%. Energetisch betrachtet ist unser Selbstversorgungsgrad mit Lebensmittel jedoch Null“(2).
Es gibt weitere Krisen in Bezug aufs Klima, Wasser, Biodiversität, Boden, Landgrabbing und Finanzen, welche alle die geschilderten Herausforderungen noch verschärfen. Das Ernährungssystem hat mit einem Anteil bis zu 40% an den Klimagasen, ein wichtiger Verursacher von Boden- und Wasserübernutzung und der Zerstörung der Biodiversität. Sind wir bis heute davon ausgegangen, dass für alles genug Energie da ist, müssen wir uns neu orientieren und aushandeln, was wir mit der beschränkten Menge machen wollen. Beschränkt ist die Menge, weil das Erdöl zu Ende geht und die Atomenergie keine Alternative ist. Das sind ganz neue Herausforderungen für alle, denn wir müssen vom stetigen Wachstum und dem „grösserschneller-mehr“ Abschied nehmen. Je schneller, desto besser.
Was ist hinter der Mauer?
Man kann nun einwenden, dass man alles mit technischen Innovationen lösen könnte. Nichts gegen intelligente Technologien. Lösungsansätze mit transgenen Pflanzen und Tieren, vertical Farming, Hors-sol-Gemüse oder Fleisch aus dem Labor sind vielleicht im Einzeln sinnvoll. Sie geben aber das falsche Signal, denn der Anbau von Pflanzen im Boden wird noch lange für die Mehrheit der Menschen die Regel sein. Mir erscheint es fahrlässig, das nachhaltige, mulitifunktionale, bäuerlich und zuverlässige Ernährungssystem unserer Mütter und Väter aufzugeben und in eine unsichere Zukunft zu gehen. Diese Herausforderungen sind auch eine geistige und seelische Krise, weil wir meinen, Lebensqualität sei identisch mit Energie- und Naturverbrauch, mit Wachstum und Beschleunigung.
Abschied vom alten Denken und Fühlen
Um diese Krisen bewältigen zu können, lohnt sich zu überlegen, aus welchem Denkparadigma sie entstammen. Ich stelle meine Gedanken in sechs Thesen vor.
Erste These: Eine lange patriarchale Geschichte förderte die Abwertung von Natur und von Menschen, die mit ihr arbeiten
Bereits in der jüdisch-christlichen und griechischen Welt der Antike wurde die Welt in eine obere Geistige wertvolle und in eine niedere, körperliche minderwertige Welt aufgeteilt. Alles was in die Zyklen der Natur eingebunden war, Pflanzen, Tiere, ja auch das Gebären und Aufziehen von Kindern galt als minderwertig. Das wirkt bis heute, so dass man sagen muss, dass die Beschäftigung mit den 3 K’s, Kinder, Kühe und Kranke, ein Armutsrisiko bedeutet, obwohl diese für eine humane Zivilisation grundlegend sind. Wo Kranke und Schwache ausgegrenzt werden, herrscht Barbarei. Wo Kinder ohne verbindliche Beziehungen aufwachsen, können keine tragenden Werte für ein gutes Leben entstehen und wo Kühe, also die Landwirtschaft, bedrängt werden, wird unser Ernährungssystem mit 1 Milliarden Hungernden und 1 Milliarden Übergewichtigen weiter bestehen.
Zweite These: Lebensmittel als Rohstoffe werden zu beliebigen Waren eines profitorientierten Kapitalismus
Nach dem 2. Weltkrieg wurden die Lebens- und Futtermittel zu einem Rohstoff degradiert, welcher nur einen unwichtigen Teil der Wertschöpfungskette bildete. Dahinter steckt eine extraktive Logik, analog zum Bergbau, wo z.B. Bauxit herausgeholt wird. Die Wertschöpfung geschieht dann mehrheitlich bei der Alufensterproduktion. Diese Degradierung hat mehrere
schwerwiegende Folgen:
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Die industrielle Verarbeitung ist die eigentliche Wertschöpfung. Den Rohstoff erzeugen ist eine vernachlässigbare Vorstufe.
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Bauern wurden zu unwichtigen Rohstofflieferanten, welche den schwankenden Preisen ausgeliefert sind. Ihre Leistung, bzw. die Leistung die sie aus der Natur holen wird als unproduktiv, weil im Wachstum begrenzt, beurteilt. Ihnen wird vorgeworfen, dass sie zuwenig „unternehmerisch“ arbeiten würden. Der Druck auf die Preise nimmt laufend zu.
