Aktualisierung: 28.07.14
Saatgut die Grundlage für unser täglich Brot und ein Jahrtausende altes Kulturgut, zunehmend aber auch Spielball von Geld und Macht. Seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts findet eine zunehmende Monopolisierung in diesem Bereich statt – Agrarkonzerne bestimmen Zuchtziele und die dafür angewendeten Techniken.
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Seit Jahrtausenden steht für die menschliche Ernährung eine unglaubliche Vielzahl an Sorten und Arten der unterschiedlichsten Pflanzen in Landwirtschaft und Garten zur Verfügung. Saatgut hatte in fast allen Kulturen eine besondere Bedeutung. Das genügend Vorhandensein entschied über Leben und Tod und war zudem mit dem spirituellen Leben eng verbunden. Saatgut wurde in alten Hochkulturen heilig gehalten. Denn ohne behüten, pflegen und eine absichtliche Auslese durch uns Menschen wäre die fabelhafte Vielfalt an Kulturpflanzen, die die Grundlage unserer Ernährung sichern, niemals entstanden. Für jedes Klima, jeden Boden, jede Höhenlage entwickelten Bauern und Züchter spezielle angepasste Formen. So brachten Bäuerinnen und Bauern im Laufe der Zeit beispielsweise einen Reichtum von 4’000 Kartoffelvarietäten und über 100’000 (!) Reissorten hervor. Wir leben folglich vom Geschenk der Vergangenheit.
Verlust an Biodiversität bei den Kulturpflanzen
Inzwischen ist aber die Kulturpflanzenvielfalt massiv bedroht. Nach Angaben der Welternährungsorganisation FAO betrug der Sortenverlust im letzten Jahrhundert über 75 Prozent. Viele Sorten werden nur noch von Idealisten angebaut oder in Genbanken gelagert. Auf der landwirtschaftlichen Anbaufläche dominiert oft nur noch die Monokultur.
Von den mehr als 7000 Apfelsorten, die im 19. Jahrhundert weltweit noch geerntet wurden, sind heute nur noch ein Bruchteil übrggeblieben. Auch in China sind rund 90 Prozent der Weizensorten von den Feldern verschwunden (1).
Aber Saatgut muss vielfältig, regional angepasst und fruchtbar sein.
Hybridtechnologie und die Agrarindustrie
Anfang des 20. Jahrhunderts bemächtigte sich die Naturwissenschaft der Pflanzenzüchtung. Die im 19. Jahrhundert von dem Augustinermönch Gregor Mendel beschriebenen Vererbungsregeln wurden neu entdeckt, Chromosomen und Gene als Träger der Erbinformation identifiziert. Die Genetik als Zweig der Biologie etablierte sich. 1923 brachte der spätere US-Landwirtschaftsminister Henry A. Wallace den ersten Hybridmais auf den Markt und gründete Pioneer HiBred. Heute teilen sich Pioneer, Monsanto und einige andere Agrarkonzerne zwei Drittel des auf 22 Milliarden US-Dollar geschätzten Weltmarkts an Saatgut.
Vor diesem Hintergrund verbreitete sich seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts das Verfahren der Hybridzüchtung, welches in der Gemüsezüchtung kurzfristig meist zu höheren Erträgen führt.
Die Hybridzüchtung ist ein Spezialfall der klassischen Züchtung. Wenn zwei reinerbige Elternlinien miteinander gekreuzt werden, entstehen Nachkommen, die robuster und ertragreicher sind als ihre Eltern. Doch schon in der nächsten Generation, also bei den Samen dieser Hybridpflanzen, verlieren sich die Eigenschaften wieder. Hybride (F1-Generation) sind Einwegpflanzen. Bauern, welche die Vorteile der Hybridsorten nutzen wollen, müssen das Saatgut jedes Jahr neu kaufen. Das macht sie für die Saatgutzüchter interessant und führt zu Abhängigkeiten und zum Verlust von Saatgut als Kulturgut. Die Ertragsvorteile sind aber so gross, dass sich das für die meisten Bauern lohnt: In Europa haben Hybridsorten bei vielen Obst- und Gemüsearten einen sehr hohen Marktanteil, beispielsweise bei Mais, Zuckerrüben, Tomaten, Zwiebeln und diversen Kohlsorten.
Der weltbekannte und bereits verstorbene Pflanzenzüchter Professor Tadeusz Wolski (Polen) sagte einst: “Die Hybridzucht ist ein Weg für reiche Kapitalisten, ihr Geld hinauszuwerfen”.
Tatsächlich ist die Herstellung von Hybridsaatgut ein sehr aufwendiger und teurer Prozess, der nur unter hohem technologischem Aufwand und grossem finanziellen Budget realisiert werden kann. Deshalb kostet Hybridsaatgut meist auch doppelt so viel wie Saatgut aus samenfesten Sorten. Dennoch ist das Geschäft mit dem teuren „Turbosaatgut“ äusserst lukrativ und die Verlockung für die Bauern, dieses auch einzusetzen (wie bereits oben kurz erwähnt) auch entsprechend gross.
Dennoch, die Gefahren der Hybridtechnologie sind u.a. erdeloser Anbau und grosse Mengen an Chemikalien. Agrochemiekonzerne liefern der modernen Landwirtschaft nicht nur die Chemikalien, sondern investieren auch enorm in die Entwicklung noch ertragreicherer, ökonomisch noch interessanterer Hybridlinien. Die Agrochemikalien und das Saatgut sind dabei meist aufeinander abgestimmt. Nicht selten liefert der gleiche Konzern das Saatgut wie auch das dazugehörende Pestizid.