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Was mit dem Rohstoff geschieht ist aus industrieller Sicht völlig irrelevant. Lebensmittel erzeugen wird zur Nebensache, denn es geht um Profite und nicht um Ernährung und Gesundheit. Wenn man mit Agrotreibstoff oder einem Rohstoff für die Chemie mehr Geld verdienen kann, dann wird Treibstoff hergestellt. Von den weltweiten Maisernten dient nur noch ein kleiner Teil für die Ernährung.
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Da der Rohstoff keinen inneren Wert mehr hat, wird er zu Ware und kann bedenkenlos an der Börse gehandelt werden. Und zwar nicht wie früher, damit Bauern und Bäuerinnen mit den Termingeschäften einen sicheren Preis für ihre Ernte bekommen, sondern um aus Geld noch mehr Geld zu machen. Seit der Finanzkrise 2008 suchen die AnlegerInnen Sicherheit und die ist bei Agrarrohstoffen gegeben. So wird immer mehr mit Lebensmitteln spekuliert und Geld verdient.
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Die übliche Antwort auf den Preiszerfall ist eine Steigerung der Produktivität, was in die „Landwirtschaftlichen Tretmühle“ führt: Jede Steigerung der Produktion führt zu tieferen Preisen. Eine Spirale ohne Ende. Dies führt in der Regel zu einer weiteren Industrialisierung der Landwirtschaft mit hohem Kapitaleinsatz, welche die kleinen Betriebe verdrängt.
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Der Warencharakter der Lebensmittel macht es auch einfacher sie auf den Müll zu kippen: „Ein Drittel der weltweit für den menschlichen Verzehr geernteten und produzierten Lebensmittel landet auf dem Müll, Schätzungen für die Industrieländer gehe sogar von der Hälfte aus.“(3)
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Die Forschung, zunehmend privat finanziert, hat die industrielle Wertschöpfung in den Blick genommen. Dadurch werden immer mehr Projekte der hochtechnisierten Landwirtschaft und Verarbeitung gefördert. Dies steht im Widerspruch zu den Ergebnissen des Weltagrarberichtes, welche die bäuerliche und ökologische Landwirtschaft als Lösung sieht. Da fliessen aber kaum Forschungsgelder.
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Die Landwirtschaft wird in die industrielle Logik gezwängt. Ohne Boden und ohne Rücksicht auf die ökologischen, systemischen Zusammenhänge soll produzieren werden. Das ist in den Worten der indischen Ökonomin und Aktivistin eine gewalttätige Landwirtschaft. Das zeigt sich an den Monokulturen, dem hohen Pestizideinsatz, den Hors-sol-Pflanzen, den Massentierhaltung und letztlich auch in der Sprache, welche sich
oft an eine Kriegsrethorik anlehnt. Das Ernährungssystem wird nicht der Natur angepasst, sondern die Natur wird so manipuliert, dass sie gemäss industrieller Logik zu funktionieren.
Dritte These: Rohstoffe als Waren führen zum Zwang, immer weitere Bereiche dieser Logik unter zu ordnen.
Unsere Geldwirtschaft mit Zins und Zinseszins und sehr hohen Renditeerwartungen ist zwangsläufig auf Wachstum angelegt, weshalb versucht wird, immer neue Bereiche ins Marktsystem einzufügen. Lebensmittel als Rohstoffe sind Waren, wie Schuhe oder Reisnägel und können beliebig gehandelt werden. Ja, zusätzlich sind Lebensmittel homogene Güter, was sie von Schuhe unterscheidet. Es ist egal, ob Sie Kartoffeln von Biobauer A oder B kaufen. Das verringert die Möglichkeiten sich auf dem Markt von anderen Anbietern zu unterscheiden. Der Wachstumszwang und die Wachstumsbegrenzungen der Landwirtschaft führen konsequent dazu, dass immer wieder neue Bereiche erschlossen werden. Einige Beispiele sind die Patentierung von Saatgut und Gensequenzen, die Privatisierung von öffentlichen Gütern wie Wasser, Luft, Biodiversität, Wissen und Forschung oder auch das Landgrabbing (Landraub).
Die Idee der Entwicklung armer Länder funktioniert ähnlich. Die lokalen Wirtschaften müssen in die globalen Märkte integriert werden. Aber, mit Rohstoffen habe die Bäuerinnen und Bauern kaum eine Chance zu überleben. Sie kennen den Spruch: „Man kann nur an und nicht mit der Landwirtschaft Geld verdienen.“ Und wie kann man nun als Bäuerin oder Bauer darin überleben:
Sie werden „innovativ“ und werden Anbieter von Hofpartys, Maislabyrinthen, Kuhfladenroulette, Schlafen im Stroh oder Schweinerennen. Martin Ott, Präsident des fibl’s und Biobauer in Rheinau/Schweiz fordert: „Befreit die Bäuerinnen und Bauern von ihrer würdelose Gastro-, Entertainment- und Mickey-Mouse-Landwirtschaft“(4). Anstatt Einkommensmöglichkeiten ausserhalb der Landwirtschaft zu suchen, sollen sie das tun, was sie tun müssten: den Tieren kein widernatürliches Futter füttern, den Kühen die Hörner nicht abbrennen, den Boden pflegen, oder kurz gesagt: Eine bäuerliche und ökologische Landwirtschaft aufbauen.
Vierte These: Die Geldorientierung verschleiert die Zusammenhänge von sozialer Diskriminierung, ökologischem Kollaps und Gewalt
Geld verschleiert die sozialen und ökologischen Zusammenhänge. Am T-Shirt erkennt man weder die ökologischen Folgen des Baumwollanbaus, noch die sozialen Auswirkungen für die
LandarbeiterInnen, FärberInnen und NäherInnen.
Fünfte These: Mensch und Natur sind in der Geiselhaft des Kapitals, welches die Starken stärkt und die Machtkonzentration vergrössert
Die überhöhten Renditeerwartungen machen alles zu Waren, welche kurzfristig Gewinn abwerfen müssen. Das wird noch zugespitzt. Geld ist nicht mehr einfach ein Tauschmittel, sondern wurde zum Selbstzweck. „Geld mit Geld verdienen“ ist der Höhepunkt dieser Entwicklung. Nach jahrelangem Abbau von Regulierungen, Verschuldung von Staaten und deshalb einer Reduktion von staatlichen Leistungen, drohen die Banken zu kollabieren. Sie müssen vermeintlich gerettet werden und wir müssen die Gürtel enger schnallen.
Die Besetzer des Paradeplatzes fordern lapidar: „Menschen und nicht Banken retten“. Es ist der Wunsch sich aus der Geiselhaft der Banken befreien zu können. Die Krise, welcher viele südliche Länder seit Jahren quälen ist endgültig bei uns angelangt. Wenn wir uns nicht wehren führt das zu einem Demokratieabbau und letztlich zu totalitären Verhältnissen.
Sechste These: Diese Ökonomisierung erzeugt eine verkehrte Welt: Was zum Problem geführt hat, wird als Lösung angeboten
Gemäss dieser These kommen Lösungen ausserhalb des Geldsystems nicht in den Blick. Als Therapie wird mehr vom Gleichen gefordert. Mehr Markt, mehr Agrarfreihandel, schnellerer Strukturwandel, stärkere Industrialisierung und Technisierung usw. Es werden also nur industrielle, kapitalintensive Lösungen gewählt und von der Politik bevorzugt. Freihandel für Softwareprogramme mag sinnvoll sein. Einen Agrarfreihandel für Kartoffeln, Milch oder Äpfel aus einer multifunktionalen ökologischen und in eine lokale Kultur eingebetteten Landwirtschaft ist nicht sinnvoll. Der Agrarfeihandel fördert die Industrialisierung der Landwirtschaft und die Konzentrationsprozesse, welche die Bäuerinnen und Bauern verdrängen und die Grundlagen der Landwirtschaft (Boden, Wasser, Saatgut etc.) zerstören.
Ernähr Dich souverän!
Die zentralen Fragen lautet also: Wie können wir die Nahrungsmittelproduktion-, Verarbeitung und Vermarktung wieder dazu bringen, das Menschenrecht auf Nahrung zu garantieren ohne die Natur zu zerstören? Und wie ist gleichzeitig eine demokratische Kontrolle des Ernährungssystems zu realisieren?
Die schnelle Antwort lautet: Mit Ernährungssouveränität. Das ist aber mittlerweile ein Modebegriff und wird sehr verschieden verwendet. Ich beziehe mich hier auf das Konzept von Via Campesina, weil es mir sinnvoll erscheint und weil dahinter der grösste Bauernverband weltweit mit etwa 200 Millionen Bauern und Bäuerinnen steht.