Ähnlich problematisch wie die Grüne Gentechnik, ist das so genannte CMS-Saatgut. CMS steht für Cytoplasmatische Männliche Sterilität. Und dabei handelt es sich um eine spezielle Hybrid-Züchtung, die sich der Protoplastenfusion bedient. Bei ihr werden artfremde Zellen miteinander verschmolzen, diese Züchtungs-Technik wird deswegen auch als „kleine Gentechnik“ bezeichnet. Die CMS-Technik gefährdet ebenfalls die Sortenvielfalt, da die aus den Pflanzen hervorgehenden Samen zu 100 Prozent steril sind. Eine Kennzeichnungspflicht für CMS-Hybriden gibt es derzeit nicht.
Wie natürlich sind CMS-Hybriden? >>>
Somit ist also die moderne Pflanzenzucht reinste Biotechnologie, sie findet nur unter Laborbedingunten statt.
Ein grosser Teil unserer Gemüse, wie beispielsweise Mais, Broccoli oder auch Blumenkohl und ein Teil von Raps und Roggen stammen von Hybriden ab – auch in der biologischen und der biodynamischen (es ist kaum zu glauben) Landwirtschaft. Auch in der Schweiz lässt die Bioverordnung die CMS-Technologie zu.
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Die moderne Hybridzucht – ob nun mit oder ohne Nutzung des CMS-Systems – orientiert sich beinahe ausschliesslich an den Bedürfnissen der Industrie und des Handels. Uniformes Gemüse und Obst sollen in Lagerhallen sowie im Supermarkt lange haltbar bleiben, ausserdem muss sich die „Ware“ maschinell sortieren und verpacken lassen…
Leider denken die wenigsten Menschen in unserer Überflussgesellschaft je darüber nach, woher ihre Lebensmittel kommen. Sie schieben ihren Einkaufswagen durch die Gänge und machen sich nicht klar, dass die scheinbare Fülle nur eine bunte Kulisse ist, gerade mal noch zusammengehalten von einem Gerüst, das immer brüchiger wird.
Die Alternative zu Hybriden sind samenfeste Sorten.
Samenfest sind Sorten dann, wenn aus ihrem Saatgut Pflanzen wachsen, die dieselben Eigenschaften und Gestalt haben, wie deren Mutterpflanzen. Das bedeutet, die Sorten können noch natürlich vermehrt werden. Durch ihre Vermehrung werden sie erhalten. Sie werden durch Wind oder Insekten bestäubt.
Noch am Rande bemerkt. Konventionelles Saatgut wird oft auch mit Neonicotinoiden behandelt, sprich gebeizt. Diese Wirkstoffe gelten u.a. als eine der Ursachen für das weltweite Bienensterben. Denn sie können aus dem Boden und dem Samen bis in den Pollen gelangen. Die minimalen Konzentrationen genügen, um die Bienen zu schwächen oder zu verwirren. Zudem gelangt das Gift mit den Pollen in die Bienenstöcke und schädigt u.a. dort den Nachwuchs.
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Die richtige Pflege des Saatguts sichert unsere Zukunft und ohne samenfeste Sorten überleben wir den Klimawandel nicht.
Modere Arche Noah’s
Eine Reaktion auf den Schwund der biologischen Vielfalt auf unseren Äckern ist der Versuch, die Samen möglichst vieler Nutzpflanzensorten zu sammeln und sicher aufzubewahren, ehe sie für immer verloren sind. Eine Lösung, die doch keine ist? Saatgutbanken sind die moderne Arche Noah. Weltweit gibt es derzeit rund 1400 Saagutbanken. Das wohl ehrgeizigste Projekt ist der seit 2008 eröffnete „Saatguttresor“ Svalbard Global Seed Vault in der norwegischen Arktis (Spitzbergen). Dort werden drei Millionen (!) Saatgutproben aufbewahrt. Dieser Saatguttresor ist so gebaut, dass er eine globale Katastrophe überstehen kann und dennoch ist er nur den Eigentümern und Zuliefern zugänglich – nämlich den Mitgliedern der Welttreuhandfonds für Kulturpflanzenvielfalt (Global Crop Diversity Trust, GCDT), der von der Gates- und der Rockefeller-Stiftung sowie der Saatgutindustrie unterstützt wird. Somit können diese Genbanken auch als eine Art Reservoir für die Biotechnologie und die Saatgutindustrie betrachtet werden.
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On-Farm-Bewirtschaftung genetischer Ressourcen
Saatgutbanken sind aber nur eine sehr begrenzte Methode der Zukunftssicherung. Um Kulturpflanzen zu erhalten, müssen diese genutzt, angepasst und gepflegt werden. Die Samen müssen keimen, zu Pflanzen werden und neue Samen bilden, denn beispielsweise der Vitalitätsverlust der unterschiedlichen Kulturpflanzen ist sehr differierend.
Und mindestens ebenso wichtig ist es auch, die Kenntnisse der Bäuerinnen und Bauern in aller Welt zu bewahren. Sie haben über viele Generationen hinweg die von uns genutzten Samen (und auch Nutztierrassen) in Anpassung an ihre jeweilige Umwelt gezüchtet. Dieses Wissen ist die vielleicht kostbarste und am stärksten gefährdete Ressource unserer Zeit und gilt es unbedingt zu bewahren.
Denn eines darf keinesfalls vergessen werden: Erhaltung ersetzt Züchtung nicht. Nachhaltiger Ackerbau braucht auch neue Sorten, die an Biobedingungen optimal angepasst sind oder mit Klimaschwankungen umgehen können.
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Was man über Saatgut wissen muss >>>
Schweizer Sorten sind rar >>>
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Filme:
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Bücherhinweise:
Hilfe unser Essen wird normiert, Clemens G. Arvay, ISBN 3-86881-522-8 >>>
Jenseits des Wachstums, Vandana Shiva, ISBN 3-85869-593-9 >>>