„Ernährungssouveränität bezeichnet das Recht der Bevölkerung, eines Landes oder einer Union, die Landwirtschafts- und Verbraucherpolitik ohne Preis-Dumping gegenüber anderen Ländern selbst zu bestimmen. Das Konzept geht vom Vorrang der regionalen und nationalen Selbstversorgung aus. ProduzentInnen, VerarbeiterInnen und VerbraucherInnen verpflichten sich zu transparenter Deklaration und kostendeckenden Preisen, damit die BäuerInnen nachhaltig produzieren können.“
Die zwei Seiten der Ernährungssouveränität
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Souveränität strebt die Selbststimmung der Betroffenen an. Souveränität bedeutet, eine möglichst grosse Unabhängigkeit von anonymen Märkten und multinationalen Konzernen und möchte die Agrar- und Verbraucherpolitik lokal und demokratisch legitimieren.
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Wie die Freiheit des einen durch die Freiheit des anderen begrenzt ist, so ist auch die Ernährungssouveränität zweitens an einen Rahmen gebunden. Dieser Rahmen besteht in der Orientierung an einer lokalen, bäuerlichen, nachhaltigen Landwirtschaft, welche in Bezug auf die Betriebsmittel möglichst nicht von Organisationen und Märkten abhängig ist, welche man nicht zumindest teilweise selber kontrollieren kann. Es verbietet Preisdumping und Exportsubventionen und garantiert den Bäuerinnen und Landarbeitern einen gerechten, kostendeckenden Lohn.
Das ist keine rückwärtsgewandte Nostalgie, sondern ein notwendiger Schritt für die Zukunftsfähigkeit des Planeten und der Landwirtschaft.
Was Ernährungssouveränität nicht ist
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Ernährungssouveränität ist kein nationalistisches, egoistisches Konzept, sondern beinhaltet internationale Solidarität unterstützt die Ernährungssouveränität auch in anderen Ländern.
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Ernährungssouveränität meint nicht nationale Selbstversorgung. Ich höre immer wieder, dass Ernährungssouveränität nicht möglich sei, weil die Schweiz sowieso nur ca. zu 50% sich selber ernähren kann. Zwar ist die Selbstversorgung wichtig, wo das aber nicht möglich ist, wird im Sinne der Ernährungssouveränität gehandelt. Zwei Länder, die sich die Ernährungssouveränität auf die Fahne schreiben, werden vertraglich regeln, wie sie Preise bilden, mit Zöllen umgehen und Export und Import regeln werden. Eigentlich könnte das auch die WTO tun, vielleicht sogar besser als einzelne Länder unter sich. Nur müsste die WTO im Sinne der Ernährungssouveränität renoviert und demokratisiert werden. Auch mit dem Konzept der Ernährungssouveränität gibt es noch viel zu tun. Wir müssen Strategien und Regeln für einen fairen internationalen Agrarhandel entwickeln. Ein Ansatz dazu hat in der Schweiz die Nationale Plattform für Ernährungssouveränität erarbeitet(5).
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Ernährungssouveränität ist kein Patentrezept für alle Probleme. Es braucht zusätzlich noch andere Konzepte und Initiativen.
Wer kann was konkret tun?
Was heisst das nun konkret. Es geht darum, möglichst souverän zu sein und zu werden. Also möglichst nicht abhängig zu sein von Strukturen und Unternehmen, bei denen wir nicht mitreden können. Wir müssen einen möglichst grossen Anteil an der Wertschöpfungskette wieder zurück erlangen. Alles was lokal zu haben ist, soll lokal gehandelt werden. Vieles wird schon gemacht, aber man kann noch sehr viel mehr tun. Ernährungssouveränität bedeutet konkret:
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Spekulationen mit Lebensmitteln müssen verboten, Finanztransaktionen besteuert werden
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Politisch müssen wir eine Relokalisierung und Demokratisierung des Ernährungssystems fördern. Landwirtschaftlicher Boden muss geschützt und der Zugang gesichert werden.
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Schulen und Universitäten müssen forschen und Alternativen zum Agrarfreihandel entwickeln.
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Fortschrittliche Unternehmen engagieren sich im Sinne der Ernährungssouveränität.
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Konsumentinnen und Konsumenten als Co-ProduzentInnen müssen sich bewusst sein, dass jeder Einkauf ein Signal ist, welches noch mehr desselben fordert. Sie müssen beginnen sich für ein zukunftsfähiges Ernährungssystem zusammen mit den Bäuerinnen und Bauern einzusetzen und quasi eine Parallelwirtschaft aufbauen.
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Bäuerinnen und Bauern müssen Wege suchen, wie sie ihre Abhängigkeiten von vor- und nachgelagerten Unternehmen verringern können. Sie können kreativ nach Wegen suchen, wie sie einen grösseren Anteil an der Wertschöpfungskette kontrollieren können.
Dazu einige Beispiele: Direktverkauf ab Hof, Gemüsekörbe oder –kisten, Wochenmärkte, Alp und Käsegenossenschaften, Kooperationen mit KonsumentInnen; Genossenschaften Weiterberarbeitungen von Fleisch, Milch, Getreide usw.; Projekte der Vertragslandwirtschaft.
Sehr spannend sind neue Wohn-Genossenschaften wie etwa „Mehr als Wohnen“ in Zürich Leutschenbach(6). Die etwa 400 Wohnungen und 1200 Menschen, die ab etwa 2014 dort wohnen werden, versorgen sich mit Lebensmitteln direkt aus der Region. Die BäuerInnen werden vertraglich verpflichtet, was nicht nur eine höhere Verbindlichkeit und Vertrauen schafft, sondern auf beiden Seite attraktive Einkommen, bzw. Preise erwirkt(7). Alle diese Ideen sollen ein freies Unternehmertum ermöglichen und fördern. Viele junge Menschen engagieren sich bereits in vielen kleinen Projekten.
Danken lernen
Ich habe mit Danken begonnen und das war ernst gemeint. Im Dank steckt eine andere Haltung gegenüber den Pflanzen, Tieren, Böden, Wasser, Luft und den Menschen. Es ist eine Haltung des Respekts und diese verbietet es mir Lebensmittel zu Waren zu degradieren. Ich kann sie nicht mehr zu reinen Instrumenten meiner Interessen machen. Jede Pflanze, jedes Tier und auch jeder Mensch hat eine Würde, ein Recht in seiner Ganzheit gewürdigt und respektiert zu werden. Diese neue Haltung ist der Paradigmenwechsel, welcher ansteht. Daneben sind alle politischen und ökonomischen Strategien zu einer Veränderung der ungerechten, gewalttätigen und zerstörerischen Strukturen umzusetzen.
Ich war dieses Jahr am Weltsozialforum in Dakar in Senegal dabei. Ernährungssouveränität war ein grosses Thema, aber auch Souveränität überhaupt. Ich habe für mich mitgenommen, dass es eine Souveränität in der Ernährung, bei der Energie, in der Bildung, in den Medien, im Finanzsystem, im Internet und auch in der Politik braucht. Diese wird uns nicht geschenkt, sondern diese müssen wir uns nehmen, da wo wir leben. Ernährungssouveränität geht uns alle an, denn wir haben nur einen Planeten Erde und (Zitat Albert Schweizer) „leben inmitten von Leben das leben will“. Die Wertschätzung des Schönen, des Lebens in der Nähe ermöglicht Respekt und Achtsamkeit von Menschen für die Natur auch am anderen Ende der Welt. Wenn ich gerne gut esse, muss ich mithelfen, dass alle Zugang zu gutem Essen haben.
Grundlage dieses Textes ist Thomas Gröblys Referat mit dem Titel: „Die Landwirtschaft im Spannungsfeld zwischen Agrarfreihandel und Ernährungssouveränität“ auf dem Unternehmerforum Lilienberg am Bodensee vom 20. Oktober 2011 im Rahmen des „Unternehmerischen Gesprächs: Die Grenzen des Marktes im Agrarbereich“
(1) www.bioforumschweiz.ch
(2) edba
(3) Stefan Kreutzberger, Valentin Thurn: Die Essensvernichter. Warum die Hälfte aller Lebensmittel im Müll landet und wer dafür verantwortlich ist. Köln 2011, Seite 10
(4) SAG-gentechfrei-Info, Nr. 66/September 2011 (www.gentechnologie.ch)
http://www.uniterre.ch/index.php/de/dossiers/ernaehrungsouveraenitaet
(6) www.mehr-als-wohnen.ch
(7) Solche und ähnliche Ideen werden vom Verein Neustartschweiz gefördert: www.neustartschweiz.ch
Protest gegen Nahrungsmittel-Spekulationen
Spekulanten profitieren vom Handel mit Nahrungsmitteln, während die Zahl der Hungernden weltweit steigt! Die Initiative http://www.handle-fair.de protestiert dagegen!